Rotes Kreuz Cham
Fünf Jahre Rettung über Grenze hinweg

Der Grenzüberschreitenden Rettungsdienst in Furth im Wald hat sich bewährt. Das zeigt auch der Fall des Mädchens am Cerchov.

05.11.2021 | Stand 15.09.2023, 23:28 Uhr
Der Grenzüberschreitende Rettungsdienst ermöglicht Interessenten wie Dominika Dirnová aus Pilsen (Mi. – mit Manfred Maurer und Tereza Homolková) Praktika in deutschen Rettungswachen. Foto: Frank Betthausen −Foto: Frank Betthausen

Ein kleines Mädchen, das bei Eiseskälte zwei Nächte in der Wildnis am Cerchov verbringt und von 1400 Einsatzkräften fieberhaft auf beiden Seiten der Grenze gesucht wird… Wenn es noch ein Beispiel gebraucht hätte, um aufzuzeigen, wie wichtig die Zusammenarbeit der Rettungs- und Hilfsorganisationen auf tschechischer und deutscher Seite ist, dann war es der Fall der vermissten Julia aus Berlin, der am 12. Oktober ein glückliches Ende fand.

Für Manfred Maurer, den Projektleiter des Grenzüberschreitenden Rettungsdiensts (Gü-RD) mit Sitz in Furth im Wald, war es „das Bild des Jahres“, als am frühen Nachmittag auf seinem Computer-Bildschirm das Symbol des tschechischen Rettungswagens (RTW) über die Grenze in den Landkreis Cham „hinüberwanderte“. An Bord: die Achtjährige, die kurz zuvor von einem Förster im Nachbarland entdeckt worden war.

Bis vor wenigen Jahren wäre Julia zur Behandlung in Tschechien geblieben oder am Grenzübergang an die Besatzung eines deutschen RTW übergeben worden. Mittlerweile rollt das Fahrzeug am Schafberg durch und steuert direkt die Notaufnahme einer bayerischen Klinik an.

Wo einst Gesetzesvorschriften, Sprachbarrieren und Sachzwänge der „grenzenlosen Hilfe“ im Weg standen, sind die Retter eng zusammengerückt. Maurers Fazit der vergangenen fünf Jahre – Projektpartner sind derzeit das Bayerische Rote Kreuz mit dem Kreisverband Cham und der Landesgeschäftsstelle in München sowie der Rettungsdienst Pilsen –, fällt eindeutig aus: „Wir haben einen Riesenschritt in die richtige Richtung gemacht.“

Ein Quantensprung: Babylon2

Einen Quantensprung bedeutete das Anfang 2019 eingeführte Kommunikationstool Babylon2, das Josef Trefil, ein Mitarbeiter der Leitstelle in Pilsen, in seiner Freizeit programmierte; jene Software, die Manfred Maurer am 12. Oktober den tschechischen RTW anzeigte, der die eineinhalb Tage verschollene Julia nach Bayern brachte.

Für Babylon2 sind alle Fahrzeuge auf beiden Seiten der 357 Kilometer langen Grenze im Zuständigkeitsgebiet mit einem Tracker versehen worden, über den permanent ihr Standort angezeigt wird – auch den Disponenten in den Leitstellen. Seit der Einführung des Systems sind damit etwa 500 Einsätze abgearbeitet worden.

„Bis vor zwei Jahren“, verdeutlicht Maurer, bis zu seinem Wechsel nach Furth Rettungsdienstleiter in Tirschenreuth, „kommunizierten die Leitstellen noch über zweisprachige Faxe“. Jetzt sei mit Babylon2, das die erste Interreg-Projektphase beschloss, ein enger Austausch möglich. Auch Patienten können über das Programm in den angebundenen Kliniken angemeldet werden, wenig verwunderlich also, dass es für die Software längst diverse Anfragen gibt – etwa aus dem deutsch-französischen Grenzraum.

Projekt: Es bündelt
Die Weichen dafür sind seit 2016 ganz maßgeblich im Kompetenz- und Koordinierungszentrum für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst zwischen Bayern und der Tschechischen Republik am Rettungszentrum in Furth im Wald gestellt worden.– inzwischen über das zweite Interreg-Projekt – die Kompetenzen und Interessen aller Rettungsdienste im Grenzgürtel zu Tschechien, der acht Landkreise und 25 Rettungswachen umfasst. In Tschechien erstreckt sich das Gebiet über die Bezirke Pilsen, Karlsbad und Südböhmen.

Auch im Further Rettungszentrum hat sich in Sachen Zweisprachigkeit viel getan. Mit Maurers Stellvertreterin Tereza Homolková aus Bor arbeitet dort seit eineinviertel Jahren eine Mitarbeiterin, die nahezu perfekt deutsch spricht und als frühere Notfallsanitäterin der Further BRK-Rettungswache genau weiß, mit welchen Alltagsproblemen sie es zu tun hat. Die 26-Jährige war eine der Ersten, deren Ausbildung in Deutschland anerkannt wurde.

Während der Notfallsanitäter in Homolkovás Heimatland ein Studiengang ist, firmiert er in Bayern als dreijähriger Ausbildungsberuf. „Wir mussten uns rantasten und über Rahmenbedingungen juristische Grundlagen schaffen“, erinnert sich Maurer. Dazu kam jede Menge weiterer Arbeit an der Basis… Es mussten Kontakte zu Krankenhäusern hergestellt und Abrechnungsfragen geklärt werden. Das Thema Rückholtransporte war zu organisieren; zudem Werkzeuge, „mit denen wir anfängliche Kommunikationsprobleme in den Griff bekommen konnten“, wie der 50-Jährige erklärt. Eines der Glanzlichter war ein zweisprachiges „Praxiswörterbuch Rettungsdienst“, das in die Hosentaschen der Mitarbeiter passt, die draußen im Einsatz sind.

Überhaupt sind die Automatismen dank des Projekts inzwischen andere. Kollabiert ein tschechischer Pendler im Raum Furth, kann er von einem deutschen RTW ins Krankenhaus nach Domažlice gefahren werden – oder umgekehrt. Aber es wird noch eine Weile ein Traum von Homolková und Maurer bleiben – mit Daniela Owerdieck steht ihnen eine Team-Assistentin in der Verwaltung zur Verfügung –, dass Patienten von Haus aus in eine Klinik im Nachbarland gebracht werden. Die politische Unterstützung, das betont Homolková, sei riesengroß.

„Das ist gelebtes Europa“, sagt BRK-Präsident und Kreisvorsitzender Theo Zellner, dem die Kooperation an der Grenze seit dem ersten Tag eine Herzensangelegenheit war. Nicht ohne Grund war der Grenzüberschreitende Rettungsdienst schon Thema in der Bayerischen Vertretung in Brüssel. Und: Manfred Maurers Erfahrungen sind regelmäßig auch in Arbeitsgruppen zur Kooperation mit anderen Nachbarländern gefragt – etwa in der Zusammenarbeit mit Polen.

Die Arbeit vor Ort verbessern

Die zweite Projektphase, die Ende 2022 ausläuft, orientiert sich nach seinen Worten zu 98 Prozent an der Praxis. Dabei wird nicht zuletzt an Feinheiten gefeilt, „um die Arbeit vor Ort zu verbessern“. Zudem werden tschechischen Interessenten wie Dominika Dirnová aus Pilsen dreimonatige Praktika in deutschen Rettungswachen ermöglicht. Kleinübungen stehen auf der Agenda – und auch an der Kommunikation wird weiter nachjustiert.

So ist auf die NIDApads, die dem Austausch von Einsatzdetails zwischen Leitstelle und Rettungswagen-Crew dienen, eine Feedback-App aufgespielt worden. Über sie haben Mitarbeiter – der Probeversuch läuft im Moment beim BRK-Kreisverband Cham – die Möglichkeit, Anfahrtswege zu Krankenhäusern genauso zu bewerten wie die Aufnahme durch das Personal.

„Wir arbeiten mit fast allem, was wir haben, daran, dass uns die Krankenkassen die Koordinierungsstelle ab Ende nächsten Jahres voll finanzieren“, blickt Manfred Maurer dem Projektabschluss entgegen. Theo Zellner weiß er dabei an seiner Seite.

Beide Beteiligten werden nicht müde zu betonen, dass die Erfolge der vergangenen Jahre eine große Gemeinschaftsleistung waren – auch auf deutscher Seite. „Wir agieren hier in Furth nicht nur als BRK, sondern vertreten auch die Arbeitsgemeinschaft Grenze“, erklärt Maurer. In der ARGE haben sich das Rote Kreuz, die Johanniter Unfallhilfe Bayern und der Malteser Hilfsdienst zusammengetan, „um eine qualifizierte Notfallrettung für die Bevölkerung sicherzustellen“.