Menschen
Kleine Bären, große Gefühle

Emmy Krienitz: In der Kalmünzergasse 5 lässt der ehemalige Star der deutschen Dauerwerbesendung seine Karriere ausklingen.

04.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:18 Uhr
Helmut Wanner

Emmy Krinietz mit Andreas, ihrem Ur-Teddy. Mit ihm begann ihre bärige Fernseh-Karriere. Foto: Wanner

Alles wäre vermutlich anders gelaufen, wenn Emmy Krienitz 1970 nicht die „3“ in katholischer Religionslehre im Abschlusszeugnis stehen gehabt hätte. Der Traum-Lehrherr nahm sie deswegen nicht, was ihr Glück war. Aber wer kann schon sagen, was Glück ist.

„Nur wenn ich frisch und ausgeglichen bin, bekomme ich den Ausdruck hin.“Emmy Krienitz

Ihr Vater habe sie selten gelobt. Erst als er alt war, fand er diese Worte: „Deine Bären leben, sie haben Seele“, sagt Emmy Krienitz, drittes von acht Kindern eines Mechanikers am Flughafen Erding. Und mit schimmernden Blick fügt sie hinzu. „Das war der schönste Satz, den er je gesagt hat.“

Bis zu 20 000 Bären im Jahr

Und jetzt Kalmünzergasse 5. „Momentan lebe ich von Reparaturen“, sagt die 63-Jährige. Die Geschäftslage ist ruhig. Sie kocht einen Kaffee und serviert ihn in einer Blümchentasse. „Es ist mein Traum, ein Bären-Café de luxe zu eröffnen, ganz klein, aber mit eigenen Bären und eigenen Kuchen.“ Vom obersten Regalbrett lugt ihr erster Bär, der Ur-Bär, aus einem 50er-Jahre Kinderwagen auf sie herab. Andreas heißt er, ist aus weißem Mohair und hat ein liebes Gesichtchen. Andreas ist mit an die Kalmünzergasse gezogen.

Mit dem Ein-Frau-Laden am Schwanenplatz lässt Emmy Krienitz ihre Karriere ausklingen. Klein ist hier alles: Der Laden, die Ware und die Chefin. Emmy Krienitz misst 1,55 cm. Die 40 Quadratmeter „Emmy’s Bären und Puppen“ ist der unscheinbare Rest eines glanzvollen Betriebs in München-Sendling. „Wir hatten eine ganze Straße, die Sachsenkamstraße: Laden, Büro, Wohnung, Fabrikationshalle.“ Es gab Jahre, da verkaufte Emmy 20 000 Bären. Das ist jetzt zehn Jahre her.

Am Anfang, 1995, stand der Wunsch ihres Sohnes. Den Ur-Teddy hatte sich Andreas zum 11. Geburtstag gewünscht – selbst gemacht sollte er sein. Emmy Krienitz sagte erst Nein: „Deine Mutter will und kann nicht nähen.“ Andreas blieb glücklicherweise hartnäckig. „Der Bub hat mein Talent herausgefunden“, sagt sie. Und „wie!“ sie nähen konnte. Am Sendlinger Tor hat Emmy Krienitz extra einen Kurs belegt „wie bastle ich mir meinen Teddy selbst“. Der Ur-Bär war das Ergebnis.

Sie hatte schon immer goldene Hände. Erst als Bäckerin, dann mit Salzteigfiguren. „Wenn die Kinder im Bett waren, modellierte ich Trachtenpärchen aus Teig.“ Am Wochenende beschickte sie Trödelmärkte. „Die Stunden am Stand waren meine Art, am Samstag kinderfrei zu haben.“ Am Anfang legte sie zu Kristallgläsern und altem Geschirr drei oder vier ihrer eigenen Teddybären, vom Typ Andreas. „Ich war jedesmal überrascht, wie schnell die Bären weg waren, das Stück für 70, 80 Mark.“

Es war eine Lawine: Nach und nach hatte die Familie Krienitz bei ihrer Wohnung am Partnach-Platz einen Laden, ein Büro und eine Halle, in der 15 Frauen in Handarbeit die Entwürfe fertigten, die Emmy Krienitz gezeichnet hatte. Ihre Teddys flimmerten nun über HSE24 und RTL in die Wohnzimmer. Kartons mit Dankesschreiben bezeugen die Kundenbindung. „Ich hatte Brustkrebs“, schreibt Christine F.. „Ihre Bären gaben mir sehr viel Kraft.“ Nicht wenige haben ihr am Telefon ihre Lebensgeschichten erzählt. Emmy Krienitz hat zugehört. Einer Kundin konnte sie ihren Herzenswunsch erfüllen. „Sie wollte die Bärenwerkstatt sehen, bevor sie stirbt.“

Emmy Krienitz hat ihr einen Apfelkuchen gebacken und die Werkstatt gezeigt. Die Handwerkerin hat mit ihren Bären Seelsorge geleistet. Das macht sie froh. Der liebe Gott dürfte ihr dafür in ihrem Lebensbuch eine „1“ mit Stern eingetragen haben.

Jahre im Verkaufshimmel

Viele Kundinnen glaubten an sie: Emmy Krienitz, die drei Kinder großzieht und nebenbei Bären bastelt, wurde von den Frauen, die Dauerwerbesendungen schauen, als Vertreterin einer heilen Welt verehrt. Ihr Mann, Betriebswirt und Top-Verkäufer norwegischer Blockhäuser, hatte ihr den Weg in den Verkaufs-Himmel geöffnet – und sich danach selbst das eine oder andere Hintertürl ins russische Séparée aufgemacht, wie sie später herausfand. „Das war sehr hart für mich“, sagt sie. In der Rückschau räumt sie ein: „Vielleicht haben wir zuviel gearbeitet und zu wenig aufeinander geschaut.“

Immerhin: Sie hatte 30 Jahre Glück. 2010 ist ihre Welt zerbrochen, die Ehe geschieden. Mit Manufaktur und Verkaufssendungen ist Schluss. Emmy Krienitz brach ihre Zelte ab und zog nach Regensburg. Die Stadt kannte sie. Seit 2004 hat sie einen Stand im romantischen Christkindlmarkt. Die Fürstin sammelt ihre Bären. „Ach, meine Emmy, ruft sie schon von ferne.“

„Ich mach das bis ich umfalle“, prophezeit Emmy Krienitz. Am schwierigsten sei das Gesicht, „Nur wenn ich frisch und ausgeglichen bin, bekomme ich den Ausdruck hin.“ Sie wählt für das Feine die Morgenstunden. Die Arbeit nimmt sie in die Freizeit mit. Sitzt die Wahl-Oberndorferin an der Donau, hat sie ihr Strickzeug dabei, und wenn auch nur für einen Bären-Schal.