Miteinander
Wie ein Inder die Deutschen sieht

Gurdatar Singh Bal, ein interkultureller Berater für Ländertrainings zum weltweit besseren Verständnis, war zu Gast in Cham.

18.12.2014 | Stand 16.09.2023, 7:08 Uhr
Rosi Rackl
Beim Vortrag waren auch die Besucher zum Mitmachen aufgefordert. −Foto: Fotos: crr

„Die Deutschen sind wie Kokosnüsse – harte Schale, weicher Kern. Die Amerikaner sind wie Pfirsiche – weiche Schale, harter Kern.“ Das sagt Gurdatar Singh Bal, und er sagt es ohne zu werten. Der Inder ist interkultureller Berater für Ländertrainings zum weltweit besseren Verständnis untereinander.

„Zu seiner Mentalität kann jeder gut stehen, das ist halt so“. Wichtig sei es aber, die Unterschiede zu kennen. „Sie müssen sich nicht verstellen oder sich den Sitten oder Gebräuchen anderer Nationalitäten anpassen, sonst verlieren sie ihre Authentizität. Aber: man muss halt wissen, wie man damit umgeht“.

Menschen aus anderen Kulturen

Um „fit zu sein im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen“, hatte die vhs Cham unter dem Motto „Interkulturell lehren und lernen“ den Referenten Gurdatar Singh Bal in den Randsbergerhof nach Cham eingeladen. Alfons Klostermeier, der stellvertretende Vhs-Geschäftsführer, hieß die Besucher willkommen. Zum Einstieg stellte der Referent gleich eine Frage:

„Was hätten sie gedacht, wenn ich gesagt hätte, dass ich Sepp Maier heiße“, stellte der Mann mit dem rubinroten Turban die Gegenfrage auf die Frage aus dem Publikum, seit wann er in Deutschland sei. Damit machte er gleich zu Beginn zwei Dinge deutlich: Zum einen kann und soll jeder Mensch zu seiner Nationalität stehen. Zum anderen sei es in vielen Ländern, vor allem im asiatischen Raum, absolut unüblich, so direkt eine Frage zu stellen oder sie so klar zu beantworten.

Zwischen den Zeilen

Die Deutschen seien für ihre Direktheit bekannt und gar gefürchtet, für sie gelten ganz klare „lineare“ Strukturen. „Besonders in der Kommunikation tauchen deshalb oft Probleme auf“, sagt Singh Bal. Ein „Nein“ komme in vielen Ländern so gut wie nie vor. Stattdessen winden sich etwa die Inder lieber durch Floskeln.

„Viele Sachverhalte werden hier zwischen den Zeilen vermittelt“, so Singh Bal. Ein Beispiel: Lieferschwierigkeiten würden Inder nie unverblümt zugeben, denn das gelte als unhöflich“. Beim Satz: „Wir versuchen unser Bestes“ sollten Geschäftsleute skeptisch werden. Und schon war Bal mittendrin in seiner Thematik rund um das Völkerverständnis untereinander und die vielen Missverständnisse, die dabei entstehen können.

Wenig Risikobereitschaft

„Was ist, wenn ich als Inder jeden Tag zu spät komme?“ fragte er in den Raum. Die klare Antwort aus dem Publikum: „Einmal geht das schon, aber ab dem zweiten Mal gelten Sie als unzuverlässig.“ Doch in Indien sei das kein Problem, „dann ist halt etwas dazwischen gekommen.“ Der Umgang mit der Zeit würde in vielen Ländern viel lockerer gehandhabt, wie in Deutschland. Pünktlichkeit sei ein typisch deutsches Verhalten, das in vielen Ländern befremdlich wirke. Termine sollten deshalb lange im Voraus geplant werden. Die Deutschen seien sehr sicherheitsbezogen und zeigten keine hohe Risikobereitschaft. Werte wie Sachorientierung, Zeitplanung, Regeln, Strukturen, Perfektionismus und Kontrolle seien in Deutschland üblich. Auch die Abgrenzung zwischen „privat“ und „geschäftlich“ sei typisch deutsch.

Insgesamt verglich Bal die einzelnen Nationalitäten mit Eisbergen. Nur die Spitze sei sichtbar, der Rest bleibe im Verborgenen. Rund 80 Prozent der Weltbevölkerung würden beziehungsorientiert arbeiten und handeln, nur 20 Prozent, darunter die Deutschen, agierten sachorientiert. „Der Deutsche sagt: Ich arbeite gut, deshalb mag mich mein Chef. Der Asiate ist überzeugt: Ich mag meinen Chef, deshalb arbeite ich gut.“ Für die Europäer seien die ständigen Fragen nach Herkunft, Familienstand und Kindern ungewohnt. Dabei sei das keineswegs Neugierde. Im Gegenteil: Beziehungsbezogene Nationalitäten versuchten auf diese Weise, etwas über ihren Chef zu erfahren.

Weltmeister im „Small Talk“

Erzählt der deutsche Kollege, dass er dreimal geschieden ist, ziehen sie seine entsprechenden Schlussfolgerungen. „Sie denken, dass er keine Verantwortung übernehmen will und nicht teamfähig ist“, sagt Singh Bal, „und der Deutsche wundert sich dann, weil er nie eingeladen wird.“

Ganz anders die Mentalität der US-Bürger. „Kann gut sein, dass ein amerikanischer Geschäftspartner sie dreimal zum privaten Barbecue einlädt, gehen sie trotzdem nicht hin, er meint das nicht ernst.“ Die Amerikaner seien Weltmeister im „Small Talk“, was sie auf den ersten Blick sehr offen erscheinen lasse. Während im arabischen Arbeitsleben Werte wie Religion, Moral, Ehre und Familie im Vordergrund stünden, sei es den Asiaten am wichtigsten, ihr Gesicht nicht zu verlieren.

„Zerbricht ein deutsches Kind eine Tasse, so steht es dafür gerade und entschuldigt sich. Ein asiatisches Kind wird die zerbrochene Tasse klammheimlich in Nachbars Mülltonne entsorgen“, machte der Referent auch die unterschiedlichen Reaktionen von Schuld- und Schamverhalten deutlich, die dem Menschen bereits in die Wiege gelegt seien.

Asylbewerber brauchen Zeit

Kurze humorvolle Filmausschnitte und Werbespots im Vortrag unterstrichen Bals kurzweilige Ausführungen. Mit einem Blick in die Zukunft meinte Bal abschließend: „In den beziehungsorientierten Nationen bekommen die Menschen die beste Ausbildung und sind somit für die Zukunft hervorragend gerüstet. Sie werden künftig die Wirtschaft dominieren. Darüber müssen sich die Deutschen im Klaren sein, wenn sie auf dem Weltmarkt am Ball bleiben wollen.“In Bezug auf die Asylbewerber, die derzeit nach Deutschland kommen, meinte ein Zuhörer im Anschluss an den Vortrag: „Den Neuankömmlingen gegenüber haben wir nicht nur eine „Bringschuld“, sie müssen auch unsere Regeln akzeptieren.“ Bal stimmte dieser Ansicht grundsätzlich zu, gab jedoch zu bedenken, dass die Asylanten keine Möglichkeit hätten, sich auf das Gastland vorzubereiten. Es sei ein langer Lernprozess, sich einzugewöhnen und man müsse ihnen die Zeit dafür zugestehen.

Zufällig nach Deutschland gekommen

Wieso kamen Sie gerade nach Deutschland?

Mich hat schon immer der technische Bereich interessiert, dass ich nach Deutschland gekommen bin, war eher Zufall.

Welchen Eindruck haben Sie von Cham, von unserem Landkreis?

Den Landkreis speziell kenne ich nicht so gut, ich weiß nur, dass man hier im Bayerischen Wald gut wandern kann. Bayern finde ich auf einer Seite sehr traditionell, aber auch sehr modern, die sind auf einem guten Weg.

Wie ist für Sie als „beziehungsorientierter Mensch“ der Umgang mit uns „linearen Deutschen?

Wenn man die Leute nicht kennt, empfindet man das Verhalten der Deutschen schon als „kalt“. Aber wenn man die Menschen näher kennenlernt, verschwindet die Kälte. Aber ich bin ja nicht nur in Deutschland, sondern halte zu 80 Prozent Vorträge in der ganzen Welt.

Was halten die Inder von uns Deutschen?

Die Deutschen haben ein sehr gutes Bild in Indien, zum Beispiel, was die Technologie angeht. Die Inder wissen auch, dass die Deutschen weltweit sehr viele Hilfsprojekte und Unterstützung anbieten. Auch zur Geschichte haben wir unsere eigene Ansicht, wir sehen Hitler nicht als negativ an, weil die Deutschen den Indern vor dem zweiten Weltkrieg ganz viel gegen die Briten geholfen haben.

Hat der 2. Weltkrieg etwas mit dem von Ihnen angesprochenen Schuldverhalten der Deutschen zu tun?

Ja, das Schuldgefühl der Deutschen hat sich ganz klar nach dem 2. Weltkrieg durch die Erfahrungen während des Krieges entwickelt.