Dialekt
Sackl Zement! Beinah häd i gscholtn

Man möchte meinen, einem von Schönheit und Wohlstand verwöhnten Land wie Bayern wäre Fluchen fremd. Das Gegenteil ist der Fall.

11.11.2010 | Stand 11.11.2010, 19:38 Uhr

Eine Münchner Tageszeitung veröffentlicht derzeit eingesandte „Lieblingsflüche“. Lange und ganz schön kräftige Fluchwortketten werden da eingereicht, ähnlich denen, die ein Zimmerer auszustoßen pflegte, wenn ihm die Arbeit misslang oder wenn er, statt den Nagel zu treffen, sich mit dem Hammer auf den Daumen schlug. Einem im Affekt hervorgestoßenen „Herrgottsakramentkruzifixhalleluja“ aber ließ er in angedeuteter Demut und Reue dann folgen: „Ehre sei Gott in der Höhe“. Schelmisch grinsend setzte er dazu: „Und drei Mätta fuchzge in da Breadn!“ (3,5 Meter in der Breite). Höhe und Breite gehörten für ihn einfach zusammen.

Fluchen als Tabuverletzung

Reinhold Aman, gebürtiger Niederbayer, seit über 50 Jahren in den USA lebend, ist weltweit anerkannter Experte in Sachen „verbale Aggression“. Im Vorwort zu seinem „Bayerisch-österreichischen Schimpfwörterbuch“ befindet er, dass die Schimpfkultur in den westlichen Kulturländern auf ein bedauerliches Minimum zusammengeschrumpft sei. Das ehedem reichhaltige Repertoire an (mehr oder weniger verhüllt) blasphemischen Ausdrücken (mit „Kruzi-, Sakra-“ usw.), deren Wirkung darin bestand, dass beim Fluchen religiöse Tabus verletzt wurden, komme außer Gebrauch und werde ersetzt durch solche aus dem Bereich Sexualität und Reinlichkeit (vgl. angloamerikanisch „fuck, shit, asshole“). Tatsächlich überwiegen auch im Deutschen die Unmutsäußerungen mit „Scheiße“ und Zusammensetzungen mit „Scheiß-“. Dennoch ist das von der Kirche heftig verurteilte gotteslästerliche Fluchen nicht abgekommen.

So paradox es scheinen mag, ist es zu deuten als Phänomen einer religiös geprägten Gesellschaft; denn nur wo Religion als selbstverständliche Basis gilt, können religiöse Begriffe herangezogen werden zum Fluchen, das notwendigerweise eine Tabuverletzung einschließt. Gerade in katholisch geprägten Regionen wie Altbayern hat diese Art von Fluchen Tradition.

Im Beichtspiegel steht zum 2. Gebot: „Habe ich heilige Namen oder Worte unehrerbietig ausgesprochen oder als Kraftausdruck gebraucht?“. Es ist nicht verwunderlich, dass man, um nicht ständig beichten zu müssen, man habe heilige Namen verunehrt, eine ganze Kollektion von Ausweichflüchen erfunden hat: lautliche Verfremdungen, Kürzungen oder unverfängliche Zusammensetzungen. Der Wortanfang von „Herrgott“ ist aufgegriffen in Unmutsfloskeln wie „Herrschaft, Herrschaftseitn (-schaftzeitn)“, auch „Hermannseitn“. Der Wortanfang „Kruzi-“ kann ergänzt werden mit den Silben „-ment, -fux, -nali, -naln, -nesn, -türken, -fünferl“ usw., Letzteres auch in der gekürzten Form „Zefünferl“. Eine Verlängerung liegt vor mit „Zefixalleluja“, kürzer „Fixluja“. Als flüchtiger Ausruf der Verärgerung oder Enttäuschung genügt oft „Zefix“ oder einsilbiges „Fix“. Unter dem Spitznamen „Zefix“ bekannt war der Großvater eines renommierten bayerischen Journalisten, wie im „Straubinger Kalender“ für das Jahr 2009 nachzulesen ist: „So wird er genannt, der Hans, der Zefix, weil er die Unart hat, bei jeder Gelegenheit zu fluchen und zu schelten.“ Die alte Bäuerin erzählt, wie ihr jemand unverschämt gekommen ist, und gesteht: „Beinah häd i gscholtn.“ Das Verb „schelten“ hat nämlich im Bairischen niemals die Bedeutung ‚tadeln‘ – dazu sagt man „schimpfen, zamstaucha“ –, sondern einzig und allein ‚derbe Fluchworte äußern‘.

Sàppralott und Sàxndi

Nur noch ganz vage klingt das vermiedene Wort an in „Krumme Nuckl, Krumme Türken“. Nicht als blasphemisch empfunden wird „Hàggod, Hàggodsà, Jessas, Jeckerl, Sàckràdi, Sàckra, Sàpprament, Sàppralott, Sàxndi“. Die lautliche Verfremdung verhüllt den religiösen Bezug (zu „Herrgott, Sakrament, Jesus“ und französisch „sacre dieu“, heiliger Gott). Besonders originelle „kastrierte Flüche“ sind „Sàckl-Zement“ und „Kreuz-Birnbaum(-und)-Hollerstaun / (-stauan)“. Bei „Kreim-Deifl / -Deife“ ist von „Kreuz“ kaum etwas übrig („Kreim = Kreiben“, bairische Lautung für ‚Kreide‘). Andere Tabu-Bereiche, die beim Fluchen verletzt werden, sind bei den Spaniern die Blutsverwandten („Ta madre!“, deine Mutter; nicht ausgesprochen wird die gemeinte Fortsetzung „… ist eine Hure“), in den USA die Sexualität („Fuck“) und weit verbreitet die Reinlichkeit („Scheiße, Shit“). Ebenfalls zu den alten Tabuwörtern zählt „Blut“, ursprünglich in der Bedeutung ‚Körpersaft‘, dann im religiösen Sinn ‚Blut Christi‘. Insofern stehen emotionale Wendungen mit „Blut(s)-, blutig“ solchen mit „Scheiß“ einerseits und solchen mit „Kreuz“ andererseits nahe. Niemand hat aber ein schlechtes Gewissen, wenn er von einer „Bluadshitz, Bluadsarbeit, Bluadsschinderei, Bluadssauerei“ spricht oder wenn er seinem Ärger Luft macht, indem er schreit: „Bluadsaubere (bluadsauere) Màri!“. Bluad vo da Katz!“ oder „Bluadige Henagrepf!“