Dialektserie
Frong S’ den Zehetner: „Jetzt wird unser Buzerl bald zwazeln“

29.10.2022 | Stand 15.09.2023, 3:04 Uhr
„Buzi, Buzerl, Schnuckibuzi“ – der Wortstamm „Butz“ oder „Wutz“ signalisiert die geringe Größe von Babys. −Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

„Frong S’ den Zehetner“ ist die am längsten laufende Serie der MZ. Leser fragen, der Dialektforscher antwortet. Die Serie mit Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Ludwig Zehetner erscheint immer am letzten Freitag im Monat in der MZ und auf mittelbayerische.de



1. Zwazler, Zwackerl, Zwaschperl

Kleine Kinder „krabbeln (grawln, grawen)“ auf dem Boden, bevor sie laufen lernen. Sobald sie sich aufrichten, sagt man, sie „stuzeln, zwazeln“, womit gemeint ist, sie bewegen sich mit unsicheren kurzen Schritten vorwärts. Daher nennt man sie „Stuzler, Stuzerl, Zwazler“. Eine Variante zu letzterem Wort ist „Zwaschperl“. Mit „Zw“ beginnen auch „Zwack, Zwackerl, Zwuckl, Zwurgl“, jeweils mit demselben Anlaut wie „Zwerg“, dessen Verkleinerungsform „Zwergerl“ ebenfalls für Kleinkinder gebraucht wird. „Zwack“ nennt der Schuster den kurzen hölzernen Stift, mit dem er die Sohle fixiert, bevor er sie festnagelt. Die Koseformen „Zwackl, Zwackerl“ nehmen Bezug auf die Winzigkeit. Zu einem kräftig entwickelten, eher molligen Kleinkind sagt man „Zwuckl“ oder „Zwurgl“, an sich Bezeichnungen für einen kräftigen Gehstock mit gegabeltem Griff; bei dem Wort handelt es sich wohl um eine Kurzform von „Zwiefurkel“ (zweizinkige Gabel). Ein „z“ findet sich auch in weiteren Kosenamen für Kleinkinder: „Buzi, Buzerl, Schnuckibuzi, Wuzi, Wuzl, Wuzerl, Stuzerl“. Der Wortstamm „Butz“ oder „Wutz“ signalisiert die geringe Größe. Man könnte annehmen, „Wuzerl“ sei eine Variante von „Buzerl“. Doch man darf auch das Verb „wuzeln“ (reibend drehen, rollen) heranziehen, und zwar im Sinne von ‚umarmend drücken’ (norddeutsch „knuddeln“). In Carl Orffs Weihnachtsspiel „Ludus de infante mirificus“ wird das kleine Jesuskind in der Krippe „a wunderwinzigs kloans Wuzl, a goldigs Speranzl“ genannt. In „Speranzl“ steckt italienisch „speranza“ (Hoffnung), und zwar im Sinne von ‚geliebte Person, in die man seine Hoffnung setzt’.

Für Sepp Hottner

2. Binder, Spangler, Scheuchenpflug

Ein Handwerker, der Fässer herstellt, heißt „Fassbinder“ oder einfach „Binder“. In Oberbayern üblich ist die Bezeichnung „Schäffler“ (zu Schaff), bekannt vom Münchner Schäfflertanz, der figural als Glockenspiel im Rathausturm zu sehen ist. In anderen Regionen Deutschlands heißt dieser Handwerker „Küfer“ (zu „Kufe“, einem alten Wort für ‚Fass‘) oder „Böttcher“ (zu ‚Bottich‘). Ein kleines „Schaff“ ist ein „Schäffel, Schàffl, Schàffe“. Von jemandem, der sich erstaunlich viel merken kann, sagt man, er/sie habe einen „Schàfflkopf“. „Scheffel“ war ein früheres Getreidemaß. Daher kommt es, dass man unter „scheffeln“ versteht: ‚Geld in großen Mengen anhäufen‘. – Die Berufsbezeichnung ‚Installateur‘ ist relativ neu; traditionell heißt er bei uns „Spengler“, mundartlich „Spàngler“, hergeleitet von „Spange“; er fertigte nämlich Spangen und Beschläge. Weil er früher auch blecherne und zinnerne Flaschen herstellte, blieb in manchen Gegenden der „Flaschner“ erhalten. („Klempner“ ist in Bayern nicht üblich). Mit dem Wandel des Berufsbilds verschwinden allmählich die alten Wörter. Immerhin firmieren manche Betriebe auch heute als „Spenglerei, Karosserie-Spenglerei, -Flaschnerei“.

Alle alten Berufe treten als Familiennamen auf: Schmid (Schmidt, Schmitt), Müller, Schneider, Schuster, Binder, Spengler, Zimmermann usw. Besonders reizvoll sind sogenannte Satznamen, scherzhafte Benennungen von charakteristischen Tätigkeiten des Handwerkers.

Übernamen für den Schmied waren „Schwinghammer, Schwingenschlögl, Schürnbrand, Frischeisen, Flickenschild, Hauenschild, Wagensonner“ (zum alten Wort „wagensun“ für ‚Pflugschar’). Mit „Zirngibl“ liegt ein Übername für den Maler vor (‚Zier den Giebel’). Ein Schuster konnte „Knieriem, Knyrim“ genannt werden nach einem von ihm verwendeten Arbeitsutensil. Mit „Scheuchenpflug“ verspottete man einen arbeitsscheuen Landwirt. Ob es ein Metzger oder ein Zimmermann war, der als „Schwingshackl“ bezeichnet wurde, sei dahingestellt. Andere solche Satznamen liegen vor mit „Wagenpfeil, Schlagintweit, Kistenpfennig“ (‚Küsst den Pfennig’, Spott über einen Geizhals, Wucherer). Ein Schankwirt, der sein Bier am liebsten selber trank, erhielt den Namen „Schlicksbier“. Auch einer der ganz Großen der Weltliteratur trug so einen Namen: „Shakespeare“ (schüttle den Speer).

Angeregt von Albert Kräuter

3. Mach deine Salzbüchseln auf!

So sagte meine Großmutter zu mir, wenn sie meinte, ich solle die Augen aufmachen, also aufmerksamer und genauer hinschauen. Wie erklärt sich der Ausdruck „Salzbüchseln“ für die Augen? Er bezieht sich wohl auf das gläserne Schälchen-Paar mit einem Steg und Griff in der Mitte, das früher auf dem Esstisch stand, so dass Salz und Pfeffer allzeit verfügbar waren. Der Vergleich des Gegenstands mit einer Brille oder dem Augenpaar liegt nahe. Hervortretende Augäpfel nennt man nicht etwa ‚Glupschaugen‘, sondern „Bàtzlaugen“ oder „Baroller“ (große Schusser-Kugeln). „Batzlaugert“ kann ein Mensch sein, oder „rinnaugert“ (triefäugig).

Für ‚einäugig‘ sagt man im Dialekt „oa-augad, oa-augk, oanàgk“. Und was ist gemeint, wenn jemand „vieraugert“ ist? „Vieraugerte“ haben scheinbar zusätzlich zu den eigenen Augen noch zwei, weil sie eine Brille tragen.

Auch für andere Teile des Gesichts kennt man metaphorische mundartliche Bezeichnungen. Eine Nase von beachtlicher Größe oder Form wird „Zinken“ genannt oder „Kumpf“, was in der Grundbedeutung den ‚Wetzstein-Köcher‘ bezeichnet. Eine Hakennase kann „Löschhorn, Löschhörndl“ (Gerät zum Löschen der Altarkerzen) heißen oder „Kerschhackl“ (Haken zum Herabziehen der Zweige bei der Kirschernte). Eine Nase mit leicht nach oben weisender Spitze ist eine „Himmelfahrtsnase“; liebenswerter klingt es, wenn so ein Stupsnäschen „Himmelschmeckerl“ genannt wird (zu „schmecken“ = riechen, schnüffeln, wittern). Für die Ohren sagt man meist „Ohrwàschel“, auch „Wàschel“ allein. Über junge Leute, die sich in Angelegenheiten einmischen, für die sie angeblich zu unreif sind, sagt man, sie seien noch „nicht ganz trocken hinter den Ohrwaschln“. Eine andere Bezeichnung für die Ohren ist „Luser“ (zu „lusen, losen“ = zuhören, horchen, lauschen).

4. Hoits enga Mài!

Den Mund nennt man meist „Maul (Mài, Mààl)“ oder „Goschn“. Man befiehlt: „Hoits enga Mài!“ oder „Hoit dei Goschn!“ Recht aussagekräftig sind die Adjektive wie „gschroamàiert (-mààlert), gschroagoschert, plärrgoschert (bleagoschad)“, mit denen man Leute qualifiziert, die überall das Maul aufreißen, zu viel und zu laut reden. Ein auffällig großer und hässlicher Mund oder ein weinerlich verzogenes Gesicht ist „a Bàppm, Beppm, a Lädschn“. Wer eine Enttäuschung hinnehmen muss, beleidigt ist, macht „a Beppm her“ oder lässt „d’Lädschn hänga“. Weitere Wörter für ‚Gesicht’ sind „Gfrieß, Fisàsch“. Ersteres gehört (wie norddeutsch „Fresse“) zum Wortstamm „fressen“, das zweite ist eine Entlehnung von französisch „visage“. Wohl nur im Bairischen nennt man die Zunge den „Bleschl“. Recht originell ist der Ausdruck „Schublàdl“ für zu weit hervor stehenden Unterkiefer, wobei die unteren Schneidezähne vor den oberen stehen (Überbiss). Gerade ein Mädchen ist übel dran, wenn es „gschublàllert“ ist, also quasi mit einer kleinen Schublade ausgestattet.

Auch „(der) Foz, (die) Fotzn“ sind Bezeichnungen für ‚Mund, Gesicht’. Mit diesen Wörtern muss man allerdings vorsichtig sein, wenn Norddeutsche zuhören; denn sie verstehen unter „Fotze“ etwas ganz anderes und schreiben das Wort oft mit „V“. Krass missverstehen könnten sie die Aufforderung „Halt dei Fotzn!“, wenn sie nicht wissen, dass hierzulande sowohl Weiblein als auch Männlein „eine Fotzen, einen Fooz“ haben. Nur wenn man das weiß, versteht man richtig, was mit „Fotzenspangler, Fozhobel“ gemeint ist, nämlich: ‚Zahnarzt, Mundharmonika’. Kaum auszudenken, was sich Nichtbayern darunter vorstellen könnten! „Do bleibt dir der Foz sauber“, sagt man und meint: Davon kriegst du nichts, du gehst leer aus. Über jemanden, der dazu neigt, ungezügelt und in ordinärer Art zu reden, sagt man: „A Fotzn hot die/der wiar a Schààrschleiffa“ (die herumziehenden Scherenschleifer hat man verachtet und gescheut). Dass die Duden-Redaktion keine Ahnung von bairisch „Fotze(n)“ hatte, beweist der Eintrag zum Stichwort „hinterfotzig“ im 6-bändigen Großen Wörterbuch der deutschen Sprache (1977). Dort steht nämlich: „eigentlich = (von Frauen) mit einem nahe dem After liegenden Geschlechtsteil; zu Fotze; (mundartlich, besonders bayr., sonst derb).“

Korrekt ist die Bedeutungsangabe ‚heimtückisch, hinterhältig, hinterlistig, unaufrichtig‘, jedoch die Angaben zur Herkunft sind höchst blamabel und peinlich. In der neuen Auflage (1999) hat man sie getilgt und ersetzt durch ‚Herkunft unbekannt‘; die Herleitung von einem bairischen Wort will man partout nicht akzeptieren

Zwei Beiträge für Marion Walter (Flensburg)