Immobilien
Unterwegs im Ghetto der Superreichen

MZ-Redakteur Pascal Durain sah sich in St. Moritz nach den letzten Schnäppchen auf dem Immobilienmarkt des berühmten Schweizer Bergdorfes um.

29.12.2013 | Stand 16.09.2023, 7:15 Uhr

St. Moritz – das ist „Top of the World“, der Ort, an dem die Superreichen und Stars aus aller Welt ihre Winterferien verbringen, an dem Geld keine Rolle spielt. Foto: dpa

In St. Moritz gibt es viele Türen zur Welt der Superreichen – die erste wird mir gerade aufgeschlossen:Chesa Aruons, fünfeinhalb Zimmer, Seesicht.Ich frage: „Schuhe anlassen oder ausziehen?“ Der Mann mit den Schüsseln wiegelt ab. „Nischte nötig“, und beginnt mit dem Rundgang. Ich stapfe mit schneeaufgeweichten Sneakern zunächst über die Granitfliesen Richtung Sauna, dann über Felle auf dem Marmorboden. Ansonsten ist alles sehr hölzern hier: Decken, Wände, Sichtbalken aus Fichte, Türen aus Arvenholz. „Chalet-Stil“ nennt das der Mann mit den Schlüsseln, Francesco Parli. Als wir das obere Geschoss der Luxus-Dachwohnung erreichen, sagt der gebürtige Tessiner nur: „Das isste etwas speziell.“ Da hat er recht. „Alles mit Naturmaterielle: Olz, Stein, Glas“. Eine in das Wohnzimmer integrierte, eingeglaste Dachterrasse. Naja.

Abwarten und Champagner trinken

Während mir der Grundschnitt gefällt, muss ich bei der Inneneinrichtung passen. Auch hier liegt oder baumelt überall totes Tier herum. Und genau so riecht es auch. Da hilft auch kein Probesitzen auf der borstigen, kuhfleckigen 20000-Franken-Couch. Auch die Lampe mit einem Ständer aus echtem Hirschgeweih müsste weg. Aber ich würde mir diese 10,5-Millionen-Residenz auf 300 Quadratmetern ohnehin niemals kaufen, ohne zuvor die zehn Quadratmeter größere 15-Millionen-Villa eine Straße näher am St.Moritzersee gesehen zu haben.

Seit Monaten stehen beide Immobilien zum Verkauf: Francesco Parli sagt, das sei kein langer Zeitraum. Optimismus hört sich dennoch anders an. Zumal Parlis Kunden verunsichert sein müssen seit die Schweizer Normalbürger im März 2012 per Volksentscheid entschieden haben, dem Ausverkauf des immer knapper werdenden Grunds durch Zweitwohnsitze einen Riegel vorzuschieben. Nun warten alle auf ein neues Gesetz. Doch wie das aussieht, weiß bis jetzt niemand. Klar ist bis jetzt nur, dass der Anteil an Zweitwohnungen pro Gemeinde nicht höher als 20 Prozent sein darf. In St.Moritz fällt jede sechste Wohnung in diese Kategorie. Folge: Die Superreichen warten selbst im Ort des prickelnden Klimas ab, ob sich eine Investition überhaupt noch lohnt. Seither quillt der Luxus-Immobilienmarkt des Bergdorfs über.

Gebaut wird immer

Gebaut wird dennoch wie eh und je. In St. Moritz-Bad, unterhalb des verglasten Wohnzimmers der Dachgeschosswohnung am Ostufer des Sees gelegen, ist das derzeit unüberhörbar. Überall Hämmern, Meißeln, Verputzen. Überall Bauarbeiter, die Schnee von den Rohbaudächern kehren. Last-Minute-Bau-Boom nennen das Schweizer Medien. Ganz normal sagen die Vertreter der Baubranche: Nebensaison sei Bausaison, 2014 stehe das 150-jährige Jubiläum von St. Moritz als Wintersportort bevor. Da hübscht man sich eben auf.

Einer, der ebenfalls professionell Immobilien besucht, ist Leandro Testa, ein groß gewachsener Mann mit grau meliertem Haar und Jägerhut. Testa errichtet und verkauft Luxusimmobilien – und er ist Politiker. Daher treffen wir uns konspirativ in einem unverdächtigen Café gegenüber des Rathauses in sicherer Entfernung zu den Millionärsvillen. Testa sitzt im Gemeinderat in den Ausschüssen für die Bob-Bahn, die Energie-Versorgung und in der Ski-Schanzen-Kommission. Im Bauausschuss sitzt er natürlich nicht. Er wäre befangen, sagt er, und würde sich wahrscheinlich pausenlos aufregen. Die Zweitwohnungsinitiative sei jedenfalls eine Art „öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung“.

Auch Testas Kunden – über die er mir nicht mehr verraten will, als dass es Unternehmer aus der ganzen Welt seien – überlegen nun zweimal, ob sie investieren sollen oder nicht. Aber Sorgen, dass er 2015, wenn das Gesetz endlich kommen soll, nichts mehr zu tun hat, macht er sich nicht. Die Nachfrage werde andauern, das Angebot weiter schwinden und die Preise treiben. Das sei seit Jahren so. Und überhaupt: „Es wird immer etwas zu renovieren, umzubauen oder abzureißen und neu zu bauen geben.“

Flucht auf die Terrasse

St. Moritz ist für Testa das „Paradies“. Vor allem, wenn er auf die Berge steigt und von dort aus das Panorama genießt. Hier oben entschied der damalige Bankenmanager 2004, der in allen Finanzmetropolen eine Wohnung besaß, zurück in seine Heimat zu kehren. Und hat es bis heute nicht bereut. „Ich mag die Kombination des Ruralen in einer einmaligen Naturlandschaft mit dem Städtisch-Mondänen hier. Man trifft immer sehr interessanten Menschen. Es ist ein Privileg, bereits zu Lebzeiten im Paradies zu leben.“

Einen Tag später bin ich davon noch immer nicht überzeugt. Francesco Parli sperrt die nächste massivhölzerne Eingangstür auf. Und verspricht, es werde wieder „etwas spezielle“. Ein russischer Stahlmagnat will seine Villa verkaufen. Der Mann sei wohl zu dem Schluss gekommen, dass sich sein 15-Millionen-Haus nicht rechne, wenn er nur zwei Wochen im Jahr dort verbringe. Mir sind derlei Nebensächlichkeiten erst mal egal: Ich bin viel gespannter, wie viel mehr Luxus fünf Millionen mehr ausmachen.

Doch schon im Flur folgt Ernüchterung: Was in der Chesa Aruons II noch mit einem dezenten Ziegenbockhorn-Türgriff anfing, ist in der Russenvilla –die Chesa Aruons I– ein Hirschgeweihensemble, mit dem Parli die Glasdoppeltür ins Wohnzimmer öffnet. Damit nicht genug: Wo keine echten Geweihe mehr da waren, um als Lampenständer, Kronleuchter oder Tischdeckenbeschwerer zu dienen, baute sich der Milliardär den Kopfschmuck eben aus Chrom an die Wand. Wer hier wohnt, trinkt früher oder später wahrscheinlich sogar Jägermeister statt Champagner. Ich fliehe auf die Terrasse.

Die hat es in der Tat in sich: Rechts plätschert ein Bächlein, die Sonne strahlt, der St. Moritzersee dampft unten im Tal vor sich hin, Neuschnee hat das letzte Grün zugedeckt. Es ist eine Traumkulisse für mich, den Träumer, der sich in Röhrenjeans und Wollmütze über dem 20-Euro-Haarschnitt soeben vorstellt, wo er Steinofen und Grill platzieren würde. Doch dann fällt mir ein, dass ich 423 Jahre als Redakteur arbeiten müsste, um diese Villa abzubezahlen (ohne Zins, Essen und Jägermeister, versteht sich).

55 000 Franken pro Quadratmeter

Ein „Kommen Sie bitte weiter“ von Francesco Parli holt mich endgültig zurück in die Realität. Parli will mir das Wein- und Zigarrenzimmer zeigen, das bedeutend kleiner ist, als ich es mir vorgestellt habe und außerhalb des Geweihfriedhofs liegt. Auf den fünf Quadratmetern stehen sich zwei Regale gegenüber, ein paar edle Tropfen schimmern im fahlen Licht, der Humidor ist leer, der Duft der Zigarren verflogen. Das teuerste Objekt steht in der Mitte des Raumes. Eine 50 bis 60 Jahre alte Schinken-Schneidemaschine. Mit dem Teil haben sie wohl die Hirsche bearbeitet. „Eine Maschine wie diese kostet ungefähr 15 000 Euro“, sagt Parli. Peanuts.

Vor drei Jahrzehnten hätte es sich der russische Milliardär vielleicht doch noch einmal anders überlegt. Damals, als der ehemalige Nestle-Manager Hanspeter Danuser Kurdirektor wurde, begann der Aufstieg des Orts zu dem, was er heute ist. Danuser kreierte den Claim „Top of the world“, er ließ St. Moritz als Marke eintragen und landete dafür auf dem Cover des Time-Magazins und des Wall Street Journals. Danuser wurde zum Gesicht des Dorfes mit dem „charmanten Snobismus“. Doch auch er hält 55000 Franken für einen Quadratmeter für „völlig krank“. Und fordert sogar eine Zeitenwende. „Mehr Landschaft und Natur, etwas weniger Wirtschaft.“

Over the Top of the World

Eine solche Wende ist durch die Windschutzscheibe von Franceso Parlis Audi nicht zusehen. Wir fahren, ich habe soeben vom Kauf der 15-Millionen-Villa abgesehen, in die Suvretta-Zone, das Villenviertel. Von St. Moritz. Wenn St. Moritz „Top of the World“ ist, ist Suvretta „Over the top of the World“. Wer hier wohnt oder verweilt, besitzt seine eigene Champagnermarke. Oder ein Wirtschaftsimperium. Kein Haus ist weniger wert als 50 Millionen. Parli geht vom Gas, grüßt den vorbeifahrenden Sicherheitsdienst und deutet auf eine Villa aus grauem Stein: „Die gehörte dem Schah von Persien.“ Jetzt residiere dort einer der reichsten Schweizer, bis 2010 besaß Familie Berlusconi das Haus. Gerade mal fünf Minuten fahren wir durch das Ghetto – dort das Haus des Besitzers von Heinz Ketchup, da drüben das des Fiat-Chefs, daneben Gucci, Heineken, Onassis. Die Besitzer sehen wir nicht, dafür Zäune, gewaltige Stahltore, Überwachungskameras. Parli hat genug und wendet.

Parli sieht die Zweitwohnungsinitiative noch negativer als Gemeinderat Testa. Die wirklich reichen Leute kämen eben nur im Winter in die Schweiz. Die Reform sorge für große Probleme für den Tourismus. Gut, dass sein Familienunternehmen Standbeine und Grundstücke in der ganzen Welt besitzt. „Wir werden sehen, wie es mit der Schweiz weitergeht“, sagt er und es klingt wie eine Drohung. Aber erst mal geht es für ihn jetzt nach Monaco. Geschäftlich natürlich.

Für mich geht es zurück in die Realität. Eine Welt ohne Hirschgeweihe. Klingt paradiesisch.