Große Tagung in Regensburg
Wirtschaftswissenschaftler: Politikberatung scheitert an mangelnden Daten

25.09.2023 | Stand 25.09.2023, 17:11 Uhr

Lückenhafte Datenlage: Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, übergibt das Gutachten der „5 Weisen“ an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Fotos: Michael Kappeler/dpa, Ralf Baumgarten

Ökonomen sind wichtig als Berater der Politik. Doch die Wissenschaftler bewegen sich auf dünnem Eis. Denn die Datenlage ist in Deutschland schlecht, beklagen sie. Hoffnung macht ein Blick ins Ausland und die Aussicht auf ein neues Gesetz.



Ein alter Vorwurf an die Wirtschaftswissenschaftler lautet: Sie könnten im Nachhinein stets gut erklären, warum man vorher längst hätte wissen können, wieso etwas so geschehen ist. Ein gewaltiges Problem der Ökonomen besteht aber darin, dass sie gerne mehr wüssten, um bessere Aussagen treffen zu können. Es fehlt ihnen allzu häufig die Grundlage. Auf diesen Missstand wies Kerstin Schneider gestern beim Pressegespräch zur 150. Jahrestagung des „Vereins für Socialpolitik“ in Regensburg hin – eine mehrtägige Tagung, mit ökonomischem Sachverstand und Prominenz exzellent besetzt.

Trotzdem steht auch diese geballte Kompetenz vor vielen Rätseln, weil schlicht die grundlegenden Informationen fehlten, beklagte die Professorin mit Lehrstuhl für Finanzwissenschaft und Steuerlehre in Wuppertal und Mitglied des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten, der die Bundesregierung berät.

„Es ist zutiefst deprimierend“



Immerhin: Die Ampel-Regierung hat im Koalitionsvertrag ein Forschungsdatengesetz angekündigt, das Ende nächsten Jahres verabschiedet sein solle – dringend notwendig, sagt Schneider. Dieses Gesetz sei eine Chance, die Qualität der Politikberatung zu verbessern. Denn die Lage sei schlecht. „Wir sind zu langsam. Wir brauchen schnell Daten. Es ist zutiefst deprimierend.“

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Der Politik fehle es an empirischer Evidenz – vereinfacht an Beweisen – , um zielgerichtet zu steuern. Die Ökonomen würden gerne helfen, beklagen aber einen schlechten Zugang zu Daten. „Das ist eine Belastung für gute Politikberatung.“

Fehlende Zusammenhänge



Ein Beispiel: Die Ökonomen wüssten gerne viel genauer, wie die Faktoren Einkommen, Vermögen, Bildung und vieles mehr mit der Gesundheit der Menschen zusammenhängen. Daraus ließen sich etwa Maßnahmen im Gesundheitssystem ableiten. „Wir können wegen fehlender Daten aber wichtige Fragen nicht beantworten“, moniert Schneider. Gleiches gelte für die persönliche Entwicklung von Menschen: Wie wirken sich Einflussfaktoren in der Kindheit auf den späteren Erfolg im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt etc. aus.

Oder: Welchen Einfluss hatte die Einführung des Mindestlohns? Bei Reformen: Wie können sie umgesetzt werden, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. Vor allem: Wo können wir Geld am besten einsetzen, um die größte Wirkung zu erzielen? Schneider: „Das wissen wir nicht.“ Andere Länder könnten sehr wohl fundierte Aussagen treffen, auch in Europa, auch in Ländern, in denen die Datenschutzgrundverordnung DSGVO gilt.

Im Bildungsbereich „skandalös schlecht“



Die Mängel sind, so die Wissenschaftlerin, zahlreich. Die Daten wiesen Lücken auf. Und jene Daten, die wir haben, befänden sich bildlich gesprochen in Silos – sie könnten wegen gesetzlicher Regelungen nicht verknüpft werden. Aber nur wenn dies möglich wäre, könnten relevante Fragestellungen beantwortet werden. Langfristigen Analysen stünden zudem Löschungsvorschriften im Weg, die zu früh greifen würden. Die Lage sei auf allen Beratungsfeldern nicht gut. Besonders im Bildungsbereich aber sei sie „skandalös schlecht“, so Schneider.

Weiße Flächen, keine Verknüpfungen, dem Förderalismus geschuldete Hürden mit 16 Datenschützern plus dem Bund als 17. Teilnehmer, ein Desaster. Dabei wollen die Wissenschaftler nicht blindwütig gläserne Bürger schaffen, sondern einzig pseudonymisierte Daten haben. In Skandinavien etwa funtioniere das sehr gut. Auch Österreich habe reagiert und ein Datenzentrum zur Verknüpfung etabliert. Dort liefen nun die Forschungsprojekte an.

Augenmerk liegt auf Sozialpolitik



Viele andere Themen werden auf der Tagung besprochen, es werden 420 Arbeiten von Ökonomen vorgelegt, vor allem von jungen Wissenschaftlern. Deren Förderung zählt zu den Zielen des Vereins, der in Regensburg sein 150. Jubiläum feiert. Gestartet ist er übrigens als Vereinigung von „eher sehr links“ stehenden Ökonomen, die besonderes Augenmerk auf die Sozialpolitik, Verteilung und Ungleichheit richteten. Mittlerweile finde sich die ganze politische Bandbreite wieder.

Doch das Soziale bleibt wesentlich, die Tagung steht unter dem Motto „Wachstum und die sociale Frage“. Führende Wirtschaftswissenschaftler legten 18 Texte dazu vor, unter anderem mit der These, dass die Verlangsamung des Wachstums ein Resultat der großen Erfolge der Vergangenheit und der zunehmenden Abhängigkeiten auf der Welt sei. Mittlerweile gäben Ökonomen auch beim Thema Ungleichheit ihre Zurückhaltung auf und äußerten sich offensiver dazu, sagte Professor Davide Cantoni, einer der leitenden Organisatoren.