Medizin
Der letzte Abtreibungs-Arzt

Dr. Michael Spandau ist der einzige Gynäkologe, der in Niederbayern Abbrüche durchführt. Er erklärt, warum er Frauen hilft.

04.09.2019 | Stand 16.09.2023, 5:32 Uhr
Paula Kolhep

Die große „Stern“-Aktion „Wir haben abgetrieben“ im Jahr 1971 hat Dr. Michael Spandau als Medizinstudent in Marburg erlebt. Sie war der Grund, warum er sich entschloss, als Gynäkologe auch Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Er sagt: „Frauen haben das Recht, sich gegen eine Schwangerschaft auszusprechen“. Foto: Kolhep

Frauen, die in Niederbayern ungewollt schwanger geworden sind und die eine Abtreibung vornehmen lassebn wollen, stehen vor einem großen Problem. Es ist sehr schwierig, einen Arzt zu finden, der den Abbruch durchführt. Dr. Michael Spandau ist der einzige verbliebene Gynäkologe, der den Eingriff vornimmt.

Obwohl er eigentlich bereits im Ruhestand ist, operiert der gebürtige Niedersachse weiterhin in einem Kompetenzzentrum für ambulante OPs in Passau. Seine ethische Haltung dazu ist klar: „Ich halte Schwangerschaftsabbrüche für keine gute Sache“, sagt der 71-Jährige selbst. „Aber ich verstehe, dass eine Frau auch das Recht haben muss, sich gegen eine Schwangerschaft auszusprechen.“

Sein Medizinstudium begann Spandau 1968 in Marburg an der Lahn in Hessen. Während seiner Studienzeit, im Juni 1971, erschien die Stern-Ausgabe mit dem berühmten Titel „Wir haben abgetrieben!“. In dem Heft bekannten sich 374 teilweise prominente Frauen öffentlich dazu, eine Abtreibung gehabt zu haben – obwohl der Eingriff nach damaliger Gesetzeslage rechtswidrig und im Gegensatz zu heute auch nicht straffrei war.

Mit Stricknadeln und Seife

Diese plakative Aktion war mit ein Grund, weshalb sich Spandau, als er Facharzt für Gynäkologie war, entschloss, auch Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. „Ich habe ja noch Frauen erlebt, im Studium oder auch am Anfang meiner Ausbildung, die illegale Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt haben: Seifenaborte, Stricknadeln und ähnliches, und die mit ihrer Gesundheit oder mit ihrem Leben bezahlt haben“, sagt Spandau.

Dass Frauen in Deutschland nach der jetzigen Gesetzeslage nicht mehr gezwungen sind, solche Risiken in Kauf zu nehmen, sondern auf legalem Weg einen für sie wenig riskanten Eingriff durchführen lassen können, sieht Spandau daher positiv. Allerdings: Das Stigma sei geblieben, für die Patientinnen wie für die Ärzte. Abtreibungen sind laut Strafgesetzbuch auch heute noch rechtswidrig. Ein Abbruch bleibt aber straffrei, wenn er unter die Beratungsregel, die medizinische oder die kriminologische Indikation fällt. Unter der Beratungsregel wird verstanden, dass die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff in einer anerkannten Beratungsstelle eine Schwangerschaftskonfliktberatung wahrnimmt. Zudem dürfen seit der Befruchtung nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein.

Es kommt immer wieder vor, dass Spandau auch Anfragen von Frauen erhält, deren Schwangerschaft diese Zeitspanne bereits überschritten hat. In so einem Fall kommt ein Eingriff für ihn nicht in Frage: „Das ist ganz klar, es gibt eine rechtliche Grundlage, und auf dem Boden dieser rechtlichen Grundlage mache ich die Arbeit.“ Schwangerschaftsabbrüche nach einer Vergewaltigung fallen unter die kriminologische Indikation. Ist die Gesundheit der Schwangeren gefährdet oder ergab eine pränatale Untersuchung eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung des Embryos, ist ein Abbruch aufgrund einer medizinischen Indikation möglich. Abtreibungen sind hier auch nach der zwölften Schwangerschaftswoche straffrei.

Mit etwa 96 Prozent erfolgten 2018 die meisten Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel. Es sind keineswegs nur schwangere Teenager, die einenn Abbruch vornehmen lassen. Auch Mütter, die nicht noch ein drittes oder viertes Kind wollen, werden beim Arzt vorstellig. Knapp 60 Prozent der Frauen hatten vor der Abtreibung bereits mindestens ein Kind geboren.

Ein Bemühen, den Mangel an Ärzten, die Abbrüche vornehmen, zu beseiteigen, kann Spandau nicht erkennen. Laut Paragraf 13 (2) des Schwangerschaftskonfliktgesetzes müssen die Länder ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen. Jedoch: „Ich habe das Gefühl, dass das in Niederbayern nicht allzu ernst genommen wird“, sagt Spandau. Das bayerische Gesundheitsministerium hingegen sieht diesen Auftrag in Bayern insgesamt als erfüllt an. „Beschwerden, dass das Angebot an entsprechenden Einrichtungen in Bayern nicht ausreichend sei, liegen uns bisher nicht vor“, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Verteilung von Krankenhäusern und Arztpraxen, die eine Erlaubnis zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen besitzen, ist allerdings sehr ungleichmäßig auf die Regierungsbezirke verteilt. 2018 gab es insgesamt 141 dieser Einrichtungen in Bayern, davon sind 92 allein in Oberbayern. In Oberfranken und der Oberpfalz haben je zwei Arztpraxen eine solche Erlaubnis. In Niederbayern sind es offiziell vier, davon ist Spandau jedoch der Einzige, der den Eingriff tatsächlich auch durchführt.

Zahlen:Recht: Alternativen:
Im Jahr 2018 wurden deutschlandweit 100 986 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, davon 11 868 in Bayern.Der Abbruch einer Schwangerschaft ist in Deutschland nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig und theoretisch für alle Beteiligten strafbar. In Paragraf 218a sind jedoch einige Ausnahmen definiert, durch deren Einhaltung eine Abtreibung straffrei bleibt.Bis zum 63. Tag nach Beginn der Periode, also bis zur neunten Schwangerschaftswoche, ist auch ein medikamentöser Abbruch mit der sogenannten Abtreibungspille möglich.

Eine gesetzliche Verpflichtung, an einer Abtreibung mitzuwirken besteht nur, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Spandau vermutet, dass sich viele Mediziner aufgrund von Anfeindungen dafür entscheiden, keine Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. „Ich finde es auch nicht korrekt, dass das Klinikum Passau zum Beispiel, ein städtisches Krankenhaus, das nicht konfessionell gebunden ist, keine Abbrüche durchführt.“ In seinen Augen ist das ein Politikum: Er sieht den Grund in einem „CSU-dominierten Krankenhausausschuss, wo Politiker einer Fachabteilung Gynäkologie vorschreiben, was sie medizinisch versorgen darf“. Etwa 300 bis 350 Abtreibungen nimmt Spandau im Jahr vor. Seine Kollegen seien froh, dass es noch eine Anlaufstelle gebe, viele schicken ihre Patientinnen zu ihm.

Früher, sagt Spandau, war die Debatte über Abtreibungen sachlicher. Von militanten Abbruchgegnern blieb er lange Zeit unbehelligt. Erst seitdem er Interviews in Zeitungen oder im Radio gegeben hat, erlebt er Anfeindungen. So demonstrierte im November 2018 ein Abtreibungsgegner, der sich als angehender Priester ausgab, vor seiner Praxis. „Ich habe ihn gefragt, was er da mache. Er bete für die Ungeborenen, für die getöteten Kinder, sagte er mir. Ich habe ihm gesagt, er solle sich zunächst mal um die Missbrauchsopfer der katholischen Kirche kümmern.“ Der Mann lauerte ihm auch vor seinem Haus auf und beschimpfte ihn als Mörder. Daraufhin ließ Spandau ein Kontaktverbot erwirken. In die laufenden juristischen Auseinandersetzungen ist inzwischen das Oberlandesgericht München eingeschaltet.

„Unmenschliche“ Forderung

Über Abtreibungsgegner sagt der Gynäkologe: „Ich bin mir sicher, dass die noch nie mit einer 13- oder 15-Jährigen gesprochen haben, die beim ersten Sex schwanger wurde und die sagt, sie kann jetzt dieses Kind noch nicht kriegen.“ Dass man solchen Mädchen zumuten wolle, ein Kind zu bekommen, empfindet er als unmenschlich.

Seit 2011 ist Spandau offiziell im Ruhestand. Seine Praxis hat er damals an das Medizinische Versorgungszentrum verkauft, wo er danach noch einige Jahre zur Durchführung dieser Eingriffe angestellt war. Seit vier Jahren ist er nun wieder selbstständiger Arzt und führt weiter Schwangerschaftsabbrüche durch. Wie lange er diese Arbeit noch machen wird? Er kann es nicht sagen.

Der Text von Paula Kolhep ist im Rahmen des von MZ-Newsroomleiterin Claudia Bockholt geleiteten Seminars „Zeitungsjournalismus“ an der Universität Passau entstanden. Weitere Texte von Studierenden lesen Sie hier:www.mittelbayerische.de/bayern/reporter-werkstattregensburg