Trainingsmethoden
Wo der Eisbärenspieler zum Baby wird

Feldenkrais-Coach Bernhard Westermeier stellt Bewegungsprobleme. Igor Pavlov findet es genial einfach und einfach genial.

30.01.2019 | Stand 16.09.2023, 5:51 Uhr

Eifrig dabei: Eisbären-Kapitän Peter Flache findet, dass er durch die Feldenkrais-Trainingseinheit lockerer in der Hüfte und im Rücken geworden ist. Foto: Christian Brüssel

Donau-Arena, Eingang Ost: Dort, wo sonst die Zuschauer bei den Spielen einmarschieren, liegt Peter Holmgren neben Jonas Leserer, Kapitän Peter Flache neben Erik Keresztury auf der Matte. Denn Mittwoch ist ein besonderer Tag. Bevor die Eishockeyspieler der Eisbären vom EV Regensburg abends aufs Eis gehen, tun sie etwas, was sie bis vor ein paar Wochen nicht kannten. „Keiner kannte das“, sagt Verteidiger Philipp Vogel.

Immer mittwochs ist Bernhard Westermeier für 30, 40, 45 Minuten der Chef, nicht Trainer Igor Pavlov. Er macht nichts vor, sondern stellt nur Aufgaben. Es geht nicht darum, Gewichte zu stemmen und Muskelmasse aufzubauen oder an der Schlittschuhtechnik zu feilen. Diesmal umfassen die Spieler mit dem Zeigefinger der rechten Hand ihren rechten Zeh. „Jetzt bewegst du das rechte Bein dahin, wo du es hinbewegen kannst“, sagt Westermeier. 20 Eishockeyspieler testen. „Wo sind deine Grenzen? Die setzt du dir selber. Geht zum Beispiel der rechte Ellenbogen um das rechte Knie? Kannst das rechte Bein nach hinten legen? Das ist Ausdehnung von Grenzen. Mache es nur in dem Maß, solange es einfach ist, mache nichts mit Gewalt. Je einfacher, desto mehr verbessert es die Qualität“, weist Westermeier an. Die Spieler folgen brav, als würde der Trainer erklären, wer auf dem Eis wo zu stehen hat. Dann kommt die andere Seite. „Du hängst dich links ein. Jeder hat eine Schokoladenseite. Und jetzt schau, was der Unterschied ist.“ Die Pausen sind auch wichtig, „damit das Nervensystem die Informationen verarbeiten kann. Das passiert in kürzester Zeit.“

Es geht um Prävention – auch

Bernhard Westermeier, 54, ist ein ehemaliger Läufer. Marathon-Bestzeit immerhin 2:29 Stunden. Und er ist EVR-Fan. Seit 30 Jahren. Vor 25 Jahren hat er die Feldenkrais-Methode für sich entdeckt, seit 2006 ist er Lehrer nach dieser Methode. Er arbeitet mit jungen und alten Leuten, mit Hausfrauen, mit Tischtennis-Spielern und Musikern. In Sonthofen war es Zeit für Eishockey: Westermeier sprach Igor Pavlov an, fragte nach, ob sich wer und wie um Verletzungsprävention kümmere. „Letztendlich wirkt es sich aber auf ganze Persönlichkeit aus, erzieht die Spieler zur Selbstverantwortung“, sagt Westermeier. Pavlov ließ sich die Feldenkrais-Methode erklären und war begeistert. „Auch mir war das neu. Es ist einfach genial und genial einfach. Ich wusste, wir sollten das machen.“

Und Bernhard Westermeier war begeistert, wie Pavlov reagierte. „Wenn ein Trainer das nicht vollkommen unterstützt, hast du wenig Chancen – und die meisten haben ihr System“, sagt der Feldenkrais-Lehrer. „Igor ist äußerst interessiert an Verbesserung, ist einer, der alle Ressourcen anzapfen will, sie überprüft und wenn sie etwas sind, dann nimmt er sie. So jemand ist eine Ausnahme, ein Glücksfall.“

Die wenigstens für Eishockeyspieler (noch) ungewöhnliche Trainingsmethode, die die Eisbären in ihr Wochenprogramm eingebaut haben, ist benannt nach dem Moshe Feldenkrais, der 1984 starb. Das Prinzip ist einfach, wenn man Bernhard Westermeier zuhört. „Qualität musst du im Langsamen erlernen, um sie schnell umsetzen zu können“, sagt er. Und: „Wir arbeiten nach dem Prinzip der menschlichen Entwicklung. Was wir heute gemacht haben, war der Schritt von einem Baby, das auf dem Rücken liegt. Ein Peter Holmgren oder Peter Flache kennen das von ihren Kindern. Wir vergessen, wir verlernen das. Aber warum nicht anzapfen, wenn wir es doch haben. “

Das Interessante: Die Spieler fanden gar nicht so seltsam, was der Trainer da Neues für sie ausgegraben hatte. „Es wurde positiv angenommen vom Team“, sagt Pavlov. „Das ist selten. Bei etwas Neuem fragt ein Eishockeyteam oft: Brauchen wir das zusätzlich, ist es nicht zuviel? Hier hat die Mannschaft nach der ersten praktischen Stunde große Begeisterung ausgestrahlt.“

Ob älter oder jünger, die Spieler bestätigen das. „Es war nicht komisch, weil es immer interessant ist, etwas Neues zu lernen“, sagt der erfahrene Kapitän Peter Flache mit seinen 36 Jahren. Flache hat ein weiteres Feldenkrais-Grundprinzip verinnerlicht: „Du musst denken, du bist ein Skelett, ohne Muskeln“, sagt er und setzt um. „Ich schaue, wie ich mich nachher auf dem Eis fühle. Und ich bin lockerer in Hüfte und Rücken. Für mich ist das ganz wichtig.“ Und Philipp Vogel, noch 20, sagt: „Es ist spannend, ich habe mehr über meinen Körper gelernt. Im Moment danach kann man einige Veränderungen spüren. Details sind oft wichtig, zum Beispiel für die Stabilität im Zweikampf.“

Allerdings: Ein wenig ist es auch eine Sache der Vermittlung. „Wenn ich zum Eishockeyspieler sagen würde: Spür dein Becken, spür den Nacken, spür deine Schultern, spür, spür spür, dann rennt der auf und davon“, sagt Bernhard Westermeier. „Bei einer Frau geht das, weil die das gerne macht. Beim Mann fange ich mit einem Problem an. Er will ein Problem lösen.“

Divis bringt Bein auf den Kopf

Inzwischen fragen Spieler wie Tomas Gulda, was sie zusätzlich für sich machen können. Und Richard Divis vermeldet, dass er seinen Fuß schon auf den Kopf bringt. „Das haben wir in der ersten Stunde gemacht“, sagt Westermeier. „Die Spieler merken: Es gibt etwas, wo ich mich verbessern kann.“

Westermeier hat die Regensburger Eishockeyspieler als „neugierige, junge Leute, die lernen wollen und die letzten Prozent rauskitzeln“ kennengelernt. Zumal es „nichts mit Anstrengung zu tun hat. Verbesserung der Qualität erreiche ich nur, wenn ich die Anstrengung in dieser Stunde weglasse. Das hat man gemerkt: Sobald die Spieler aufgepasst haben, ob sie schnaufen oder nicht, war Ruhe. Alles andere war Gestöhne – und das verändert nichts.“

Vielleicht, vielleicht, ist das Feldenkrais-Training ja ein Mosaiksteinchen, dass es so gut – viel besser als so mancher Fan dachte – läuft beim Tabellenführer der Eishockey-Oberliga. Denken die Spieler an manche Übung schon im Spiel? „Nein, so tiefgreifend ist es noch nicht“, sagt Philipp Vogel. Bernhard Westermeier aber denkt daran, das Repertoire irgendwann aufs Eis zu erweitern und speziellere Aufgaben zu stellen. „Aber so weit sind wir noch nicht.“

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