Regensburg.
Trabedersen: Der Stoff, aus dem Hoffnung ist

Ein Regensburger Biotech-Unternehmen ist auf bestem Weg, ein Krebsmedikament zur Marktreife zu bringen. Seine Wirksamkeit hat es bereits gezeigt.

24.02.2009 | Stand 24.02.2009, 18:41 Uhr

Von heinz Klein, MZ

Die Gegner, die sich das Regensburger Unternehmen Antisense Pharma vorgeknöpft hat, könnten schrecklicher kaum sein: es sind die ganz besonders bösartigen Tumore. Dafür ist die Methode, mit der die Wissenschaftler aus dem Biopark gegen den Krebs zu Felde ziehen, umso eleganter: mit sogenannten „targeted technologies“ packen sie Tumore zielgerichtet an der Wurzel. Diese Methode zeigt wenig Nebenwirkung, aber viel Wirkung. Die Erfolge, die Antisense damit bereits erzielt hat, könnten vielversprechender kaum sein: Sie reichen bis zum völligen Verschwinden von Gehirntumoren bei austherapierten Krebspatienten. Nach zehnjähriger Entwicklungszeit startet das Regensburger Pharmaunternehmen mit seinem Anti-Krebsmittel Trabedersen nun in die dritte und letzte klinische Studienphase, in der das Medikament in 14 Ländern seine Wirksamkeit bestätigen muss.

„Schau, ich bin lieb“ sagt der Krebs

„Normalerweise kostet die Entwicklung eines solchen Medikaments etwa eine Milliarde Dollar“, sagt Dr. Karl-Hermann Schlingensiepen. Dass der Mediziner sich mit ein paar Freunden und Familienmitgliedern an eine Aufgabe gewagt hat, die normalerweise nur Pharmariesen schultern, zeugt von der Kraft, die Zuversicht haben kann. Inzwischen ist aus dem 1998 gegründeten Familienbetrieb freilich ein Konzern mit 130 privaten Investoren und den MIG-Fonds als Kapitalgeber geworden. Dennoch hätten alle miteinander nie eine Milliarde zusammenkratzen können. Mussten sie auch nicht. Antisense Pharma und seinem Geschäftsführer Karl-Hermann Schlingensiepen ist es als bisher einzigem Unternehmen weltweit gelungen, die Entwicklung eines Krebsmedikaments mit einem Etat von weit unter 100 Millionen Euro bis in die dritte klinische Studienphase, die sogenannte Sapphire-Studie, zu bringen. Die Privatinvestoren dankten es Schlingensiepen mit einem synthetisch hergestellten Saphir von einigen hundert Karat, den Verwaltungsrat Horst Linn nun überreichte.

Synthetisch hergestellt ist auch der Wirkstoff Trabedersen: ein gefriergetrocknetes weißes Pulver, das aus kopierter Erbinformation, einer Kette sogenannter Nukleinsäuren, besteht. Es schaltet im menschlichen Körper die Bildung eines Moleküls aus, das der Krebs braucht, um erfolgreich zu sein.

Dieses Molekül heißt TGF-beta2. Es ist ein Eiweiß, das den Körper in der Embryonalphase lehrt, zwischen ich und fremd zu unterscheiden. Wenn das geschehen ist, wird die Produktion von TGF-beta2 beendet. Doch es gibt Krebsarten, die die Produktion des Moleküls wieder einschalten können.

Dem Mediziner Karl-Hermann Schlingensiepen fiel auf, dass sich im Körper verschiedener Krebskranker jede Menge TGF-beta2 fand. Das Eiweiß spielt, wie man nun weiß, bei aggressiven Tumoren eine Schlüsselrolle. Der Krebs kann sich damit als körpereigenes Gewebe tarnen. „Schau, ich bin lieb, sagt er den Polizeistreifen des Immunsystems“, veranschaulicht Schlingensiepen. Das Eiweiß bildet eine Art Schutzwall um den Tumor, sodass ihn das Immunsystem nicht identifizieren kann. Auch unterstützt TGF-beta2 die Wanderungsfähigkeit von Tumorzellen und die Bildung von Metastasen.

Der von Antisense Pharma entwickelte Wirkstoff Trabedersen schaltet die Produktion des verhängnisvollen Eiweißes ab und zerstört den für die Überlebensstrategie des Tumors wesentlichen Schutzwall, sodass das Immunsystem den Tumor bekämpfen kann. „Wir helfen dem Körper lediglich, sich selbst zu helfen“, sagt Karl-Hermann Schlingensiepen. Trabedersen hebt nicht nur die Unterdrückung des Immunsystems auf, es hemmt auch die Metastasierung, das heißt die Auswanderung von Krebszellen in gesundes Gewebe, die Gefäßneubildung und die Teilung der Tumorzellen. Es bekämpft den Krebs also nicht nur symptomatisch, sondern ursächlich. Während Chemo- und Radiotherapien auch gesunde Zellen schädigen, wirkt Trabedersen zielgerichtet und ist deshalb besser verträglich, erklären Schlingensiepen und Dr. Alexis Katechakis, der für PR zuständige Wissenschaftler bei Antisense Pharma.

Bei den besonders aggressiven Gehirntumoren kommt es in fast 100 Prozent der Fälle etwa zwei Monate nach der Chemotherapie zu Rückfällen, erläutert Karl-Hermann Schlingensiepen. Eine nochmalige Chemotherapie bringt einen durchschnittlichen Überlebensvorteil von Monaten. „Wir konnten in der zweiten klinischen Phase mit Trabedersen nun einen Überlebensvorteil von 17,4 Monaten zeigen“, berichtet Dr. Schlingensiepen. Einer der Patienten war ein Holzschnitzer aus dem Raum Passau, der als austherapierter Krebspatient zum Sterben nach Hause geschickt und vier Tage mit Trabedersen behandelt worden war. Nach sechs Monaten war der Mann nicht tot, sondern begann wieder mit dem Schnitzen. Und nach 17 Monaten war der Holzschnitzer tumorfrei. Er ist zwar inzwischen gestorben, aber an einem Herzinfarkt. Ein Vorzeigepatient aus der ersten Studie lebt seit sechs Jahren tumorfrei.

Bei Erfolg schneller am Markt

In der ersten klinischen Studienphase wurde Trabedersen, damals noch unter dem Kürzel AP 12009, auf seine Verträglichkeit und Sicherheit getestet. In der zweiten Studienphase waren die Bestätigung des Therapiekonzepts und die Dosisfindung die Ziele. Dabei wurde Trabedersen auch schon gegen die Standardtherapie getestet, was sehr außergewöhnlich ist, sagt der Antisense-Chef. Inzwischen wurden etwa 115 Menschen mit Gehirntumoren mit dem Wirkstoff behandelt. In der dritten klinischen Phase muss Trabedersen nun einen signifikanten Wirkungsnachweis zeigen – zwei Jahre nach der Behandlung. Die Sapphire-Studie wird in Europa, Amerika und Asien durchgeführt. Zumindest die europäische Zulassungsbehörde Emea hat bereits signalisiert, dass sie nach 14 Monaten Zwischenbilanz ziehen und bei überzeugenden Ergebnissen eine vorläufige Zulassung erteilen will. Schließlich geht es um einen Wettlauf gegen die Zeit. Und für Krebspatienten ist Zeit ein sehr limitierter Faktor.

Wenn Trabedersen die Zulassung schafft, wird es als Anti-Krebsmittel bei Gehirntumoren zunächst nach Operation und Chemotherapie eingesetzt werden, glaubt Karl-Hermann Schlingensiepen. Doch auch gegen andere Tumoren zeigt das Medikament Wirkung. Gegen fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsenkrebs und fortgeschrittenen Hautkrebs wird Trabedersen derzeit in einer klinischen Phase I/II-Studie getestet. Ein weiterer Wirkstoff aus Regensburg soll nun zeigen, ob er dem Immunsystem auch bei der Bekämpfung von Lungen- und Prostatakrebs zu helfen vermag.