Kultur
Theater Regensburg zeigt Candide als rotzfrechen Comic

29.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:44 Uhr
Liebespaar vor Großleinwand: Cunegonde (Kirsten Labonte) und Candide (Carlos Moreno Pelizari) −Foto: Tom Neumeier

Was macht man aus schöner Musik zu einer Geschichte, so wirr und langatmig, dass der gutmütigste Zuschauer einnickt? Regisseur Ronny Scholz und Zeichner Robert Nippoldt fanden einen kühnen Dreh:

Leonard Bernsteins auf drei Stunden angelegte Komische Oper „Candide“ wurde beherzt gekürzt und mit Comics in Szene gesetzt, rotzfrech, vogelwild und ebenso absurd wie der Plot selbst.

Die ungewöhnliche Inszenierung, am Theater Münster 2021 entstanden, kommt nun am Bismarckplatz auf die Bühne. Für Regensburg legt Scholz eine Schippe drauf und spickt „Candide“ mit Regensburger Anspielungen und Klatsch. Auf der Dating-Plattform Tinder etwa, die in der Oper eine Rolle spielt, tauchen überraschend ein paar Promis auf: ein Albert, der dem Fürsten ähnlich sieht, ein Sebastian, der ein Zwilling von Intendant Ritschel sein könnte, und ein Jens, der verteufelt an den ehemaligen Regensburger Intendanten Neundorff von Enzberg erinnert.

Der Clou: Das Bühnenbild entsteht in Echtzeit, während der Vorstellung. Mit punktgenau platzierten Bildkärtchen oder einigen gekonnt gesetzten Strichen macht Robert Nippoldt – je nach Besetzung auch sein Schwager, der Regensburger Künstler Florian Toperngpong – Candides Reisestationen und Wegbegleiter sichtbar. Das Geschehen am Zeichenpult wird gefilmt und auf Großleinwand übertragen.

Theaterfans konnten noch vor der Premiere ein paar magische Momente erleben. Bei der Matinee am Sonntag stand einigen Gästen der Mund offen, so lebendig, bezaubernd und makellos sang Kirsten Labonte, nur vom Klavier begleitet, ihre Cunegonde, angeschmachtet von Carlos Moreno Pelizari als Candide. Und bei der öffentlichen Probe am Montag sahen die Besucher fasziniert, wie aus fünf, sechs Pinselstrichen ein beschwingt-verliebtes Paar auf der Leinwand lebendig wurde.

Bernstein komponierte in den 1950ern zum berühmten Stoff von Voltaire schillernde, geistreiche Musik. „Liebeserklärung an Europa“ nannte er seine Partitur, die sich augenzwinkernd bei Mazurka und Polka, Gavotte und Walzer bedient und gleichzeitig als scharfer Kommentar zur Politik seiner Zeit zu verstehen ist.

200 Jahre zuvor traktierte Voltaire in „Candide“ Adel und Kirche mit beißendem Spott. Europa lag im Krieg, die Menschen starben wie die Fliegen, aber die herrschende Philosophie behauptete steif und fest: Das Übel ist Teil des göttlichen Plans und in der besten aller Welten passiert alles zum Wohle aller.

Der französische Philosoph lässt im Buch das Schloss von Candide überfallen und fast alle Bewohner abschlachten, Er schickt den unverbesserlichen Optimisten auf eine Weltreise, auf der sein Held einige Wegbegleiter trifft, die den eigenen Tod – upps! – vergessen haben. Alles klar soweit? Keineswegs, jedenfalls nicht in New York, wo Bernsteins Oper 1956 Uraufführung hatte.

„Candide“ passte nicht in die Zeit und war auch nicht die süffige Kost, die sich das Broadway-Publikum wünschte. Nach 50 Aufführungen wurde die Oper abgesetzt und verschwand von den Spielplänen. Erst Mitte der 1990er entstand eine konzertante Version, in der Bernsteins Musik strahlen konnte. Loriot packte die Wirren der Handlung in Zwischentexte voller Witz. In Regensburg wird Michael Heuberger als Erzähler das Publikum bei der Hand nehmen.

Ronny Scholz und das Theater Münster spielten 2021 auf Risiko: „Denn vertragsrechtlich war es verboten, die Oper zu bebildern“, erklärt Scholz, heute Chefdramaturg in Regensburg. Nach der Premiere von „Candide“ mit Comics bekam der Regisseur tatsächlich Post von Bernsteins Erben aus den USA. Die waren allerdings nicht pikiert, sondern begeistert, erinnert sich Scholz. „Sie schrieben: Falls das Werk in Regensburg aufgeführt wird, dann nur in dieser Fassung.“

Die PremiereVorstellung:Die Comic Operetta „Candide“ von Leonard Bernstein in der Inszenierung von Ronny Scholz hat am 3. Dezember (19.30 Uhr) Premiere im Theater am Bismarckplatz.

Musik:Der Chor sitzt im Orchestergraben, das Orchester unter Leitung von Tom Woods auf der Bühne, hinter der Großleinwand, auf der das Bühnenbild in Echtzeit sichtbar wird.