Parteitag
Europäische Träume und nationale Ziele: CSU im Spannungsfeld

28.04.2024 | Stand 29.04.2024, 21:28 Uhr

Manfred Weber und Markus Söder - Markus Söder (CSU, r), Ministerpräsident von Bayern und Parteivorsitzender, und Manfred Weber, Vorsitzender der EVP Fraktion im Europaparlament, nehmen in der Parteizentrale nach einer Sitzung des CSU-Vorstands an einer Pressekonferenz teil. - Foto: Sven Hoppe/dpa

Im Grunde ist der CSU-Europaparteitag in München nur eine Wahlkampfveranstaltung. Für Parteichef Söder geht es ohnehin um mehr als Europapolitik. Seine Provokationen hallen auch bis ins ferne Berlin.

So richtig kann und will CSU-Chef Markus Söder nicht aus seiner Haut. Kämpferisch spricht er zu Beginn seiner knapp 45-minütigen Rede auf dem Europaparteitag in München über die große Bedeutung des Kontinents für Bayern und Deutschland. Am Ende dürfte etwas anderes in Erinnerung bleiben: Die Wahl am 9. Juni sei eine Abstimmung gegen die Grünen und die Arbeit der Ampelregierung.

„Es ist wichtig, mit dieser Wahl zum Europäischen Parlament eine stabile Mehrheit zu organisieren, die am Ende ohne Grüne ist. Wir wollen keine grüne Dominanz in Europa, und ich sage es auch sehr deutlich, auch in Deutschland nicht. Darum bleiben wir als CSU dabei: Kein Schwarz-Grün für Deutschland“, sagt Söder.

Im selben Atemzug kommt Söder auf einen Punkt, der (nicht nur) in der CSU schon traditionell der EU vorgeworfen wird: „Die Europäische Union ist in der Welt die größte Rechtssetzungsinstanz“ und genau diese Bürokratie bedeute für die CSU-Europapolitik schon immer „ein gewisses Spannungsfeld“.

Natürlich seien der Binnenmarkt als Basis für den wirtschaftlichen Erfolg, die Freizügigkeit und der Frieden „höchste Güter“, gleichwohl gebe es aber viel zu verbessern: „Es wäre schon eine wirkliche Errungenschaft, wenn man mal eine Zeit lang einfach keine neuen Vorschriften, keine Richtlinien machen würde.“

Söders europäische „ja, aber“-Argumentation ist nicht neu. Schon immer hat sich die CSU in Wahlkämpfen auf Entscheidungen aus Brüssel, Straßburg oder Berlin fokussiert, die nicht in ihren Wertekompass passen. Aktuell ist dies etwa die europäische Absage an klimaschädliche Verbrennermotoren ab dem Jahr 2035.

Obwohl Söder selbst vor Jahren dafür eingetreten ist, fordert er nun wie auch beim einst von ihm geforderten deutschen Atomausstieg die Rückabwicklung. Auch CSU-Spitzenkandidat und EVP-Chef Manfred Weber sowie jeder andere CSU-ler fordert im aktuellen Wahlkampf mantraartig den Ausstieg aus dem Verbrenner-Aus.

Angesichts guter Umfragewerte schraubt Söder für seine Partei bei der Europawahl das Wahlziel nach oben: „Wir wollen für uns diese Wahl gewinnen und am besten sieben Abgeordnete ins Europaparlament senden. Sieben plus x, das wäre ein gutes Ergebnis“. Aktuell ist die CSU mit sechs Abgeordneten im EU-Parlament vertreten.

Laut der wenigen für Bayern vorliegenden Umfragen zur Europawahl liegt die CSU bei der Abstimmung im Freistaat mit Werten von mehr als 40 Prozent weit vor der Konkurrenz. 2019 hatte die CSU 40,7 Prozent der Stimmen erhalten (2014: 40,5). Die Ausgangslage für die Wahl sei 43 Tage vor der Abstimmung „gar nicht so schlecht“, sagt Söder. Nun müsse Europa im Wahlkampf gegen seine Feinde verteidigt werden.

Hier meinen Söder und auch Weber insbesondere die AfD. Söder nennt sie eine Partei „mit einem fiesen Gesicht“, die betone: „Europa muss sterben“. Weber geht noch weiter: „Die AfD gehört zu den Radikalen unter den Radikalen.“ Diese „verrottete und korrupte Partei“ sei im EU-Parlament sogar anderen rechten Parteien zu extrem geworden. Anders als Söder betont Weber in seiner Rede auch, was die EU alles zum Wohle Bayerns beschlossen hat.

Doch zurück zu Söders Dauerkritik an der Bundesregierung: „Diese ganze Ampel löst keine Probleme. Diese Ampel ist das Problem. Und darum bleibt es auch und muss diese Europawahl ein Signal sein: Die Ampel in Deutschland muss weg.“ Einmal mehr fordert Söder Steuersenkungen, eine Rückkehr zur Kernenergie und klare Absagen an Neuverschuldungen.

Für eine Partei hat Söder einen besonderen Appell: „Liebe FDP, diese Stunden, diese Tage entscheiden über die Glaubwürdigkeit für das nächste Jahr. Und deswegen sage ich euch, entweder ihr beendet es oder ihr seid Teil des großen Problems.“

Wie Söder sich die Bundespolitik stattdessen vorstellt, teilte er via „Welt am Sonntag“ mit: „Wenn man sich die zentralen Felder der Politik anschaut - von der Wirtschafts- über die Außen- bis zur Migrationspolitik, dann weiß man: Mit den Grünen ist kein Staat zu machen und mit Olaf Scholz auch nicht mehr.“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius könne der neue starke Mann der SPD werden, mit ihm „als Juniorpartner lässt sich mehr vorstellen“.

Die Reaktionen auf diese Provokation lässt nicht lange auf sich warten: „Natürlich, es gibt jede Menge Probleme, aber die Groko ist nicht die Antwort auf die Probleme, sie ist die Ursache der Probleme, die Deutschland hat“, kontert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim Kongress „taz lab 2024“ in Berlin. FDP-Chef Christian Lindner argumentierte ähnlich. „Wenn Markus Söder heute sagt, die Zukunftsperspektive für Deutschland ist eine neue große Koalition, dann erinnere ich an die Ergebnisse der letzten großen Koalition“, betont der Bundesfinanzminister beim zeitgleichen Parteitag der Liberalen in Berlin.

Söders kategorische Absage an die Grünen ist in der Union übrigens alles andere als Konsens. In der CDU-Spitze sieht man diese Position kritisch, da so die Verhandlungsspielräume der Union eingeschränkt würden. CDU-Chef Friedrich Merz, heißt es, teile Söders Vorbehalte auch nicht. Spätestens auf dem CDU-Parteitag in Berlin am nächsten Wochenende wird sich zeigen, wie viel Applaus Söder außerhalb Bayerns für seine Sicht der Dinge erhält.

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