Neue Inszenierung
Unterkühlt: „Das Ende von Eddy“ am Theater Regensburg

17.03.2024 | Stand 22.03.2024, 9:46 Uhr
Michael Scheiner

Auf der reduzierten Bühne im Theater am Haidplatz: Natascha Weigang, Max Roenneberg und Lilly-Marie Vogler (von links) in „Das Ende von Eddy“. Das Stück hatte am Samstag Premiere. Foto: Tom Leather Neumeier

Die schreckliche Kindheit eines schwulen Jungen wird in der Inszenierung am Haidplatz mit viel Distanz erzählt. So lässt einen die Geschichte ziemlich kalt.

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.“ Es mag vielleicht dem einen oder der anderen unpassend erscheinen, die brutale Lebens- und Leidensgeschichte eines homosexuellen Jungen mit dem Zitat aus Schillers „Wilhelm Tell“ zu beginnen. Dennoch beschreibt diese altbacken wirkende Textstelle, die sich zum gebräuchlichen Sprichwort entwickelt hat, ziemlich treffend die Situation der Hauptfigur im Schauspiel „Das Ende von Eddy*“.

Präzisieren müsste man hier allerdings den „bösen Nachbarn“ bei Eddy zu „bösen Schulnachbarskindern“ inklusive einer feindlich gesinnten Umgebung. Im Theater am Haidplatz erlebte das Stück, das Regisseur Barish Karademir nach dem stark autobiografisch geprägten Romandebüt des französischen Schriftstellers Édouard Louis verfasst hat, seine gefeierte Premiere.

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Gespielt wird Eddy bei Karademir von zwei Schauspielerinnen (Lilly-Marie Vogler, Natascha Weigang) und einem Schauspieler (Max Roenneberg). Eine dramaturgisch kluge Entscheidung, um Monotonie zu vermeiden und inhaltliche Aspekte zu erweitern. Das mit jeder Faser überzeugende Trio verkörpert auch alle anderen Figuren, die kurzzeitig persönlich auftreten.

Es sind eher illustrative Momente, um den Geschwistern, dem Vater, der Mutter oder den boshaften Mitschülern Kontur zu verleihen. Konfrontativ zum Publikum erzählen, berichten, beschreiben sie ansonsten aus einer weitgehend distanzierten Warte heraus Geschehnisse, Ereignisse, persönliche Eindrücke und die Gefühlslagen von Eddy. Streckenweise wirkt das wie eine um szenische Elemente erweiterte Lesung. Mikrofone, die das Schauspiel-Trio zudem nutzt, verstärken die Distanziertheit, die vermutlich in der Perspektive des Romanautors auf seine eigene Kindheit begründet liegt.

Es ist der Blick eines nüchternen Beobachters. Eines Autors, der als Kronzeuge seiner eigenen Geschichte auftritt, von der Geburt als begeistert empfangener Stammhalter und künftiger Träger „männlicher Werte“ bis zur Abnabelung. Es ist eine harte, grausame Welt, die nur wenig Platz für Zuneigung, Mitgefühl oder Respekt lässt. Im gradlinigen, keine Emotion auslösenden Bühnenbild zeigt sich das durch eine Gitterwand, durch Neonlicht und einen machtvollen elektronischen Clubsound.

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Der Sound strapaziert in einigen grellen Zwischenszenen die Ohren, etwa wenn das Trio am Boden liegt und im Rhythmus zuckend die Schläge und Tritte von Mitschülern imitiert. In diesen hoch stilisierten Szenen wird zwar die erbarmungslose, unbarmherzige Realität von Eddys Leben deutlich, viel Gefühl wecken sie dennoch nicht. Auch das Publikum wird in die Rolle des mehr oder weniger coolen Betrachters gezwungen. Man weiß um die Grausamkeit von täglich erfahrenem Spott, von Verachtung, Abscheu und dem, irgendwann sogar als erlösend empfundenen körperlichen Schmerz. Mitempfinden lässt sich all das in dieser Inszenierung höchstens ansatzweise.

Am direktesten und deutlichsten kommt die Grausamkeit noch in einigen Videoeinspielungen zum Ausdruck, wenn die Mutter und der fassungslose Vater Eddy vor seinem schlägernden großen Bruder beschützen. Die Angst und die Scham, in denen Eddy fast ständig lebt, schlagen bei ihm nicht in Aggression und Gewalt um, auch wenn deutlich wird, dass diese ökonomisch und kulturell bedingte Haltung über Generationen weitergegeben wird. Seine Anderssein im Auftreten, Sprechen und in der Kleidung, wenn er im Zimmer der Schwestern deren Kleidung trägt und sich dafür verachtet, finden im Theaterspiel an der Schule und im homoerotischen „Mann-Frau-Spiel“ bis hin zur deutlich geschilderten Penetration Ausdruck.

Was nur indirekt, teils überhaupt nicht wirklich zum Vorschein kommt, dafür aber im Programmheft umso deutlicher hervorgehoben wird, sind die Klassenzugehörigkeit zum ökonomisch, sozial und politisch abgehängten Arbeitermilieu und rechte Diskurse mit ihrem Hass auf Minderheiten. Wenn man Ende Bilder und Sequenzen von Björn Höcke und anderen Rechtsextremen oder Neofaschisten über die Leinwand flimmern, mag das zwar inhaltlich richtig sein – fürs Theater ist es zu dürftig.