Bayreuth-Blog
Österreicher Andreas Schager erobert als „Siegfried“ die Herzen in Bayreuth - Zorn auf die Regie wächst

04.08.2022 | Stand 15.09.2023, 4:09 Uhr |
Ein umwerfendes Bühnenpaar: Andreas Schager als Siegfried und Daniela Köhler als Brünnhilde werden vom Publikum explosiv gefeiert. Deren Pferd Grane stellt in Valentin Schwarz’ Inszenierung Igor Schwab als freundschaftlicher Begleiter dar. − Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wenn kein Wunder mehr geschieht, setzt es am Freitagabend eine gewaltige Ohrfeige für den Regisseur Valentin Schwarz, wenn er nach vier Premieren erstmals vor den Vorhang tritt.

Herzhafte Buhs gab es schon beim „Rheingold“ am Sonntag. Nach der „Walküre“ am Montag wuchs der Buhsturm zum schmerzhaften Gewitter. Nach dem „Siegfried“ am Mittwochabend klingt deutlicher Zorn mit. Fast ausgeschlossen, dass in der abschließenden „Götterdämmerung“ am Freitagabend versöhnt und geheilt wird, was das Herz der Wagnerfans schon dreimal so verwundet hat.

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Die Schere könnte nach drei Vierteln der Tetralogie nicht weiter auseinandergehen: Das Bayreuther Publikum huldigt den Sängern, dem Regisseur ist es böse und beleidigt. Warum? Man kann man sich das - leicht profan gesagt - vorstellen wie beim Rolling-Stones-Konzert: Alles freut sich auf „Satisfaction“, aber sie spielen es nicht! Wagnerianer sind auch nur Fans: Wird die Walküre nicht ins Feuer verbannt und nicht von Siegfried errettet, dann setzt’s Verachtung. Sekunden später wird für Sänger gejubelt und getrampelt und ausgeflippt, wie es Smoking-Trägern keiner zutrauen würde, der es nicht erlebt hat.

Bayreuth hat einen neuen Lieblingshelden

So geschehen beim Hauptdarsteller: Andreas Schlager, 1971 in Niederösterreich geboren, gab 2016 seinen Einstand in Bayreuth als Erik im „Holländer“, für Klaus Florian Vogt sprang er als Parsifal ein, 2019 debütierte er als Siegfried an der Met in New York. Sein Rollendebüt in Bayreuth wird zum Triumph: Der Mann weiß um sein Aussehen, sein Charisma und seine außerordentlich Stimme, er kostet das aus. Mit einer selbstbewussten, einnehmenden Körperlichkeit spielt er Siegfried als furchtlos-betörenden Kraftmeier und immer auch leicht törichten Geck. Der Heldentenor, der seine Karriere wie René Kolle als Operettensänger begonnen hat, verfügt über gewaltiges Volumen, immense Höhen, ein helles, klares und doch betont viriles Strahlen. Was er erntet, ist kein Applaus, es ist Huldigung. Bayreuth hat einen neuen Lieblingshelden.

Ebenso umjubelt und künstlerisch umwerfend ist Sopranistin Daniela Köhler. Ihre Brünnhilde ist bei Weitem nuancierter, treffsicherer, präziser als Iréne Theorin in derselben Rolle in der „Walküre“. Köhlers Forte ist raumgreifend, in den Höhen mit einem angenehmen Hauch von Metall. Die Stimme harmoniert wundervoll mit Andreas Schager, ihr Schlussduett ist ein Jauchzen, wie es vielleicht nur in Bayreuth zu erleben ist. Erfreulicherweise lässt sich Dirigent Cornelius Meister - auch wenn die Orchesterabstimmung mit der Bühne des Öfteren nicht funktioniert - anstecken von der Energie. Tomasz Konieczny ist nach seinem Unfall in der „Walküre“ eindrucksvoll zurück als Wanderer (Wotan), Olafur Sigurdarson schließt als Alberich an die starke Leistung im „Rheingold“ an. Arnold Bezuyen übertreibt als Mime ein wenig mit Stimm-Satire, Wilhelm Schwinghammer gibt einen würdevollen Fafner, Okka von der Damerau erneut eine grenzenlos strömende Erda, Alexandra Steiner den tirilierenden Waldvogel.

Mag das Publikum auch schimpfen, die Regie findet fantastische Bilder

Mag das Publikum auch schimpfen, die Regie findet fantastische Bilder und arbeitet neben vielen Rätseln mit seltener logischer und assoziativer Stringenz: Wotans Patriarchenvilla wandelt sich zusehends zur Pyramide - ein Grab für Menschen, die sich für unsterblich halten. Aus dieser tritt Brünnhilde im dritten Akt, bandagiert, mumifiziert, halbtot schon; zugleich verweist sie auf die bandagierten aufgetakelten Walküren, deren berühmter Ritt in der Schönheitsklinik spielte - wie sich Wotans Töchter bei Wagner dessen Willen unterwerfen, so unterwerfen sie sich im „Ring“ 2022 dem Kapitalismus und der Optimierungsindustrie.

Den zum Drachen mutierten Riesen Fafner samt seines schleppenden Motivs als nicht sterben könnenden Greis zu inszenieren, erschließt sich von der ersten Sekunde an. Freilich darf man solche Ideen ablehnen als Publikum, schlechter werden sie dadurch nicht. Valentin Schwarz weiß das, wenn am Freitag der Zorn auf ihn hereinbricht. Raimund Meisenberger

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