Interview
Ich mache es, weil ich es liebe

Richard Kruspe von Rammstein hat seine Leidenschaft wiedergefunden. Der Gitarrist, Sänger und Songschreiber hat viel vor.

01.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:54 Uhr
Olaf Neumann

Gitarrist Richard Kruspe (2.v.r.) 2015 im Kreise seiner Band-Kollegen von Rammstein. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Das neue Emigrate-Album „A Million Degrees“ beginnt mit dem Rocker „War“. Wer oder was hat Sie zu dem Song inspiriert?

Die Amerikaner! Das ist schon etwas länger her. Als sie damals in den Irak einmarschierten, habe ich noch in New York gelebt. Ich erinnere mich an eine permanente Übertragung der News. Dadurch wurde versucht, diesen Krieg zu verkaufen. Das hat mich ziemlich wütend gemacht. Im Grunde geht es in dem Song um Kommerzialisierung von News. In dem speziellen Fall um Krieg.

An den Wänden Ihres Studios hängen Plattencover unter anderem von den Sex Pistols, Kiss, Pink Floyd und Iron Maiden. Welches Album hat bei Ihnen das Rockfieber ausgelöst?

Ich hatte als kleiner Junge viel Stubenarrest und habe mir ständig ein Tape von AC/DC angehört. Bon Scott hat mich immer dazu animiert, aus meinem Zimmer zu flüchten. Und mit Big Black unternahm ich meine erste Reise in die Welt des Industrial, während mich Kraftwerk als erste Band im elektronischen Bereich inspirierten. Ich kam ja von der Gitarre. Bei „Never Mind The Bollocks“ von den Sex Pistols fand ich insbesondere das Rotzige toll. Kiss steht für mich für Rebellion gegen Staat, Eltern oder Schule. Musikalisch waren sie eher schwach, aber das Make-Up und das Feuer waren ohne Frage eine große Inspiration für Rammstein.

Steckt in Ihnen heute noch ein Rebell?

Hip-Hop hat Rock als dominante Jugendkultur abgelöst. Alle wichtigen gegenwärtigen künstlerischen Impulse, alles, was neu, spannend, aufregend oder innovativ ist, kommt von Hip-Hop. Ist Rockmusik etwas Altmodisches?

Rock ist tot. Leider. Die Gitarre ist keine Rebellion mehr, sie wurde durch die Sprache im Hip-Hop bzw. Trap abgelöst. Ich persönlich komme damit nicht klar, weil ich dieser Sprache nicht wirklich folgen kann. Weil sie stellenweise aus einer Machokultur kommt, mit der ich überhaupt nichts anfangen kann. Die Kids singen das natürlich nach, aber glauben sie es auch?

Das Emigrate-Album wurde in Los Angeles von Ihnen gemeinsam mit Ben Grosse abgemischt. Was spricht dafür, die Musik auf solch eine Reise zu schicken?

Weil es bei mir und bei Rammstein immer ewig dauert, wollte ich gleich nach meiner zweiten Soloplatte die dritte nachschieben und bin zu Ben Grosse gefahren. Aber dann wurde mir bewusst, dass ich ausgebrannt war. Ich hatte persönliche Probleme, hatte gerade ein Haus gebaut und tanzte auf vielen Hochzeiten. Ich habe das Album noch zu Ende gebracht und zur Seite gelegt. Es war mir ein bisschen egal geworden. Das war gefährlich. Das Projekt Emigrate beruht nämlich ganz klar auf Leidenschaft. Und dann kam es zu einem Wasserschaden in meinem Studio. Die Hälfte der Technik war weg – plus der Festplatten.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Komischerweise bleibe ich bei solchen Sachen immer ganz ruhig. Früher war es keine Seltenheit, dass mir nach einer durchgearbeiteten Nacht der Computer abstürzte und es kein Backup gab. Das war für mich immer ein Zeichen, dass ich es besser machen musste.

Wie konnten Sie wieder Feuer fangen?

Ich habe versucht, die Songs aus meiner Erinnerung heraus nachzuschreiben. Während dieses Prozesses habe ich das Team gewechselt – und wieder Feuer gefangen. Wie es am Anfang klang, hat mich gar nicht mehr interessiert. Im Nachhinein bin ich froh, dass alles so gekommen ist, weil meine Leidenschaft wieder da war. Emigrate mache ich nur, weil ich es liebe. Ich zahle dabei drauf.

Mussten Sie Ihre Gastsänger noch einmal ins Studio bitten?

Margaux Bossieux und Till Lindemann mussten es noch einmal machen. Die kannte ich auch besser. Aber bei Till ist das so eine Sache. Man muss ihn immer im richtigen Moment kriegen.

Lag es auf der Hand, dass Till Lindemann bei dem elektronischen Stück „Let’s Go“ mitsingt?

Es lag insofern auf der Hand, weil wir beide das Projekt Emigrate angefangen haben. Es war nie die Idee, ein Soloalbum zu machen. Eigentlich wollte ich mit Till ein zweites Projekt starten, bei dem ich allein mit ihm arbeite. Wir haben einen guten Draht zueinander.

Was macht Ihre Freundschaft mit Till Lindemann so besonders?

Um den Mauerfall herum herrschte im Osten eine unglaubliche Wildwest-Zeit. Wir waren wie Robert Redford und Paul Newman in dem Western „Butch Cassidy and the Sundance Kid“. Wir dealten zeitweise mit Autos, die wir nachts in Bochum abholten und in den Osten brachten. Manchmal sind uns die Fahrzeuge verreckt. In Berlin gingen wir morgens um sieben in Technoclubs, und Till brachte zwischendurch seine Tochter zur Schule. Es war unglaublich chaotisch, aber es hat auch gefetzt.

Wohnten Sie damals zusammen?

Ja, Till und ich haben zusammen gewohnt. Ich habe ihn nach Berlin gebracht und davon überzeugt, überhaupt Musik zu machen. Till war früher ein Fan von mir und brachte immer meinen Gitarrenkoffer in den Proberaum. Irgendwann wollte er selber ein Instrument spielen, da besorgten wir ihm ein Schlagzeug.

Hatten Sie damals schon eine Vision von Rammstein im Kopf?

Ich glaube, eine Vision von Rammstein hatte ich nicht. Da sind verschiedene Dinge zusammengekommen. Ein Grund für die Entstehung von Rammstein war unsere erste Amerika-Reise, Till, Olli und ich. Olli war damals noch klassischer Gitarrist und wechselte später zum Bass. Drüben wurde mir klar, dass alles, was ich in Deutschland gemacht hatte, eine Imitation des coolen LA-Styles war. Also eine Lüge. Zurückgekommen bin ich dann mit dem Vorsatz, etwas Deutsches zu machen. Erst waren wir zu dritt – Schlagzeug, Bass und ich wollte selbst singen – aber dann fragte ich Till. Den Rest der Geschichte kennt man.

Nächstes Jahr soll ein neues Album von Rammstein erscheinen. Sind die Produktion – Rammstein und Emigrate – parallel gelaufen?

Leider. Ich mag das nicht so gerne, aber es ging einfach nicht anders, weil ich nicht aus dem Pott gekommen bin. Wir fliegen jetzt nach Los Angeles, um dort mit Rich Costy das neue Rammstein Album zu mixen. Die Emigrate-Welt fadet sich gerade aus und die Rammstein-Welt ein.

Rammstein hat innerhalb weniger Stunden alle Deutschland-Konzerte für die kommende Tour ausverkauft – insgesamt über eine Million Tickets.

Damit hatten wir nicht gerechnet, sonst hätten wir es anders geplant. Eine Stadiontour ist eine ganz schwierige wirtschaftliche Situation. Das habe ich gerade erst gelernt. Deswegen war es ein extremes Risiko. Es ist toll, dass es für uns gerade sehr gut läuft.

Was planen Sie für die Stadiontour von Rammstein?

An dem Thema arbeiten wir gerade. Die Erwartung ist natürlich sehr erdrückend. Es ist schwierig, sich immer wieder neu zu erfinden. Bei Rammstein denkt man immer an Feuer und Pyros und erst dann an die Musik. Das wollen wir versuchen, mit dem neuen Album zu ändern. Ich weiß nicht, ob es uns gelingt, aber ich hoffe es.

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