Copperfield’s Corner
Ist es möglich, ohne Musik zu überleben?

Diesmal denkt Tilo George Copperfield über die Bedeutung von Musik für uns nach – und warum wir sie unbedingt brauchen.

10.07.2021 | Stand 16.09.2023, 1:51 Uhr
Tilo George Copperfield
Musiker Tilo G. Copperfield schreibt regelmäßig über die Welt der Musik für uns. −Foto: Sandy Rösch

Neulich habe ich mir einen Podcast mit dem legendären Musikproduzenten Brian Eno angehört. Er ist ja bekannt für seine Arbeit mit David Bowie, U2, Coldplay und vielen anderen großen Künstlern. Er hat eine Frage gestellt, die ihn während der Pandemie beschäftigt hat: Kann der Mensch ohne Musik überleben? Musik ist ja für viele extrem wichtig und spielt eine besondere Rolle in vielerlei Hinsicht. Aber überleben könnten wir wahrscheinlich ohne sie. Anders als die Grundbedürfnisse des Menschen nach Nahrung, der Luft zum Atmen oder nach sozialen Kontakten ist die Musik ja mehr oder weniger ein kulturelles Nebenprodukt, um die Menschen zusammenzubringen und zu unterhalten, sie zum Nachdenken zu bewegen und sich die Zeit zu vertreiben.

Warum haben alle Kulturen der Menschheit Musik als Ausdrucksform gewählt? Ob im fernen Osten, bei entlegensten Indianerstämmen im Amazonas, bei den Wikingern oder sonstwo: die universelle Sprache der Musik zieht sich durch die Weltgeschichte wie ein roter Faden. Natürlich haben sich Notensysteme, Skalen und Rhythmen in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich entwickelt. Aber wo Menschen beisammen waren, wurde immer schon musiziert, seit Anbeginn der Menschheit. Gut, es wurde auch gemalt, anfangs auf Felsenwände und dann irgendwann auf Leinwände. Aber es scheint, dass irgendwas für uns Menschen daran so enorm wichtig erscheint, Musik um sich zu haben, perfektioniert im Hochmittelalter, um Geschichten von fahrenden Musikanten weiterzuerzählen, die gerngesehene Gäste an den Höfen der Könige und in den Wirtshäusern der Stadt waren.

Musik gibt uns Balance

Da wir in unserer heutigen Gesellschaft täglich einer nie dagewesenen Reizüberflutung ausgesetzt sind, können wir uns ein Leben ohne Musik sicherlich schwer vorstellen. Es sei denn, wir verlieren das Gehör und sind automatisch ausgeschlossen. Heutzutage sehnt sich der Mensch aufgrund der Hektik des Alltags und des ständigen Hereinprasselns von Eindrücken eher nach absoluter Ruhe. Gerade das ist ja auch wichtig, um wieder Kraft zu tanken: den Lärm des Alltages ausschalten und mal wieder bewusst in sich reinhören. Musik und Geräusch sind dann plötzlich etwas, dem man entfliehen möchte. Es verhält sich genau so wie mit allem, bei dem ein Überangebot vorhanden ist: zuviele Leute in der U-Bahn? Da ist man mal wieder froh, ein paar Stunden ganz allein zu verbringen. Zu viel starres Bildschirmschauen in der Arbeit? Da möchte man mal wieder in die Weite der Natur blicken. Der Ausgleich ist wichtig für die Balance – das Yin zum Yan. Nur so hält man das auf Dauer aus.

Zurück zur Musik: Ich glaube, man kann durchaus ohne Musik überleben. Aber man sollte damit ein bisschen selektiver umgehen, denn Musik ist eine Bereicherung der Existenz. Ich bin zum Beispiel ein extrem schlechter Radiohörer. Ich möchte mich nicht einfach von irgendwelcher Musik im Hintergrund beschallen lassen, nur weil sie ein Algorithmus zusammengestellt hat. Ich möchte persönlich die Zeit, die ich mit Musik verbringe, so bewusst wie möglich erleben. Denn Zeit, da wird mir wohl niemand widersprechen, ist kostbar. Und warum sollte ich das aus der Hand geben? So vermeide ich persönlich für mich, dass ich mich an Musik abhöre und sie auch einfach nur ein Geräusch unter tausenden anderen wird. Klar, das ist eine Einstellungssache. Und viele brauchen einfach nur irgendein Hintergrundgeräusch. Deshalb gibt es in der Radiosprache auch den Begriff „Durchhörbarkeit“. Je mehr Musik läuft, die beim Bügeln oder Ausfüllen von Exceltabellen niemanden stört, also die Funktion eines Hintergrundgeräusches hat, umso weniger Radiohörer schalten den Sender weg, und die Einschaltquoten steigen.

Musik ist Lebensqualität

Musik ist für mich also einfach zu wertvoll, damit sie einfach nur die Pausen zwischen der Werbung füllt. Da höre ich lieber gar kein Radio oder nur ausgewählte Sendungen und setze mich dann beim Abendessen gemütlich vor meinen Plattenspieler und höre mir die A-Seite einer meiner Lieblingsscheiben an. 20 Minuten abtauchen in eine andere Welt statt Dauerberieselung – für mich keine Sache des Überlebens, aber definitiv eine Sache von Lebensqualität.