Mediziner fordert Maßnahmen
Hungern, bis die Leistung stimmt: Der Drang zum Untergewicht kann im Sport gefährlich werden

07.03.2024 | Stand 07.03.2024, 12:30 Uhr

Der Kletterweltverband hat Anfang Februar neue Regelungen zur Eindämmung der Zahl von gefährlich untergewichtigen Athleten angekündigt. Symbolbild: dpa/Mickael Chavet

Höher, weiter, besser: Das ist bei vielen Sportlern das Resultat einer Gewichtsabnahme. Wenn die Kilos purzeln, fällt beispielsweise das Joggen leichter. Auch beim Klettern sparen sich Aktive wichtige Sekunden auf dem Weg zur Glocke am oberen Ende der Wand. Sportler können es aber auch schnell übertreiben. Ein zu starker Drang, auf Dauer Gewicht zu verlieren, kann schnell im Relative-Energie-Defizit-Syndrom, kurz RED-S, enden.

Betroffene Sportler verbrauchen über einen langen Zeitraum viel Energie beim Sport – führen allerdings nicht genug Energie in Form von Nahrung zu sich. Diese gar nicht mal so selten auftretende Krankheit beendet nicht nur Karrieren. Sie kann auch die Gesundheit von Betroffenen ruinieren.

Egal ob Breiten- oder Spitzensportler: Das RED-S kann jeden treffen. Athleten mit hohen Ambitionen erkranken allerdings häufiger. „Sportler sehen, dass viele von denen, die erfolgreich sind, sehr dünn sind“, sagt der Mannschaftsarzt des Bundeskaders des Deutschen Alpenvereins (DAV), Volker Schöffl. Das erzeuge bei vielen Druck, selbst abzunehmen, um erfolgreicher zu werden. „Ich kenne Fälle, in denen der Trainer sagte: ‚Wenn du noch zwei Kilo weniger hättest, würdest du den Weltcup auch mal gewinnen‘“, sagt der Bamberger.

Klettersport stark betroffen

Das Klettern ist stärker betroffen als viele andere Sportarten, weil jedes Kilo im Kampf gegen die Schwerkraft schmerzt. „Schon ein paar hundert Gramm machen beim Klettern sehr viel aus“, sagt Julian Kolbe, Jugendtrainer des DAV Regensburg. „Das kann man ganz gut mit dem Radsport vergleichen, wo schon wegen wenigen Gramm eine Tour-de-France-Etappe gewonnen wird.“ Der Regensburger Klettertrainer versucht seine Nachwuchssportler auf das Thema aufmerksam zu machen. Das RED-S ist nämlich eine ernstzunehmende Erkrankung.

„Der Ausgangspunkt ist, dass Sportler ihr Gewicht stark reduzieren und dadurch in einen massiven Mangel kommen“, sagt Volker Schöffl. Das kann zwei Ursachen haben: Entweder die Energiezufuhr ist ausreichend, aber die Trainingsbelastung so groß, dass eine normale Ernährung nicht ausreicht. Oder die Trainingsbelastung ist im Normalbereich, aber der Sportler isst zu wenig. Die Folgen können je nach Ausprägung enorm sein. „Wir wissen mittlerweile, dass das RED-S den ganzen Körper betrifft, sei es den Hormonhaushalt, den Knochenstoffwechsel, die Nierenfunktion oder das Herz“, sagt Schöffl.

Weitere körperliche Auswirkungen sind Eisenmangel, chronische Infektanfälligkeit, Osteoporose, die zu Knochenbrüchen führen kann, oder bei Frauen das Ausbleiben der Regelblutung. Auch die psychischen Folgen sind erschreckend. „Ein komplexer Bestandteil des RED-S ist die psychische Beeinflussung im Sinne von Depressionen, Angststörungen, bis hin zum Suizid“, sagt Schöffl.

Der Suizid ist meist eine Folge der Anorexie, also Magersucht, die sich ebenfalls aus dem RED-S entwickeln kann. Schöffl selbst hatte schon Athleten betreut, die sich aufgrund von Folgeerkrankungen des RED-S das Leben nahmen. „Wir sprechen von einem ernsthaften Krankheitsbild mit teils irreversiblen Folgen, das bis zum Tode führen kann“, sagt Schöffl. Dass es tatsächlich bis zum Suizid kommt, ist als Folge des RED-S zum Glück eher selten. Allerdings sind auch schon die milderen Symptome sehr ernst zu nehmen.

Das tut Schöffl schon lange. Der Sportarzt und Unfallchirurg setzt sich seit langer Zeit dafür ein, dass Sportler besser vor dem RED-S geschützt werden. Bis Juli war Schöffl noch Mitglied der medizinischen Kommission des Weltverbandes International Federation of Sport Climbing, kurz IFSC.

Als er nach 14 Jahren zurücktrat, folgte große mediale Aufmerksamkeit. Die Ursache: Schöffl begründete seinen Austritt mit fehlenden Maßnahmen seitens des Weltverbandes. Profisportler würden bei Wettkämpfen starten, die aus gesundheitlichem Selbstschutz ausgeschlossen werden müssten.

Anfang Februar kündigte der Weltverband neue Regeln zum Schutz der Athleten an – auch wegen Schöffls lauter Kritik. Zukünftig soll die Kletterelite Fragebögen zum Gesundheitsstatus bearbeiten und Attests vom nationalen Verband abgeben. Außerdem sind stichprobenartige Gesundheitskontrollen des Verbandes geplant.

„Ich bin skeptisch, dass es darin enden wird, dass ein Athlet eine Schutzsperre bekommt“, sagt Schöffl. „Wenn das Jahr vergehen sollte ohne eine einzige ausgesprochene Schutzsperre, kann das System nicht greifen.“ Trotz Skepsis, die in Schöffl aufgrund jahrelanger Ignoranz seitens des Weltverbandes entstanden ist, sei es ein erster Schritt in die richtige Richtung. Den Schritt begrüßen laut Schöffl auch die meisten Sportler.

Prävention in Regensburg

Auch beim DAV Regensburg ist das RED-S Thema. Speziell in den leistungsorientierten Jugendgruppen versucht unter anderem Julian Kolbe zu sensibilisieren. Er ist Teil des Jugendausschusses und kümmert sich sowohl um den Leistungssport als auch um das Regensburger Talentsichtungszentrum. Kolbe legt besonderes Augenwerk auf die Nachwuchsarbeit.

„Wir klären die Kinder im Training über RED-S auf. Irgendwann bemerkt man nämlich, dass die leichteren Personen Wettkämpfe eher gewinnen als schwerere“, sagt Kolbe.

Die Informationen würden die Kinder sehr ernst nehmen und auch die Eltern begrüßten die Prävention. Eltern und Trainer sind wichtige Aufsichtspersonen und können schon früh Veränderungen der Schützlinge feststellen. „Mittlerweile gehört es zur Trainerausbildung, zu Symptomen und dem Umgang mit gefährdeten Athleten geschult zu werden“, sagt Kolbe.

Noch war keiner der Regensburger Athleten vom RED-S betroffen. Das ist für Kolbe aber kein Grund, unaufmerksam zu werden. „Wir haben einen gut organisierten Plan und stimmen uns im Trainerteam ab, dass die Sportler gar nicht erst reinrutschen“, sagt Kolbe.

Risikogruppen: Vom Relative-Energie-Defizit-Syndrom sind nur Sportler betroffen. Besonders ambitionierte Athleten aus Sportarten, in denen sich niedriges Gewicht positiv auf die Leistung auswirkt, sind besonders gefährdet. Außerdem sind Frauen häufiger betroffen als Männer.

Frühwarnzeichen: Ein Hinweis auf das RED-S ist laut Volker Schöffel, wenn Sportler sehr viel, eigentlich zu warme Kleidung tragen, weil das Unterhaut-Fettgewebe fehlt. Weitere Warnsignale können sein, dass Athleten immer alleine essen wollen, den Körper in deutlich zu großer Kleidung verstecken oder dass ihre Haut einen bläulichen Farbton hat. Des Weiteren lässt bei Betroffenen als Folge des Energiemangels die Konzentration schnell nach. Wem diese Warnsignale zuerst auffallen, sind Kletterpartner, Trainer, oder die Familie.