Handschriften
Versicherungswert 100 Millionen Euro

In Regensburg handeln die Gebrüder Ziereis mit mittelalterlichen Kostbarkeiten. Zuletzt fragte ein Milliardär nach Faksimiles einer Rothschild-Bibel.

20.05.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr
Thomas Dietz

Georg und Christian Ziereis (von links) und das Evangeliar Ottos III. – entstanden um das Jahr 1000. Foto: altrofoto.de Ziereis

Wie häufig mögen Autofahrer in der Jakobstraße den Blick schweifen lassen, weil die Ampel, die Einfahrt zum Arnulfsplatz gewährt, auf Rot steht? Dreht man den Kopf nach rechts, sieht man das weltberühmte Portal der Schottenkirche St. Jakob hinter seiner gläsernen Einhausung. Angeblich steckt das deftig-rustikale Ensemble aus dem 11. Jahrhundert immer noch voller Geheimnisse. Man könne sich, so heißt es, von dem rätselhaften Zyklus der zwölf an der Himmelspforte abgewiesenen, von Monstern bedrohten Figuren nur einen oberflächlichen Reim machen.

Wendet man den Kopf nach links, sind dort die beiden Schaufenster der Brüder Ziereis mit ihrem Fachantiquariat für mittelalterliche Buchkunst. Georg und Christian Ziereis haben sich vor knapp zwei Jahren an diesem Ort niedergelassen. Dass über die Bildsprache des Schottenportals immer noch gegrübelt wird, kann ihnen nur recht sein; eine magische Aura ist immer gut.

Präsente für Empfänge in Baku

Kundschaft kommt von weit her, aus Japan, den USA, neuerdings aus Aserbaidschan. Auch Liebhaber kostbarer Bücher aus Wismar, München, Regensburg und Umgebung schätzen Rat und Angebot der Ziereis-Brüder.

Jüngst stand die Leiterin einer imposanten Bibliothek in der Oberpfalz (Details werden noch nicht verraten) an der erwähnten roten Ampel. Als sie den Namen „Ziereis“ las, dachte sie an ihren in einem Bücherwinkel halb vergessenen Tisch, der als Geschenk eines Pfarrers vor 100 Jahren an die Bibliothek kam. Eine seit Ewigkeiten klemmende Schublade vermochte nur der herbeigerufene Schreiner zu öffnen. Zum Vorschein kam ein seltsam unbekanntes Buch aus dem 15. Jahrhundert, das die Brüder Ziereis richtig zuordnen konnten. Im Laufe des Jahres soll das sensationelle Fundstück der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Dass es zu jedem herrlichen Objekt im Antiquariat Ziereis und auch von jedem Kunden eine Geschichte zu erzählen gibt, ist offenbar. Da gibt es den Münchner Ingenieur, der sich im Dachstuhl seines Hauses einen Schrein für mittelalterliche Handschriften gebaut hat. Dorthin zieht er sich, einige Flaschen Rotwein im Arm, mit ausgewählten Freunden zurück, bis man zu fortgeschrittener Stunde vom Duft der Stiftsbibliothek in St. Gallen und dem einzigartigen Knarzen ihres Intarsienbodens schwärmt.

Mit der Leuchtlupe über den Seiten

Es gibt Kundschaft, die sich das mystische Book of Kells aus dem frühen Mittelalter als Faksimile-Ausgabe für 7500 Euro von ihrer Bank finanzieren lässt, um dann wochenlang mit der Leuchtlupe über Ocker und Sepia, Lapislazuli-Blau, Purpur, Gold und Silber der Illustrationen zu fahren oder das Rankenwerk auf okkulte Botschaften hin zu untersuchen.

Neuerdings gehört auch der aserbaidschanische Präsident zu den Ziereis-Kunden. „Dort“, sagt Christian Ziereis, „herrscht nach der Erschließung neuer Ölfelder Goldgräber-Stimmung“ – und man sucht für die erlesenen neuen Empfänge und Bankette in der Hauptstadt Baku nach angemessenen Präsenten. Die Büchersendung erfolgt ab Regensburg per Spezial-Spedition zum Preis von rund 400 Euro. Schiefgegangen ist da noch nie etwas.

Originale lagern ohnehin zu 99 Prozent in Bibliothekstresoren. Doch das berühmte Jakobsbuch, der Codex Calixtinus, eine Reisebeschreibung aus dem Hochmittelalter, wurde vor drei Jahren aus der Kathedrale von Santiago de Compostela gestohlen. Als das kleine Stundenbuch des Lorenzo I. de’ Medici (genannt „der Prächtige“) im vorigen Jahr in Mannheim ausgestellt wurde, betrug sein Versicherungswert 100 Millionen Euro.

Eine Oberpfälzer Schulklasse hat neulich das Antiquariat Ziereis besucht – weder augenrollend noch smartphonewischend. Die Schüler waren von den kostbaren Handschriften kaum wegzukriegen und stellten präzise Fragen, zum Beispiel, wie man so etwas Filigranes denn überhaupt druckt?

„Es gibt nur wenige Druckereien, die diese Technik beherrschen“, erläutert Christian Ziereis, „vielleicht ein Dutzend weltweit. Dabei bedient man sich eines enorm aufwändigen, stochastischen Druckverfahrens. Manchmal sind 2000 Andrucke pro Seite nötig, bis alle Goldtöne exakt passen.“

„Bitte noch weitere fünf Stücke ...“

Als im Januar das New Yorker Auktionshaus Christie’s das Rothschild-Gebetbuch, eine Handschrift auf Pergament aus dem frühen 16. Jahrhundert, für 13,6 Millionen Euro versteigerte, kam auch das Antiquariat Ziereis ins Spiel. Der Käufer, ein unbekannter Milliardär aus Europa, wandte sich über einen Gesandten an die Regensburger, um weitere fünf Faksimiles dieses Gebetbuches zu kaufen. Die Ziereis-Brüder hatten nur zwei Exemplare in ihren Geheimmagazinen vorrätig, wussten aber als einzige, wo noch drei Stücke aufzutreiben waren.

„Der Eigentümer will diese Faksimiles verschenken“, sagt Christian Ziereis. Sozusagen als gehobenes Give-away, wenn er sein Original präsentiert hat.

Buchkunst aus Regensburg

Wer sich einen bleibenden Eindruck über die Leistungsfähigkeit der mittelalterlichen Buchwerkstätten in Regensburg verschaffen möchte, dem sei die Ausstellung „Die Gumbertusbibel – goldene Bilderpracht der Romanik“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg empfohlen.

Dabei ist es nicht nur das 40 Kilo schwere, in Holzbretter gebundene Prachtstück, das um 1180/1185 in oder im Umfeld des Regensburger Stifts Obermünster entstand und bei stark verminderter Raumtemperatur und Helligkeit gezeigt wird.

Bei fast allen übrigen Exponaten, etwa der Astronomia des Abtes Wilhelm von Hirsau (†1091) oder beim Hexameron des Benediktinermönches Honorius Augustodunensis (†1150 oder 1151) tauchen das Kloster St. Emmeram oder die „Inklusen-Kolonie St. Peter vor Regensburg“ auf. Sie dokumentieren das hohe künstlerische und intellektuelle Niveau im damaligen Regensburg.