Tierhilfe
Regensburger Rattenasyl für „Notfelle“

Nager als Haustiere vermehren sich schnell. Damit sie nicht ausgesetzt werden, gründen ihre zweibeinigen Freunde eine Rattenhilfe samt Pflegeplätzen.

03.09.2014 | Stand 16.09.2023, 7:14 Uhr
Heinz Klein

Jahrhunderte wurde die Ratte als Schädling bekämpft, nun macht sie als Haustier Karriere. Doch aus zwei Ratten wird schnell ein Dutzend. Dann ist guter Rat teuer. Das Regensburger Rattenasyl hilft. Foto: dpa

Eigentlich hat ja jeder Mensch schon eine: Mindestens eine Ratte pro städtischem Einwohner, das war lange Zeit eine Hochrechnung, die auch von professionellen Rattenfängern nie bezweifelt wurde. Inzwischen geht man eher vom Doppelten aus. Doch den Tierfreunden derInitiative Rattenasyl Regensburggeht es nicht um wilde Kanalratzen sondern um domestizierte Nager, die als eher sanftmütige Farbratte in der urbanen Wildnis der U-Bahnschächte und Abflussrohre kaum mehr überleben könnten. Sie warten vielmehr als zahme Schmusetiere zu Hause im Käfig auf ihren Menschen, dem sie am Arm hochkrabbeln und sich ein Leckerli holen.

Nette Ratte sucht neues Zuhause

Jessica Schmits ist die Keimzelle der Initiative Rattenasyl Regensburg. Die 20-jährige Azubi ist Tierfreundin durch und durch. Hasen waren ihre ersten Begleiter, dann kam ein Yorkshire-Mischling dazu, der nach zwei Tagen des Schmachtens aus einem Auto gerettet wurde. Und als Jessica in den EBay-Kleinanzeigen von einer „Ratte zum Verfüttern“ las, musste sie natürlich einschreiten. „Däumelinchen“ hie´ß der kleine Nager, der fortan in einer Kokosnuss bei Jessica Schmits wohnte. Aktuell hat die 20-Jährige sechs eigene Ratten und vier Nager in Pflege und damit sind wir schon bei dem Problem.

Da legen sich Leute zwei Ratten zu, haben wenig Ahnung, machen alles falsch und schon haben sie ein Dutzend Ratten und schreien um Hilfe, bescheibt Jessica Schmits das stets wiederkehrende Rattendrama. Wohin dann mit den Tieren? Also hob die Tierfreundin zusammen mit zwei weiteren Rattenfreunden das Rattenasyl Regensburg aus der Taufe. „Wir stehen mit Rat und Tat zur Seite und versuchen, den Farbratten im Umkreis von Regensburg eine Notunterkunft mit anschließender Vermittlung in ein neues und artgerechtes Zuhause zu bieten“, sagt die Asylgründerin. Das artgerechte Zuhause ist übrigens nicht der Ärmel des Pullovers einer Tierfreundin, sondern ein Käfig mit geeigneter Ausstattung und mindestens zwei weiteren Artgenossen. „Eine Ratte zu halten ist Tierquälerei, bei zweien ist es eine Zwangsehe, ab drei Ratten ist es ein Rudel“, sagt Jessica Schmits. Doch zur Zeit herrscht Aufnahmestopp im Rattenasyl Regensburg. Die Bude ist voll – derzeit suchen vier Ratten (drei Männchen, ein Weibchen) ein neues Zuhause.

Auch bei Matthias Lange sind derzeit die Käfige belegt. Zu den eigenen neun Ratten (plus vier Kaninchen) hat er noch fünf Pflegetiere aufgenommen. Krümel, Hirohito, Marie Antoinette (Erzherzogin von Österreich) oder Auguste-Viktoria (Königin von Preußen) heißen die Nager mit adeligen Namen, die gegen Mitternacht, wenn der Spätschichtarbeiter nach Hause kommt, schon sehnsüchtig auf ihren Spielkameraden und Futterbeschaffer warten. Nicht jede Ratte ist aber ein Schmuser. „Manche wollen auch einfach ihre Ruhe“, sagt Matthias Lange. Die Biorhythmen des Nachtarbeiters und seiner nachtaktiven Haustiere passen gut zusammen und so haben Mensch und Ratte etwas voneinander.

Dritte im Bunde des Rattenasyls ist Nora Scheller. Gemeinsam pflegen die drei Tierfreunde derzeit insgesamt 19 Ratten auf Pflegeplätzen und suchen ein neues Zuhause für etliche Nager. Doch nicht alle sind zu vermitteln, einige werden ihr ohnehin kurzes Leben wohl im Rattenasyl beenden.

Etwa 100 Rattenfreunde dürfte es in Regensburg geben, schätzt Jessica Schmits. Sie möchte noch heuer mit Gleichgesinnten einen Verein Rattenasyl Regensburg gründen und wäre froh um Mithilfe beim Pflegen und Vermitteln der Tiere. Zudem stapeln sich bei den drei Rattenfreunden schon die Tierarztrechnungen. „Derzeit wird es alles ein bisschen viel“, sagt die Asylgründerin.

160 Ratten aus Pforzheim

Auch im Regensburger Tierheim ist man rattenmäßig derzeit ausgebucht. „Jetzt haben wir noch drei Ratten aus Pforzheim aufgenommen – aus einer Wohnung, in der 160 Ratten lebten“, erzählt Christine Hirschberger. Doch „Ratten gehen gut weg und Rattenfreunde gibt es reichlich“, weiß die Tierheimleiterin. Erst vor wenigen Tagen holte die Rattenhilfe Würzburg fünf Nager ab und auch die Münchner kamen, um ältere Ratten zu holen. Die Ratteninitiativen haben sich längst im Internet vernetzt, helfen sich gegenseitig und bieten dort fachkundige Info auf „rattigen Seiten“ an.