Festival
Ein rauschendes Fest Alter Musik

06.06.2022 | Stand 15.09.2023, 4:56 Uhr
Andreas Meixner
Ein Höhepunkt der Tage Alter Musik in Regensburg: Das Ensemble Jupiter aus Frankreich riss die Zuhörer im historischen Reichssaal geradezu von den Sitzen. −Foto: Fotos: www.altrofoto.de/Uwe Moosburger

Es ist wieder Pfingsten. Und die Tage Alter Musik sind nach zwei schwierigen Pandemiejahren, mit dem Ausfall in 2020 und der Verschiebung 2021 in den Herbst mit nur drei Festivaltagen, wieder an ihrem angestammten Platz im Jahreskreis.

Und auch die Konzertbesucher von Nah und Fern kommen wieder, größtenteils in der gewohnten Menge. Abstand halten ist keine Option mehr, in den Kirchenbänken sitzt man nicht selten wieder Schulter an Schulter. Die Sehnsucht nach Kulturerleben ist zumindest bei den Liebhabern der Alten Musik scheinbar ungebrochen.

Traditionell eröffnen die Regensburger Domspatzen das Festival am Freitagabend in der Dreieinigkeitskirche. Zusammen mit der Hofkapelle München feiern sie Mozarts Musik mit seiner großen Credomesse und der Vesperae solennes de confessore. Der Repertoirewert an sich ist überschaubar, allein die hohe Qualität der Interpretation ist das Maß der Dinge. Domkapellmeister Christian Heiß formt Chor, Solisten und Orchester zu einer schlagkräftigen und inspirierten Einheit, mit schlüssigen Tempi und fein angespitzter Artikulation. Im Anschluss ging es in die nächtliche Schottenkirche zu atmosphärisch dichter Musik aus Frankreich zu Ehren von Ludwig XIII., in der Interpretation von Thomas Van Essen und dem Ensemble Les Meslanges.

Hochlebendige Festivaltage

​Die Matinee am nächsten Tag stand mit der belgischen Formation Les Muffatti unter der Leitung von Bart Jacobs ganz im Zeichen spannender Rekonstruktionsversuche von Kantaten und Konzerten Johann Sebastian Bachs. Die technisch gelungene und regiegeführte Videoprojektion von der Orgelempore hinunter in den Altarraum machte das Konzert auch zu einem visuell-akustischen Erlebnis. Erstmals im Rahmen des Festivals erklang die neue Ahrend-Orgel der Dreieinigkeitskirche. Wie auch im späteren Konzert mit klangprächtigen Motetten von Hieronymus Praetorius (Alamire & His Majestys Sagbutts & Cornetts aus Großbritannien) erwies sich das Instrument mit seinen charakterstarken Registern als Klangjuwel und große Bereicherung für die Gestaltung Alter Instrumental- und Vokalmusik.

Am Nachmittag des zweiten Festivaltags holte das Vokalensemble Blue Heron (USA) sein ursprünglich 2020 geplantes Konzert mit Auszügen aus der berühmten und wegweisenden Sammlung „I Madrigali a cinque voci“ von Cipriano de Rore in der Schottenkirche nach. Katja Schild übernahm überaus sinnlich und zart in Sprache und Gestus die Rezitation der vertonten Sonetten über Liebe und Tod. Die Sänger fanden im Gegenzug nur selten zu einer klanglichen und emotionalen Differenzierung, die Mittelstimmen kämpften häufig gegen Intonationstrübungen. Auch mancher Beginn wirkte merkwürdig brüchig, es dauerte stets, bis die Einzigartigkeit und der Zauber dieser Vokalpolyphonie in den Madrigalen erblühte.

Im Nachtkonzert der zehnköpfigen portugiesischen Formation Cupertinos mit adventlicher Vokalmusik von Manuel Cardoso war das anders. Im geschlossenen Kreis zelebrierte die Gruppe kontemplativ das Ordinarium der „Missa Dominicarum Adventus et Quadragesimae“ und die Motetten mit südeuropäischer Inbrunst, inhaltlicher Hinwendung und beeindruckender Gestaltungskraft. Eigentümliche, aber umso mehr kurzweilige Werke der Komponisten Michael Corrette und Johann Bernhard Bach standen zuvor am Samstag Nachmittag in der St. Emmeramskirche auf dem Programm des Orchesters Le Phénix und Vital Julian Frey am Cembalo.

​Völlig von den Stühlen riss die Zuhörer das Konzert „Viva Vivaldi!“ des Ensembles Jupiter aus Frankreich im überfüllten Reichssaal. Wer am Morgen des Pfingstsonntags die furiose, feurige und energiegeladene Interpretationskunst unter der Leitung des Lautenisten Thomas Dunford erleben durfte, wird Vivaldis Musik, überhaupt Barockmusik, wohl kaum mehr anders hören wollen.

Feurige Interpretationskunst

Zu dem Feuerwerk trug Lea Desandre mit ihrer atemberaubenden Sangeskunst viel bei. Mit Charme und einer fast frechen Lässigkeit jagte sie durch die Koloraturen ihrer Arien, ohne sie zur seelenlosen Gesangsartistik verkommen zu lassen. Genauso, aber zärtlich und inniglich, ist sie im Liebesleid ganz bei sich, in steter Synergie und Verwebung mit dem Instrumentalisten und dem kongenialen Thomas Dunford, der trotz Fingerverletzung im zweiten Satz des Konzerts für Laute und Streicher die Zuhörer völlig der Welt entrückt.

Als idealer Ort der frühen Musik des ausgehenden Mittelalters erweist sich einmal mehr die Minoritenkirche des historischen Museums. Grace Newcombe lud am Sonntag Nachmittag mit ihrem Schweizer Ensemble Rumorum zur Musik des 14. Jahrhunderts. Mit Gesang, gotischer Harfe, Clavisimbalum, Schalmei und Dudelsack spürten die Spezialisten den französischen Einflüssen in der italienischen Musik jener Zeit nach und markierten damit in etwa die Mitte der bis dahin hochlebendigen und begeisternden Tage Alter Musik 2022.