Regensburg
Theaterteam stellt sich kitzligen Fragen zu Bett und Bühne

28.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:46 Uhr
Chefdramaturg Ronny Scholz (links) und Intendant Sebastian Ritschel arbeiten eng zusammen und sind privat ein Paar. Ein Regensburger zeigt sich „stark verwundert“. −Foto: Tom Neumeier

Darf Intendant Sebastian Ritschel seinen Partner Ronny Scholz als Chefdramaturgen ans Haus holen? Er darf.

In Jens Rieve, Regensburger Mediziner mit Faible für Theater, bohrt eine Frage, mit der er seit Wochen die Runde macht: Grassiert am Theater Regensburg Vetternwirtschaft? Das Theater und die Oberbürgermeisterin als Verwaltungsratsvorsitzende zeigen klare Kante.

Intendant Sebastian Ritschel und Chefdramaturg Ronny Scholz sind ein Paar, arbeiten am gleichen Haus. Ähnlich ist die Konstellation am Jungen Theater: Zum Team um Leiterin Oda Zuschneid gehört ihre Frau Twyla Zuschneid. Jens Rieve zeigt sich nun in einem offenen Brief „stark verwundert“ über die Nähe leitender Theaterleute zu Mitarbeitern und fragt: Dürfen die das?

Der Regensburger Arzt wittert Parallelen zum Rundfunk Berlin-Brandenburg. Dort ermittelt bekanntlich der Generalstaatsanwalt wegen des Verdachts zugeschanzter Aufträge. Liegt der Fall in Regensburg, ebenfalls von der Öffentlichkeit finanziert, ähnlich?

„Nicht nur mich, auch viele Gesprächspartner, die sich für das Theater interessieren, irritiert das außerordentlich“, schreibt Jens Rieve in Emails an Verwaltungsräte, an Vorsitzende Gertrud Maltz-Schwarzfischer und an Medienvertreter. Er adressiert die Oberbürgermeisterin frontal: „Haben Sie als Verantwortliche nichts gewusst? Oder haben Sie das in Kauf genommen? Wurden Sie bei der Personalie in irgendeiner Form unter Druck gesetzt?“ Die Postenvergabe, dieser Eindruck könne entstehen, schaue „sehr nach Vetternwirtschaft“ aus. „Das Ganze“, resümiert er, „ist schon sehr ungewöhnlich!“

Paar-Bildung gibt‘s öfter

Ungewöhnlich ist die Sache aber nun gerade nicht. Paar-Bildung kommt an Theatern häufig vor. In Regensburg waren früher Ballettchef Dieter Gössler und seine Solistin Bettina Frahm ein gefeiertes Paar. Ritschels Vorgänger Jens Neundorff von Enzberg konnte sich auf seine Frau Antonia Fietz als Leiterin der Kostümabteilung verlassen. Oda und Twyla Zuschneid führten über Jahre gemeinsam das Junge Landestheater Tübingen, sehr erfolgreich obendrein. Und auch außerhalb von Regensburg ist beruflich-private Nähe nichts, was überrascht oder gar irritiert. Elke Maria Schwab-Lohr etwa übernahm die Leitung des Theaters an der Rott, als ihr Mann Intendant Uwe Lohr im Februar 2022 überlastet kündigte. Und in Münster feierten 2020 Intendant Meinhard Zanger und seine leitende Dramaturgin Tanja Weidner Traumhochzeit, besiegelt von OB Markus Lewe als Standesbeamtem höchstpersönlich. „Ich glaube nicht, dass es einem Lebenspartner möglich ist, bei der Einstellung von nahe stehenden Personen Befangenheit auszuschließen und die notwendige Neutralität zu bewahren“, insistiert Jens Rieve, und unterstreicht die sehr strikten Regeln zu Vorteilsnahme im öffentlichen Dienst.

Rolf Bolwin aus Bonn rückt den Fall zurecht. Der Anwalt war 25 Jahre Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, dem Bundesverband der Theater und Orchester. Er verweist auf die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit und auf das Prinzip, das Intendanten freie Hand gibt bei der Auswahl ihres Teams. „Entscheidend sind die künstlerischen Fähigkeiten“, sagt er und fügt hinzu: „Jede ungerechtfertigte Privilegierung bei der Vertragsgestaltung, vor allem bei der Vergütung hat zu unterbleiben."

Die OB als Vorsitzende des Verwaltungsrats antwortet glasklar: „Es ist nicht meine Aufgabe, den Wirkungsbereich des Intendanten zu regulieren und damit die künstlerische Freiheit im Sinn des Grundgesetzes einzuschränken“, betont sie gegenüber unserer Zeitung. Das betreffe auch Personalentscheidungen des Intendanten. Die würden von städtischer Seite „weder beeinflusst noch bewertet“.

„Im heteronormativen Bereich ist Beziehung kein Thema. Hier schon.“ Andrea Hoffmann, Sprecherin des Theaters, vermutet, im Nepotismus-Verdacht schwingen Vorurteile gegen schwule und lesbische Paare mit. Rieve selbst schildert sich im Gespräch als theateraffin, als jemanden, der auswärtige Inszenierungen sieht oder Festivals wie die Ruhrtriennale besucht, und als wachsamen Bürger. Die Frage, ob sich Männer oder Frauen protegieren, interessiere ihn kein bisschen. „Mir geht’s um mögliche Vorteilsnahme, unabhängig vom Geschlecht.“

„Vorteilsnahme: ein krasser Vorwurf“: Ritschel nimmt ohne Umschweife Stellung. Den Verdacht von Vetternwirtschaft in einem offenen Brief zu äußern, ohne erst Aufklärung im direkten Gespräch zu suchen, „finde ich menschlich schwierig“. Die OB bekräftigt: „Der Vorwurf des Nepotismus wiegt schwer.“ Es gäbe „keinerlei Anhaltspunkte“, die die Veruntreuung öffentlicher Gelder suggerierten. Vorteilsnahme wäre es, wenn Angehörige auf Posten kämen, für die sie nicht qualifiziert sind, oder wenn sie überdurchschnittlich viel verdienen, stellt die OB klar. „Beides ist hier nicht der Fall.“

Die Vergütung für Ronny Scholz, auch für Oda und Twyla Zuschneid, bewegt sich „voll und ganz im Gagengefüge am Theater“, so die OB. Und dieses Gefüge liege deutlich niedriger als an anderen Häusern.

„Mit Begünstigung wie beim RBB hat Regensburg nichts, aber gar nichts zu tun. Hier geht es allein um die Qualifikation“, betont Ritschel. An der Eignung von Ronny Scholz lässt sich in der Tat nicht zweifeln: Er war leitender Musiktheater-Dramaturg, zuletzt sogar Operndirektor. „Und eingestellt wurde er, wie sämtliche Mitarbeiter, nach dem Vier-Augen-Prinzip“, sagt Ritschel. „Von der Doppelspitze, also dem kaufmännischen Leiter Matthias Schloderer und mir als künstlerischem Leiter.“

Wunschprofil erfüllt

Ritschel und Scholz, seit 20 Jahren ein Paar, arbeiteten am Theater Görlitz zehn Jahre zusammen und haben ihre Beziehung nie versteckt. „Wir machten das transparent, auch im Verwaltungsrat in Regensburg“, sagt Ritschel. „Wir gingen offen damit um.“

Scholz verweist auf den Effekt gegenseitiger Inspiration. An anderen Bühnen sei man auch deshalb „froh über Teams, man sucht sie sogar.“ Profitiert er von der Nähe zum Chef? „Eher im Gegenteil“, sagt er. „Theater ist bei uns natürlich rund um die Uhr Thema.“ Jens Rieve macht noch ein zweites Fass auf. Er fragt: Wie kann ein Intendant, Chef eines Hauses mit rund 500 Mitarbeitern, „so viel Zeit finden, selbst zu inszenieren?“ Er will wissen: Kassiert Ritschel über Gebühr ab? Von wegen: Während Intendanten bis zu 40 Tage pro Saison auswärts gastieren, verzichtet das Regensburger Leitungsteam komplett auf externe Aufträge, stellt die OB klar. Regensburg suchte außerdem gezielt einen Intendanten, der selbst Regie führt und Erfahrung als Ausstatter besitzt. Ritschel erfüllt das Wunschprofil.

Der Intendant nennt unserer Zeitung Details zur Gage: Eine Inszenierung pro Saison ist in seinem Gehalt inkludiert, für zusätzliche Leistung erhält er zusätzliches Honorar, genau wie andere Mitarbeiter. „Aber der Intendant schreibt sich seinen Arbeitsvertrag ja nicht selbst“, betont er, und: „So wenig habe ich noch an keinem Haus für eine Inszenierung erhalten.“

Noch eine Sache ist dem Intendanten neu: „Ich bin noch nirgendwo so sehr mit meinem Privatleben konfrontiert worden wie in Regensburg.“

Kommentar

Intendanten sind frei

Ja, sie tun es: Menschen arbeiten Seite an Seite und manchmal schlafen sie auch in einem Bett. Gefühle wird man nicht abschaffen können, wie erfreulich! Leider kann man auch das recht freihändige Konstruieren und das ungenierte öffentliche Versprenkeln von Verdächtigungen nicht verhindern.

Paaren am Theater wird also den Mantel der Vetternwirtschaft angetragen. Ernsthaft?! Folgt man diesem Reflex, müsste man die Kunstfreiheit in den Wind schießen und Bewerber verpflichten, eine Art Schlafzimmer-Check zu absolvieren oder das Familienbuch vorzulegen. Wäre der Trauschein ein K.-o.-Kriterium? Oder schon – auch das soll vorkommen – eine innige Nacht?

Man sieht: Da hat sich jemand in seiner aufklärerischen Mission verlaufen und gar nicht erst groß angeschaut, was zu Theatern geregelt ist. Dabei ist die Sache recht einfach: Intendanten entscheiden frei. Was zählt, sind Eignung, Transparenz und ein korrektes Verfahren. Mehr muss uns nicht interessieren. Glücklicherweise!