Rotes Kreuz
„Ein großes Umdenken“ ist nötig

Tobias Muhr forderte beim Besuch der Grünen-Abgeordneten Tina Winklmann ein flächendeckendes Ausrollen des Katastrophenschutzes.

31.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:24 Uhr
Bei ihrem Antrittsbesuch traf Abgeordnete Tina Winklmann BRK-Kreisvorsitzenden Theo Zellner (2. v. re.), Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner (li.), den Projektleiter Manfred Maurer (re.) und Tobias Muhr (2. v.li.). −Foto: Frank Betthausen

Seit 20 Jahren engagiert sich Tobias Muhr im Katastrophenschutz. Mit seinem Fachwissen hat er sich weit über Bayerns Grenzen hinaus einen Namen gemacht. Bei der Visite der Bundestagsabgeordneten Tina Winklmann (Bündnis 90/Die Grünen) beim BRK-Kreisverband in Cham forderte er vom Bund: „Wir brauchen ein großes Umdenken.“ Seine Aussage bezog er auf „dringend benötigtes Material“ genauso wie auf moderne Fahrzeuge, deren Anschaffung sich oft über Jahre hinziehe.

„Den Katastrophenschutz in Deutschland halten wir aufrecht – und zwar im ganz Kleinen“, hielt Muhr kritisch fest. Der Landkreis sei in diesem Punkt sehr gut aufgestellt. „Das liegt aber nicht am Bund, sondern an uns selbst und daran, dass wir Geld in die Hand genommen haben für Ausstattung und unseren Fuhrpark“, erklärte Muhr und sprach damit Theo Zellner aus der Seele. „Nach der Wende haben wir in Deutschland in einer Euphorie alles abgebaut, was an Bevorratung vorhanden war“, legte der BRK-Kreisvorsitzende den Finger in die Wunde.

„Brutal gezeigt“ habe sich das zu Beginn der Pandemie etwa bei den fehlenden Schutzanzügen für Pflege- und Rettungskräfte. „Wir ringen mehr oder weniger um jedes Fahrzeug. Der Katastrophenschutz braucht eine andere Wertung“, sagte Zellner, der diese Aussage auch auf die Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 und der vergangenen Wochen bezogen wissen wollte.

Der Katastrophenschutz, appellierte Muhr an die Bundespolitik, müsse flächendeckend ausgerollt sein und dürfe sich nicht nur auf die Städte und Ballungsräume konzentrieren. So, wie es grundsätzlich Zeit zum Handeln sei – z. B. in puncto Terrorgefahr, die seit Jahren offen thematisiert werde. „Irgendwann muss man aufhören, darüber zu sprechen und muss es auch umsetzen“, so Muhr. Tina Winklmann pflichtete den BRK-Vertretern während des etwa eineinhalbstündigen Austauschs bei und versprach, das Thema mit in die Ausschussarbeit in Berlin zu nehmen.

Bei der Ukraine-Hilfe im Einsatz

Muhr schilderte der Grünen-Bezirksvorsitzenden aus Wackersdorf darüber hinaus, wie in der Mehrzahl ehrenamtliche Aktive des BRK seit einem Monat in der Ukraine-Krise Hilfe leisten. So kümmern sich nach seinen Schilderungen am Bahnhof in Furth im Wald seit 1. März Bereitschaftsmitglieder 15 Stunden pro Tag um die Betreuung ukrainischer Vertriebener.

Auf dem Höhepunkt seien zwischen 300 und 370 Menschen pro Tag auf der Durchreise zu versorgen gewesen. Zudem errichteten Muhrs Teams zwei große Notunterkünfte mit 280 Betten in der Region. „Es ist zum Teil dramatisch, was man erlebt“, beschrieb Muhr seine Begegnungen mit den von der Flucht gezeichneten Menschen. Die durchschnittliche Verweildauer in den Notunterkünften liege bei drei Tagen. „Die Wohnungsangebote an den Landkreis und das Landratsamt sind sehr zahlreich – und die Solidarität, jemanden aufzunehmen, ist sehr groß“, sagte Muhr, der der Bevölkerung für ihre enorme Unterstützung dankte. Wie Zellner nutzte er jedoch die Gelegenheit, die Bürger darum zu bitten, die Abgabe von Hilfsgütern mit dem BRK abzustimmen und in diesen Zeiten eher Geldspenden zu tätigen.

„Das gezielte Helfen ist von ganz zentraler Bedeutung“, erklärte der Kreisvorsitzende, mit dem Winkl-mann bei diesem Thema ebenfalls auf einer Wellenlänge lag. „Es muss koordiniert laufen“, bekräftigte sie. An Muhr und seine ehrenamtlichen Aktiven richtete sie „ein ganz dickes Danke“ für das Engagement.

Breiteren Raum nahm bei dem Treffen ferner die Arbeit des Kompetenz- und Koordinierungszentrums für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst (Gü-RD) zwischen Bayern und der Tschechischen Republik ein, die Projektleiter Manfred Maurer von Furth im Wald aus verantwortet. Partner des Interreg-Projekts, das zum 31. Dezember ausläuft, sind das BRK mit dem Kreisverband Cham und der Landesgeschäftsstelle in München sowie der Rettungsdienst Pilsen.

Maurer skizzierte die von vielen juristischen Hürden geprägten Bemühungen, an der 357 Kilometer langen Grenze in seinem Zuständigkeitsgebiet seit 2016 ein länderübergreifendes System der Hilfe zu etablieren. „Wir haben es geschafft, dass kein Patient mehr an der Grenze von einem Rettungswagen in den anderen umgeladen wird“, sagte er. Allerdings spreche man im Moment nur von der Notfallrettung und noch nicht von Krankentransporten.

‚Brauchen juristische Grundlage‘

Die Zusammenarbeit sei heute längst das geringste Problem, so der Projektleiter. „Aber wir brauchen langfristig die juristische Grundlage“, meinte er. In die Überarbeitung der Rahmenverträge sei das Kompetenz- und Koordinierungszentrum eingebunden. „Das Vertragswerk liegt aktuell in Berlin“, ließ er die Bundespolitikerin wissen, während Zellner darauf pochte, dass sich das Projekt Gü-RD mit dem Auslaufen der Förderperiode Ende 2022 über die Kostenträger, „sprich die Kassen“, verselbstständigen müsse.

Kreisgeschäftsführer Manfred Aschenbrenner umriss ein innovatives Vorhaben, das die Pflege in der Pandemie-Nachbereitung ein großes Stück voranbringen könnte. Zusammen mit der Technischen Hochschule (TH) Deggendorf und Professor Dr. Stephan Gronwald arbeitet das Rote Kreuz in Cham daran, sein 2019 mit dem Bayerischen Präventionspreis ausgezeichnetes Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Pflege weiterzuentwickeln und entscheidend auf den Erfahrungen der ersten beiden Corona-Jahre aufzubauen.