Mietspiegel
Regensburger Experte: ungerechte Mieten

Professor Dr. Steffen Sebastian erläutert, warum der Mieterschutz in Berlin ab Donnerstag stark eingeschränkt ist.

12.05.2021 | Stand 16.09.2023, 2:55 Uhr
Ein einfacher Mietspiegel bietet Mietern und Vermietern einen deutlich geringeren Rechtsschutz. −Foto: Silas Stein/picture alliance/dpa

Nach geltendem Bundesrecht ist Berlins neuer Mietspiegel ungültig – mit weitreichenden Folgen für Mieter und Vermieter. Mieter- und Vermieterorganisationen sollten jetzt einen einfachen Mietspiegel erstellen, fordert Prof. Dr. Steffen Sebastian. Das geht aus einer Pressemitteilung der Universität Regensburg hervor.

Ist der Berliner Mietspiegel qualifiziert?

Am 6. Mai 2021 hat der Berliner Senat einen neuen Mietspiegel veröffentlicht, den er als sogenannten qualifizierten Mietspiegel ansieht. Tatsächlich ist dieser eine zweite Fortschreibung des Mietspiegels 2017. Nach geltendem Bundesrecht ist aber nur eine einmalige Fortschreibung erlaubt. Bereits in der Vergangenheit wurde häufig vor Gericht darüber gestritten, ob die jeweiligen Berliner Mietspiegel qualifiziert sind oder nicht. Qualifizierte Mietspiegel müssen nach anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen erstellt werden.

Prof. Dr. Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg und Sachverständiger im Deutschen Bundestag für die bundesweite Mietspiegelreform, erläutert: „Kein anderer qualifizierter Mietspiegel wurde vor Gericht so häufig zum ‚einfachen‘ Mietspiegel degradiert wie der Berliner. Dies sollte zumindest zum gründlichen Nachdenken anregen. Es ist ja schließlich nicht die Schuld der Kläger, wenn die Berliner Mietspiegel wiederholt einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten.“

Ein einfacher Mietspiegel bietet Mietern und Vermietern einen deutlich geringeren Rechtsschutz. Jedoch schützt ein einfacher Mietspiegel immer noch besser als gar keiner. Nach neuer Rechtslage ist die Mindestanforderung an einen einfachen Mietspiegel, dass er aus den Mieten eines Sechs-Jahres-Zeitraums berechnet wird, so eine jüngste Veröffentlichung des ehemaligen Richters Rudolf Beuermann. Der neue Berliner Mietspiegel 2021 erfüllt aber noch nicht einmal diese Anforderung und ist damit weder ein qualifizierter noch ein einfacher Mietspiegel. Da die Gültigkeit des alten Mietspiegels 2019 ausläuft, ist Berlin ab diesem Donnerstag, 13. Mai 2021, ohne gültigen Mietspiegel.

Mieterhöhungen sind möglich

Das hat weitreichende Folgen für Mieter und Vermieter. „Gut organisierte Großvermieter, die drei passende Vergleichsmieten finden können, dürfen mit diesen Mieten ab Donnerstag auch Mieterhöhungen weit über dem Niveau des Mietspiegels begründen“, sagt Sebastian. „Private Kleinvermieter können hingegen weder den Mietspiegel 2019 noch 2021 anwenden, da eine Mieterhöhung dann formal unbegründet wäre. Ein Mieter müsste dann nicht zustimmen. Mieter und private Kleinvermieter verlieren gleichermaßen.“

Auch bei Neuvermietungen könnte es zu deutlichen Preissprüngen kommen. Denn wahrscheinlich sind die Berliner Mieter diese Woche auch nicht mehr durch die Mietspreisbremse geschützt. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2019 und der einschlägigen Kommentarliteratur ist Voraussetzung, dass Mieter und Vermieter in zumutbarer Weise die gesetzlich zulässige Miete ermitteln können. Gibt es keinen Mietspiegel, so ist es zweifelhaft, ob die Mietpreisbremse verfassungsgemäß ist. Professor Sebastian hierzu: „Ohne gültigen Mietspiegel läuft die Mietpreisbremse bereits de facto ins Leere. Dazu ist auch noch fraglich, ob die Regelung ohne Mietspiegel überhaupt verfassungsgemäß ist. Der Mieterschutz ist in Berlin ab Donnerstag stark eingeschränkt. Das wäre vermeidbar gewesen.“

Es besteht Handlungsbedarf

„In der aktuellen Lage besteht dringender Handlungsbedarf. Plan B zum gescheiterten Mietendeckel war der Mietspiegel 2021. Einen Plan C hat der Senat nicht. Es ist zu erwarten, dass der Senat erst dann wieder aktiv wird, wenn der aktuelle Mietspiegel 2021 vor Gericht gekippt wird. Bis dahin wird es in der unklaren Rechtslage eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten geben. Soweit sollten es Mieter- und Vermietervereine im Interesse ihrer Mitglieder nicht kommen lassen. Mieter- und Vermieterorganisationen sollten sich zusammensetzen und gemeinsam einen einfachen Mietspiegel für Berlin erstellen. Das ist – guten Willen der Parteien vorausgesetzt – in wenigen Wochen machbar. Denn bei einem einfachen Mietspiegel können auch Sekundärdaten verwendet werden, die nicht extra erhoben werden müssen. Ein solcher einfacher Mietspiegel wäre in jedem Fall gültig. Dann hätte Berlin zwei Mietspiegel. Das wäre sicherlich nicht ideal. Aber immer noch besser als gar keinen“, sagt Sebastian.

Über Prof. Dr. Steffen Sebastian

Prof. Dr. Steffen Sebastian ist Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung an der IREBS International Real Estate Business School der Universität Regensburg und Research Associate am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Als Vorsitzender der gif-Mietspiegelkommission begleitet er seit mehreren Jahren die Mietspiegelreform aus wissenschaftlicher Sicht. Aktuell hat ihn der Deutsche Bundestag als Sachverständiger für das parlamentarische Verfahren zur Mietspiegelreform und weiterer mietrechtlicher Reformvorschläge bestellt.