Glaube
Kirchenaustritt als Signal

In Deutschland und Polen haben die Kirchen ihre Missbrauchsskandale arg lange verschwiegen. Nun müssen dringend Reformen her.

31.03.2021 | Stand 16.09.2023, 3:38 Uhr
Matthias Kneip
Der Autor: Schriftsteller Dr. Matthias Kneip −Foto: Martin Glufke/Martin Glufke

In Deutschland hat man lange Zeit mit wenig Verständnis nach Polen geblickt, wo Vertreter der katholischen Kirche in den letzten Jahren in unzählige Missbrauchsskandale verwickelt waren. Fassungslos blickte man auf die hilflosen Versuche der polnischen Kirche, ihre Verfehlungen zu bestreiten und möglichst schnell den Mantel des Schweigens über sie auszubreiten. Doch mittlerweile hat man in Deutschland keinen Grund mehr, auf den Nachbarn herunterzuschauen. Auch in Deutschland hat das Ansehen vieler Kirchenvertreter zuletzt gelitten, weil sie die gleichen Fehler gemacht haben wie ihre polnischen Kollegen: Missbrauchsvorfälle vertuscht, Aufarbeitung behindert und nicht wirklich den Eindruck erweckt, dass sie ihr Unrecht einsehen und in Zukunft besser handeln würden. Da hilft es auch wenig, wenn in Folge eines Gutachtens plötzlich ein paar prominente Opfer gefunden und als Signal des guten Willens ihrer Ämter enthoben werden. Einige andere sind schon tot. Hat alles etwas arg lange gedauert.

Die Skepsis wächst

Auch wenn es so scheint, dass sich Teile der katholischen Kirche mehr und mehr dessen bewusst werden, dass ein Weiter so keine Option ist, bleibt ein erheblicher Vertrauensverlust erstmal bestehen. Es ist diese Scheibchentaktik, die aufstößt, und Skepsis nährt. Immer mehr Gläubige in Deutschland und in Polen, aber auch in anderen Ländern, treten aus der Kirche aus. Aus Protest. Und als Signal. In Deutschland mit wesentlich größeren Folgen als in Polen, weil durch einen Kirchenaustritt auch die Kirchensteuer wegfällt. In Polen hat der Akt eher symbolischen Charakter, denn Kirche und Staat sind in Polen getrennt.

Dennoch wiegt dieser Protest auch hier schwer. Vor allem die Jugend wendet sich jetzt ab. Mit Hoffnung blicke ich auf jene aus der Kirchengemeinschaft hervorgehenden Initiativen in Deutschland und Polen, die versuchen, ernsthafte Reformen anzustoßen, um neues Vertrauen der Gläubigen in ihre Kirche aufzubauen. Nur mit Reformen, die die Ursachen der Verfehlungen im Blick haben, statt ihre Folgen mit Gutachten zu evaluieren, wird es gelingen, die Kirchengemeinschaft wieder zu einen. Es bleibt allein die Frage, ob die Zeit reicht. Vielleicht bedarf es irgendwann eines besonderen Osterfestes, am dem die Gläubigen mit der Auferstehung Jesu auch einen Neuanfang der Kirche feiern können.