Wirtschaft
Riesenfreude: Nahversorgung ist gerettet

Zwei Jahre nach dem Aus für die Norma in Regensburgs Rilkestraße dürfen sich die Anlieger freuen: Der Laden wird wiederbelebt – von zwei Italienern.

14.02.2014 | Stand 16.09.2023, 7:23 Uhr

Prof. Joachim Reimann freut sich: In wenigen Wochen soll es in der Rilkestraße wieder einen kleinen Lebensmittelladen geben. Der Architekt riskiert schon mal einen Blick durch die Schaufenster. Foto: Rieke

Was helfen die schönsten Wohnungen, wenn es keine Nahversorgung gibt? Vor allem ältere Anlieger aus dem Bereich Prüfeninger-/Rilkestraße können ein Klagelied von dieser Problematik singen. Wo Kunden einst die Qual hatten, sich zwischen überschaubaren Supermärkten sowie Bäcker- und Metzgereifilialen zu entscheiden, sehen sie sich heute gezwungen, beschwerliche Fußwege in Kauf zu nehmen oder mit dem Bus zum nächsten Lebensmittelladen zu pilgern. Das Auto scheidet für viele Senioren aus Altersgründen aus.

Nach und nach haben im Mittleren Westen selbstständige Einzelhändler das Handtuch geworfen und Discounter den Rückzug angetreten. Letztes Beispiel: die Norma am Eck Rilkestraße. Drei Jahre, nachdem Bürger verzweifelt gegen die Schließung protestiert hatten, kam im April 2012 das endgültige Aus. 2013 machte ein Metzger aus dem Landkreis seine Filiale in der Lessingstraße dicht.

Prof. Joachim Reimann (76) bringt es mit feiner Ironie so auf den Punkt: „Wir haben jetzt ein Matratzenfachgeschäft, einen Laden für Taucherbedarf, ein Nagelstudio, und demnächst wird eine Töpferei eröffnet – alles Dinge, die für uns Senioren von großem Nutzen sind!“ Ohne Witz: Brot und Semmeln gibt es zwar noch fußläufig, doch die letzten noch vorhandenen Bäcker-Niederlassungen haben samstags nur stundenweise geöffnet. Für den Großeinkauf nutzen Prof. Reimann und seine Margret (noch) das Auto.

Ein Senior hat nie aufgegeben

Der Bauingenieur, der rund zwanzig Jahre an der damaligen FH an der Prüfeninger Straße Architektur lehrte, ist einer jener Senioren, die den sukzessiven Niedergang der Nahversorgung nie akzeptieren wollten. Reimann nahm die Stadtverwaltung in die Pflicht, griff selbst zum Telefonhörer, um einen anderen Discounter in die Rilkestraße zu locken, brachte öffentlich Ideen für eine Lösung des Problems ins Spiel.

Als andere längst resigniert hatten, meldete sich der 76-Jährige erneut in der MZ-Redaktion, um zu schildern, wie es in anderen Großstädten offenbar gelingt, Nahversorgung auch ohne die „üblichen Verdächtigen“ sicherzustellen: nämlich durch engagierte Einzelhändler mit ausländischen Wurzeln. „Ich war gerade in Berlin, und da ist an jeder Ecke ein kleiner Türke.“ Ihr Angebot sei bunt und vielfältig, auf die Bedürfnisse der Menschen im Quartier zugeschnitten, die Öffnungszeiten seien sehr kundenfreundlich. Wieso, so fragt sich Prof. Reimann, sollte es nicht gelingen, auch für Regensburgs Mittleren Westen einen solchen Kaufmann zu finden?

Der MZ-Reporter hatte seine Fühler in diese Richtung fast schon ausgestreckt, da kontaktierte Reimann die MZ erneut – und diesmal fast euphorisch. Als hätten höhere Mächte ihn erhört, konnte er diesmal vermelden, dass sich in der ehemaligen Norma „wieder was tut“.

Tatsächlich ist es dem Eigentümer des Gebäudes, Martin Schmid, mit viel Geduld gelungen, Geschäftsleute an Land zu ziehen, die das Risiko nicht scheuen, auf vergleichsweise kleinem Raum Lebensmittel feilzubieten. Der Immobilienverwalter hatte gezielt nach einer solchen Lösung Ausschau gehalten und alle Register gezogen. Unter anderem hatte er mit „Netto“ verhandelt und einen Spezialisten für Bioprodukte im Visier. Letztlich fiel die Wahl auf Pietro Zuccarello, den Wirt des Ristorante Bavarese im Münchner Hof. Dieser hat mit einem Landsmann, der in Regensburg viele Jahre als Großhändler tätig gewesen ist, die P&Z Agritalia GmbH gegründet und möchte zum 1. April an der Rilkestraße Eröffnung feiern. Sein Sortiment umfasst frisches Obst und Gemüse, Brot und Käse, diverse Getränke (natürlich auch Wein) und italienische Spezialitäten. Der Ansatz, „ein bisschen was von allem“ zu bieten, damit sich die Menschen aus der Nachbarschaft für den täglichen Bedarf eindecken können, schmeckt Prof. Reimann ausgezeichnet. Außerdem soll es in dem kleinen Markt eine Art Bistro geben, also die schnelle Gelegenheit, einen Espresso mit Gebäck zu genießen und dabei zu plauschen.

Zuccarello setzt auf den Westen

Zuccarello ist überrascht, wie oft er in den letzten Tagen bereits von neugierigen Anwohnern angesprochen wurde, was er denn vorhabe. Umso optimistischer ist er, mit seinem Angebot punkten zu können. Von den Nahversorgungsproblemen im Quartier hatte er als aufmerksamer Zeitgenosse immer wieder gehört, gleichzeitig war ihm die Aufbruchstimmung, von der Makler im Mittleren Westen schwärmen, nicht entgangen. Deshalb hat er sich, als die Idee reifte, einen Markt für Italo-Produkte zu gründen, aufkam, sogar gegen die Altstadt entschieden.

Bei aller Freude über den Coup, der Schmid gelungen zu sein scheint, vergisst Prof. Reimann nicht, kritisch Bilanz zu ziehen. Er hatte in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass es Politik und Verwaltung – entgegen aller Beteuerungen – ziemlich egal war, wie die Bewohner des Viertels ihr Einkaufsproblem lösten. Vor allem auf „die Leute, die jetzt überall auf Plakaten zu sehen sind“, ist Reimann nicht gut zu sprechen. „Wir brauchen keine Parolen, sondern Menschen, die praktisch handeln und helfen.“

Was Reimann nicht wissen kann, weil es ihm auch nie direkt mitgeteilt wurde, ist, dass im Neuen Rathaus offenbar doch einiges unternommen wurde, um die Nahversorgungslücke zu schließen.

Manfred Koller, Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung, nennt aus dem Stegreif eine Reihe von Initiativen: Verhandlungen mit Norma, dem Standort doch treu zu bleiben; Bemühungen, als Alternative Netto anzusiedeln; Kontaktaufnahme zu Maklern und – last, but not least – den Versuch, die Bonus gGmbH mit Sitz in Stuttgart nach Regensburg zu locken. Das gemeinnützige Unternehmen betreibt Lebensmittelläden gezielt dort, wo es sonst keine Einkaufsmöglichkeiten mehr gibt, und setzt beim Personal auf Menschen, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Mit diesem sozialen Charakter konnte die GmbH in Baden-Württemberg viele Sympathiepunkte sammeln.

Für Regensburg sind die Bemühungen gescheitert. Laut Koller liegt dies daran, dass es in Bayern für derartige Modelle keine Förderung gibt. Mit Agritalia wurde für den Westen jetzt zwar doch eine Lösung gefunden, das ist aber, wie der Amtschef einräumt, nicht das Verdienst der Verwaltung.