Höchstpersönlich
Mia Constantine schenkt Unikate

Die Bandbreite der Regisseurin ist groß. Das Theater Regensburg profitiert davon. Und sie ist die Tochter des großen Eddie.

14.06.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Die Regensburger Theaterregisseurin Mia Constantin macht Kinderstücke und sie inszeniert Elfriede Jelineks „Winterreise“. Foto: altrofoto.de

Nun gut, Mia Constantine hat es versucht, das kann niemand bestreiten. Erwachsenwerden heißt ja Emanzipation, Sich-freimachen von äußeren Einflüssen, vor allem, wenn die sehr prägend waren. Spätestens in der Pubertät, heißt es, beginnt die Revolte. Dann werden die Erwachsenen „komisch“, speziell die eigenen, immerzu peinlichen Eltern. Nichts von dem, was sie tun oder einem einreden wollen, leuchtet ein. Man will es anders, besser machen.

Aber was, wenn Papa und Mama nicht nur dominant sind, sondern vorbildhaft? Wenn man sich gar nicht wehren kann und will, weil sie, ihr Beruf, eine eigene geheime Sehnsucht verkörpern? Der Vater, Eddie Constantine, war längst eine mythische Figur, als sie 1981 auf die Welt kam. Er verkörperte seit den frühen 1950er Jahren den Agenten Lemmy Caution so einleuchtend, dass viele, die ihm begegneten, durcheinanderkamen, wenn sie sahen, dass in seinem Pass Eddie Constantine stand. Er war doch Lemmy Caution! Warum versteckte er sich hinter einem Pseudonym? Die Identifikation ging so weit, dass manche Menschen vollkommen verstört reagierten, als er, immerhin als Lemmy Caution, in Jean-Luc Godards Dystopie „Alphaville“ mitspielte. Die Kritiker waren begeistert, Eddie Constantine bekam die renommiertesten Preise, die Feuilletons fingen an, über ihn zu schreiben. Aber die Fans demonstrierten. Sie wollten sich nicht mit dieser Godard-Version von Lemmy Caution abfinden. Mia Constantine: „Seine Karriere war mit einem Mal zerstört.“ Das hatte auch Vorteile. Künstlerische, aber auch praktische. Zum Beispiel gäbe es Mia Constantine ohne diesen Godard’schen Frevel nicht. Davon später.

Sie aber rebellierte gegen den Über-Vater Eddie, was vielleicht ein wenig leichter fiel, weil er starb, als sie zwölf war und die Über-über-Mutter Maja, von der noch die Rede sein wird, und studierte Erziehungswissenschaften und Kunstgeschichte in Frankfurt und Berlin. Kein Film, kein Fernsehen, weit und breit, hoffentlich! Aber schon bald zeigte sich, dass die reine Theorie ihr nicht reichte. Und dass ihr ein Schlupfloch blieb: das Theater. Von dem sie, nachdem sie ja schon ihre Erfahrungen gemacht hat, sagt: „Das Theater ist mein Leben.“ Und: „Theater ist für mich mein künstlerisches Ausdrucksmittel, um mit der Welt zu kommunizieren.“ Sie tat, was man oft tut, wenn man noch nicht ganz sicher ist, aber fast. Sie hospitierte und assistierte am Staatstheater Wiesbaden, wo die Familie seit ihrer Geburt lebte. Und es war sicher ein glücklicher Zufall, dass sie dabei dem Theater-Magier Herbert Fritsch, einem der großen Regie-Stars der letzten Jahre, über die Schulter schauen konnte. War also das Erziehungswissenschafts-Studium, jetzt, wo sie sich im Grunde schon anders entschieden hatte, für die Katz? Keineswegs, denn Mia Constantine hat unzweifelhaft eine pädagogische Ader. Sie arbeitet gerne mit Leuten zusammen, aber mit Kindern und Jugendlichen besonders. Vielleicht weil bei ihnen das Staunen und die Neugier noch so spürbar sind und sich Tag für Tag etwas verändert. In Regensburg leitete sie vier Spielzeiten lang zusammen mit einer Theaterpädagogin den Jugendclub des Stadttheaters, eine Art Labor und Experimentierfeld, wo das entsteht, was irgendwann die aufregende Bühnenwelt ausmachen wird.

Beim zweiten Mal folgte sie ihrer Leidenschaft und studierte Regie

Zuvor aber studierte sie ein zweites Mal, jetzt Regie. Und zwar in Ulm. Wer nun meint, das sei aber Provinz, der vergisst ganz, dass in Ulm einst die deutsche Theaterherrlichkeit des letzten halben Jahrhunderts begann. Mit Hübner, dem großen Mentor, der später in Bremen weiterwirkte, und mit all den blutjungen Regie-Talenten, den Zadek und Co. Und dass in Ulm ja auch das „neue“ Bauhaus eine Zuflucht gefunden hatte. Nach einem Jahr Herumschnuppern, „freie Tätigkeit“, wie es so schön heißt, kam Mia Constantine nach Regensburg. Ein Glücksfall, so ist zu vermuten, für beide Seiten. Denn Mia Constantine ist äußerst vielseitig. Ihre erste Regie-Arbeit war am Regensburger Theater „Der Diener und sein Prinz“. Untertitel: für Kinder ab vier Jahren. Sie hat aber auch Elfriede Jelineks hochkomplexe „Winterreise“ in Szene gesetzt. Bandbreite nennt man das wohl. Und wenn man nach ihren Vorlieben fragt, dann antwortet sie wie Brechts Seeräuber-Jenny, nur eben in einem anderen Kontext: „Alle.“

„Das Theater ist mein Leben. Es ist für mich mein künstlerisches Ausdrucksmittel, um mit der Welt zu kommunizieren.“Mia Constantine

Wenn man mit Mia Constantine, die auch ganz kühl, gefasst, pragmatisch sein kann, über Theater redet, dann muss man damit rechnen, dass sie ins Schwärmen gerät. Jedes Stück, sagt sie zum Beispiel, „ist ein Sprachrohr zwischen Publikum und Spieler und soll Welten eröffnen und Assoziationen freisetzen.“ Und: „Was das Theater von Kino oder Fernsehen, wo ja auch erzählt wird, unterscheidet, ist für mich die Live-Begegnung zwischen Zuschauer und Spieler, die jeden Abend eine eigene Qualität hat.“ Jeder Abend ein Unikat. Jeden Augenblick kann sich das Ungeheure ereignen. Mia Constantine, beim Versuch, ihre Gedanken noch präziser zu fassen: „Theater ist eine geistige Auseinandersetzung, die körperlich geführt wird, mit einem Publikum, das physisch anwesend ist“ und, müsste man hinzufügen, eben nicht nur, gewissermaßen postum, auf eine Leinwand starrt.

Für Mia Constantine ist jeder Theater-Moment „ein Stück Leben“. Sie spricht von der „Kraft“ und der „Spannung“, die bei dieser Kommunikation zwischen Schauspielern und Zuschauern entstehen. Und sagt, dass dieser Moment „im Kern etwas sehr Menschliches hat.“ Da spürt man die Pädagogin, aber auch die politisch bewusste Regisseurin, die mit ihrer Arbeit nicht nur „interesseloses Wohlgefallen“ à la Kant erzeugen, sondern eingreifen, verändern will. Mia Constantine ist da die Elevin Godards, für den alles, was man tut, per se politisch ist. Bei Mia Constantine zeigt sich das auch in ihrer Vorliebe für gemeinsame Projekt-Entwicklung. Zum Klimawandel etwa: „Rette Welt wer kann“, für Kinder ab zwölf Jahren in Ingolstadt. Oder in der nächsten Spielzeit eine, wie sie das nennt, „Stückentwicklung“ zu dem Essay „Gegen den Hass“ von Caroline Emcke, ebenfalls in Ingolstadt.

Das Projekt „Dear Eddie“ zeigte auch eine andere Seite des Vaters

Piaf machte ihn auch zu Lemmy Caution. Sie hatte die Verbindungen zur Filmwelt. Godard nahm ihm gewissermaßen die Rolle wieder weg. Und beförderte dadurch seine Spät-Karriere im Kontext des neuen deutschen Films. In Peter Lilienthals „Malatesta“ spielte er schon 1970 sehr eindrucksvoll den Titelhelden, später drehte er dann mit Fassbinder, Kaurismäki und vielen anderen. Und er lernte Maja kennen, die damals einflussreiche Redakteurin des „Kleinen Fernsehspiels“ beim ZDF, das alles andere als klein war, sondern über viele Jahre hinweg der Drehpunkt und die wichtigste Finanzierungsquelle der avancierten deutschen Filme dieser Zeit. So lernten sich, 1978, Eddie und Maja kennen. Beruflich. Und beruflich waren sie dann auch unterwegs. Als sie durch Las Vegas kamen, sagte der spontane Eddie: „Heiraten wir!“ Und: „Eine Heirat in Las Vegas bedeutet nicht viel, da kann man sich ganz leicht wieder scheiden lassen.“ Aber es wurde nichts mit der Scheidung. Es hielt bis Eddies Tod 1993. Und Mia erlebte ihn als „liebevollen“ und „zärtlichen“ Vater. Kein Wunder. Auch die Kinnhaken, die er als Lemmy Caution verteilte, waren ja nicht wirklich echt.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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