Assistenzpersonen fehlen
Querschnittsgelähmter Regensburger sucht „helfende Hände“

13.09.2022 | Stand 12.10.2023, 10:02 Uhr
Angelika Sauerer
Daniel Hanseder sucht „helfende Hände“. −Foto: Hanseder

Daniel Hanseder hat um jedes Stück Selbstständigkeit gekämpft. Er lebt in seiner eigenen Wohnung, geht ins Bett, wann er will und in den Biergarten oder ins Kino, wenn er Lust dazu hat. Dabei braucht er Unterstützung. Er ist seit Geburt von der Brust abwärts gelähmt. Doch seine Eigenständigkeit ist in Gefahr.



Auf dem Spiel steht nicht weniger als seine Existenz als selbstbestimmter Mensch. Er brauche „helfende Hände“, schreibt er in einem aufrüttelnden Aufruf, den er über Facebook verbreitet und an einigen Stellen in der Stadt an Schwarze Bretter gehängt hat: „Junger (31 Jahre), sympathischer, querschnittgelähmter Mann sucht dringend nette und engagierte Assistenzpersonen (m/w/d).“

Sehr, sehr viele Anfragen

Daniel Hanseder macht das vor allem, aber nicht nur für sich. Wenn sich aufgrund seiner Aktion Menschen melden, die Interesse an dem Job haben, könnten auch andere profitieren. Denn der Bedarf an Assistenzpersonen in Regensburg, aber auch in ganz Bayern ist viel größer als das Angebot. Das berichten Organisationen, die solche Hilfen auf den Weg bringen, unisono. „Wir suchen Verstärkung für verschiedene Teams“, sagt Anke Polednik. Sie ist Sprecherin der Diakonie Regensburg, die Daniel Hanseder bisher mit Assistenzpersonen versorgt. Tobias Schusser, Geschäftsführer von Phoenix e.V., sagt: „Es gibt eine Warteliste. Und wir bekommen sehr, sehr viele Anfragen.“

Der Bedarf war schon immer groß, aber durch Corona hat sich die Lage zu einem regelrechten Engpass zugespitzt. Kerstin Ackermann leitet die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung der Diakonie. Das ständige Testen, der Impfdruck, immer wieder Quarantäne und durch krankheitsbedingte Ausfälle sich oft ändernde Dienstpläne – das sei etlichen einfach zu kompliziert geworden, sagt sie. Hinzu komme, dass Pflege leider generell nicht gut bezahlt sei. Viele seien abgesprungen – obwohl die Assistenz ein erfüllender und interessanter Job sei, der flexible Arbeitszeitmodellen vom Minijob bis zu 75 Prozent biete und viel Freiraum.

Daniel Hanseder hat aufgehört, mitzuzählen, wie viele Hilfskräfte in den sechs Jahren, die er mit Assistenz lebt, bei ihm beschäftigt waren. „30 oder 40 waren es bestimmt“, sagt er. Wechsel sind durchaus normal, denn die Assistenzpersonen sind oft Studierende, die nur für eine gewisse Zeit in Regensburg wohnen. Mindestens vier Leute braucht er, um seinen Alltag abzudecken. Die Schichten dauern von 15 bis 7.30 Uhr, die Leute wechseln sich ab. Seit einigen Monaten hat er nur mehr zwei Helfer. Deren Überstunden häufen sich, Urlaube stehen an. Sein Betreuungssystem steht vor dem Kollaps – und die Wohnung im Regensburger Kasernenviertel immer öfter leer. Mutter Monika Hanseder holt ihren Sohn am Wochenende nach Hause, die Familie lebt in Arnstorf im Landkreis Rottal-Inn. Häufig springt sie auch selbst in Regensburg ein. „Daniel ist in die Stadt gezogen, weil er sein Leben unabhängig leben will. Es ist so bitter, wenn er jetzt wieder eingeschränkt wird“, sagt die Mutter. „Durch den Verlust von Selbstständigkeit fühle ich mich zurückgesetzt“, sagt ihr Sohn.

Daniel Hanseder kam mit einer Spina bifida zur Welt. Etwa eines von tausend Kindern ist davon betroffen. Die Neuralrohrfehlbildung an der Wirbelsäule wird gemeinhin auch „offener Rücken“ genannt. Seine Einschränkung ist rein körperlich, die Spaltung liegt bei ihm im Brustwirbelbereich. „Ich kann meine Arme und meine Hände bewegen. Aber mein Rumpf ist instabil. Von offenen Stühlen würde ich runterfallen“, erklärt Daniel Hanseder.

„Er ist von klein auf gelähmt. Daniel kennt es nicht anders“, sagt Monika Hanseder. Im Teenager-Alter hatte er dann noch eine schwere Rückenoperation, lag drei Monate auf der Intensivstation, brauchte einen Luftröhrenschnitt und war ein ganzes Jahr komplett bettlägrig. „Wir sind eigentlich ziemlich froh, dass es ihm wieder so gut geht“, sagt die Mutter. Zuschauen zu müssen, wie er nun vielleicht einen Teil seiner Eigenständigkeit wieder verliert, das geht ihr ans Herz.

An den Werktagen arbeitet Daniel Hanseder von acht bis 15 Uhr in der St.-Johannes-Werkstätte in Burgweinting. „Wir verbauen Kleinteile für BMW“, erklärt er. Außerdem ist er Vorsitzender des Werkstattrats. Während der Arbeitszeit bekommt er dort auch jede Unterstützung, die nötig ist. Für die Zeit davor und danach aber braucht er jemanden an seiner Seite. Der Dienst beginnt um 15 Uhr, da bringt ein Bus Daniel Hanseder zurück zu seiner Wohnung. Er benötigt Hilfe beim Transfer, beim Anziehen, Waschen, Lagern; nachts muss er mehrfach umgebettet werden, um keine Druckstellen zu bekommen. Auch der Blasenkatheter und der künstliche Darmausgang müssen versorgt, Beutel geleert und gewechselt werden.

Daniel Hanseder geht offen mit diesen Details um. Er möchte, dass Menschen, die sich für eine Arbeit mit ihm interessieren, von Anfang an wissen, was auf sie zukommt. „In der Pflege sind diese Dinge ganz normal“, sagt Kerstin Ackermann von der Diakonie. „Es hört sich schlimmer an, als es ist. Das kann jeder lernen.“ Nach dem gegenseitigen Kennenlernen gebe es Einarbeitungstermine mit einer erfahrenen Assistenzperson. Danach nehme eine Fachkraft die pflegerischen Tätigkeiten ab.

Raum für spontane Ideen

Bevor Daniel Hanseder alleine lebte, wohnte er eineinhalb Jahre in einem Regensburger Heim. Das kann er sich heute nicht mehr vorstellen. Unternehmungen mussten weit im Voraus geplant werden. „Aber ich weiß doch gar nicht, ob es mir dann überhaupt gut geht oder ob ich noch Lust dazu habe“, sagt er. Für spontane Ideen war da wenig Raum.

Doch genau die bedeuten für Daniel Hanseder Glück und Lebensqualität. Er geht oft ins Kino oder mit seinem Handbike Fahrradfahren. Und er spielt gern am Computer. An der linken Hand hat er zwar leichte feinmotorische Einschränkungen. Aber die Rechte, die ist okay.

Assistenzpersonen

Voraussetzung:Empathie sei nötig, sagt Tobias Schusser von Phoenix. Außerdem müsse die Chemie stimmen. Das betont auch Kerstin Ackermann von der Diakonie.

Anbieter:In Regensburg stellen die Diakonie, Phoenix e.V. und der Verein Aktives Leben für Menschen mit Behinderung e.V. (alb) Assistenzen.

Modelle:In Regensburg gibt es das Dienstleistungsmodell, sagt Schusser: Anbieter stellen Assistenzkräfte ein, wickeln Kosten ab, überbrücken Lücken, leisten Bereitschaft. Im Arbeitgebermodell stellt die oder der Schwerbehinderte die Assistenzkräfte selbst ein. In vielen Städten gibt es nur diese Möglichkeit.