Essen
Hier wird der Grünkohl gefeiert

Diese Tradition ist typisch für Norddeutschland. Exil-Oldenburger wollen auch in Bayern nicht auf das Spektakel verzichten.

04.02.2019 | Stand 16.09.2023, 5:50 Uhr
Martina Scheffle

Zu der Tour gehören die verschiedensten Spielchen. Am Ende stehen Grünkohlverzehr und die Wahl eines Kohlkönigpaars.Fotos: Tobias Hase/dpa

Merkwürdige Dinge geschehen an diesem Februartag im vornehmen München-Bogenhausen. Menschen mit einem bunt geschmückten Bollerwagen, dekoriert mit Grünkohlblättern und Flaschen mit allerlei Hochprozentigem, ziehen mit einem Schnapsgläschen um den Hals die Straße entlang. An einer Kreuzung brüllen sie „Kreuzung!“, dann kippen sie sich kollektiv einen hinter die Binde. Zwei Passanten gucken neugierig, sie ahnen, was los ist: „Ist das ‚ne Kohlfahrt? Cool, wir kommen aus Bremen.“ Doch das hier ist eine Oldenburger Kohlfahrt, mitten in München. Dass die zelebriert wird, ist André Brumunds Schuld. Der Werbetexter stammt aus einem Dorf bei Oldenburg in Niedersachsen und organisiert sie dieses Jahr zum 15. Mal in München, zur Grünkohlzeit im Winter.

Prominente Gemüsemonarchen

Die 165 000-Einwohner-Stadt Oldenburg sieht sich selbst als Hauptstadt des Grünkohl-Königreichs. Seit 1956 kürt sie einen Kohlkönig oder eine Königin, die Inthronisation erfolgt beim sogenannten Defftig Ollnborger Gröönkohl Äten in Berlin. Zu den Gemüsemonarchen gehörten Helmut Kohl, Helmut Schmidt und Angela Merkel.

Zwar werde in Norddeutschland auch anderenorts Grünkohl gegessen, sagt Bettina Koch von Oldenburg Tourismus und Marketing (OTM). Aber mit einer „solchen Verbundenheit“ werde die Kohlliebe nur im Oldenburger Land zelebriert.

Das begeistert auch Menschen am anderen Ende der Welt: Es wurden schon Fotos von Kohlfahrern aus Australien und Brasilien an die OTM geschickt. Kochs Rat an Kohltour-Novizen? „Wetterfeste, warme Kleidung und Spaß am Teamgedanken haben.“ Denn in wechselnden Teams wird gespielt. Bei der „Schlucklatte“ wird gleichzeitig aus an einer Latte befestigten Eierbechern, nun ja, gebechert.

Nach Mutters Rezept gekocht

Das Objekt der Begierde gibt es am Abend im Wirtshaus. Gekocht wird der Kohl nach dem Rezept von André Brumunds Mutter. Anderthalb Stunden haben das Königspaar und Brumund mit dem Restaurantleiter über die feine Oldenburger Art gesprochen. „Die Köche in München haben oft noch nicht davon gehört.“ „Die meisten kennen Grünkohl nur vom Smoothie“, witzelt Kohlkönig Roger Keller.

Noch ist eben nicht jeder in München mit dem norddeutschen Brauchtum vertraut. Einmal wollten die Fahrer vor dem Innenministerium am Odeonsplatz ein Selfie machen. „Da kam Polizei und meinte: ,Das muss ja nicht sein.‘“ Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die jährlich während der Grünkohlsaison stattfindet, fielen die fidelen Oldenburger auf. Einige Polizisten hätten sich dem Phänomen im Dunstkreis der Konferenz genähert und gefragt, ob sie Randalierer gesehen hätten. „Da hatte wohl jemand die Polizei gerufen, weil er uns mit unserem Wagen für Randalierer hielt“, schmunzelt Keller.

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