Missbrauch
Benedikts Dementi „wenig glaubwürdig“

Laut dem Missbrauchsgutachten trägt der emeritierte Papst eine Mitschuld an den Missbrauchfällen - er bestreitet das jedoch.

20.01.2022 | Stand 15.09.2023, 21:47 Uhr
Das Missbrauchsgutachten wirft dem emeritierten Papst Benedikt XVI Fehlverhalten bei den Missbrauchsfällen vor. −Foto: Sven Hoppe/picture alliance/dpa/dpa-Pool

Laut einem am Donnerstag vorgestellten Missbrauchsgutachten ist der emeritierte Papst Benedikt XVI. 1980 als Erzbischof von München und Freising bei einer brisanten Sitzung anwesend gewesen. In dieser Sitzung wurde entschieden, dass ein bekanntermaßen pädophiler Priester aus Essen in das Erzbistum München übernommen und wieder in der Seelsorge eingesetzt werde. Benedikt, der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, bestreitet dies und versichert, er habe an der Sitzung nicht teilgenommen.

Der Gutachter Ulrich Wastl präsentierte jedoch eine Kopie des Sitzungsprotokolls, wonach Ratzinger durchaus teilnahm. Demnach berichtete er in der Sitzung unter anderem von Gesprächen mit Papst Johannes Paul II. Er halte Benedikts Angabe, er sei in dieser Sitzung nicht anwesend gewesen, für „wenig glaubwürdig“, sagte Wastl. Der übernommene Priester missbrauchte anschließend erneut Kinder.

„Historische Erschütterung“ der Kirche

Der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, nennt das neue Gutachten eine „historische Erschütterung“ der Kirche. „Dieses Lügengebäude, was zum Schutz von Kardinal Ratzinger, von Papst Benedikt, errichtet wurde hier in München, das ist heute krachend zusammengefallen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in München.

Einige Taten hätten nur darum stattfinden können, weil Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising die Entscheidung getroffen habe, einen Missbrauchstäter in seinem Bistum einzusetzen. Das „täterzentrierte System“ sei „an der Spitze belastet“, sagte Katsch - „im Vatikan, da wo Benedikt bis heute sitzt und leugnet“. „Jeder, der das jetzt hier gerade miterlebt hat, muss erkennen, dass dieses System an sein Ende gekommen ist.“

„Jetzt muss etwas vom emeritierten Papst Benedikt XVI. kommen. Er muss noch mal darauf reagieren“, sagte auch der Missbrauchsexperte Pater Hans Zollner der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in Rom. Zollner ist Mitglied der 2014 eingerichteten Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und fungiert damit als externer Berater für den Vatikan.

Zahlen seien nicht überraschend

„Die Zahlen sind furchtbar, aber leider nicht überraschend“, erklärte Zollner. Die Gutachter werfen unter anderem Benedikt XVI. Fehlverhalten in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising vor. Diejenigen, die missbraucht wurden, bräuchten nun Gerechtigkeit und Zuwendung, forderte Zollner. „Für eine wirkliche Aufarbeitung sind die menschliche, psychische und spirituelle Seite wichtig. Nur dann begreift man, was mit den Opfern passiert ist.“ Es sei erschreckend, dass das nicht von der Kirche gesehen wurde, kritisierte der deutsche Jesuit.

Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. (dpa)