Konzert
Regensburg feiert Beethovens „Neunte“

17.04.2024 | Stand 19.04.2024, 15:42 Uhr
Gerhard Dietel Dr.Dr.

Ein Faksimile der „Neunten“ von Ludwig van Beethoven: Die Originalpartitur wurde in das Unesco-Verzeichnis „Gedächtnis der Welt" aufgenommen. Foto: Andreas Altwein, dpa

Die Sinfonie wurde von unterschiedlichen Seiten immer wieder politisch instrumentalisiert. Zur Feier ihres 200. Geburtstags ist das Werk im Audimax der Universität zu erleben.

Wiener Hoftheater, 7. Mai 1824. Beethoven gestikuliert wie ein Wahnsinniger; er glaubt, die Uraufführung seiner neunten Sinfonie zu leiten. Das tut freilich an Stelle des längst völlig Ertaubten ein Kapellmeister hinter seinem Rücken. Auch den Beifall des Publikums kann Beethoven nicht hören, man muss ihn umdrehen, damit er die Ovationen wenigstens sehen kann. Einen künstlerischen Erfolg kann er verbuchen, freilich keinen finanziellen: Von 220 Gulden Einnahme blieben ihm 24 Gulden Gewinn.

Heute, 200 Jahre nach der Uraufführung, gehört die „Neunte“ zum Unesco-Weltkulturerbe der Menschheit. Diesen Rang musste sie sich freilich erkämpfen. Weil Beethoven im Finale die Grenzen der reinen Instrumentalmusik überschritt und dort – in Auszügen – Schillers „Ode an die Freude“ vertonte, befremdete das manchen Zeitgenossen wie den Komponisten Louis Spohr, der das Werk „geschmacklos“ nannte.

Dass Beethoven für den Vokalteil des Sinfonie-Finales auf Schillers Ode zurückgriff, kann man auch als politische Botschaft verstehen. Als Bekenntnis zum Aufklärungs-Optimismus in Zeiten der Restauration, als Glaube an die Menschheitsverbrüderung (von „Schwestern“ ist freilich, in Vor-Gender-Zeiten, bei Schiller nicht die Rede).

Politisch verstanden, doch auch instrumentalisiert wurde die „Neunte“ denn auch zu allen Zeiten. Als Richard Wagner sie 1849 in Dresden kurz vor Beginn der dortigen Revolution aufführte (und den anwesenden Anarchisten Bakunin begeisterte), veranlasste das während der folgenden Straßenkämpfe einen Aufständischen zum Ausruf: „Herr Kapellmeister, der Freude schöner Götterfunken hat gezündet!“

In Leipzig wurde die „Neunte“ auch zur Feier der Revolution von 1918 aufgeführt, und in den 1920er Jahren entwickelte sich eine Tradition, sie zu Silvester in Berlin vor einem Arbeiterpublikum aufzuführen. Der sozialistisch gesinnte Komponist Hanns Eisler nannte sie gar einen „Besitz der aufsteigenden Arbeiterklasse“. Freilich: auch die Nazis vereinnahmten das Werk als Feierstundenmusik für sich, obwohl Schillers „Alle Menschen werden Brüder“ ihrer Ideologie eigentlich Hohn sprach. Von der „heroischsten Titanenmusik, die je einem faustischen deutschen Herzen entströmte“ schwadronierte ein Joseph Goebbels.

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Wo der Missbrauch möglich ist, bleibt die pessimistische Gegenwendung nicht aus: Nichts Geringeres als die „Zurücknahme der Neunten“ ließ Thomas Mann in seinem „Doktor Faustus“-Roman den fiktiven Komponisten Adrian Leverkühn unternehmen. Andere glaubten nach wie vor an ihr utopisches Potenzial, so Dirigent Leonard Bernstein, der bei einer symbolträchtigen Aufführung kurz nach dem Fall der Berliner Mauer Schillers Text zu „Freiheit, schöner Götterfunken“ ändern ließ.

Die deutsche Wiedervereinigung wurde übrigens auch zu einer Wiedervereinigung von Beethovens originaler Partitur, die in der Endphase des Zweiten Weltkriegs zerlegt ausgelagert worden war und die auf Umwegen später teils nach West-, teils nach Ostberlin gelangt war.

Eine Karriere für sich trat die Melodie des „Freude schöner Götterfunken“ an, die nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweilig als inoffizielle deutsche Hymne fungierte, bei den Olympischen Spielen bis 1964 dann als Hymne der gesamtdeutschen Mannschaft und seit 1972 als diejenige des Europarats.

Weitere Karriere machte das Werk 1970 als „Song of Joy“ in einer Pop-Version des spanischen Sängers Miguel Ríos, die in Deutschland bis auf Platz 1 der Charts stieg.

Spektakulär: die ersten Sätze

Aber man sollte die „Neunte“ nicht auf „Freuden“-Melodie und Vokal-Finale verkürzen. Die drei ersten Sätze sind spektakulär für sich, vom geheimnisvollen Beginn an, der gleichsam das Entstehen der Musik aus dem Urklang der leeren Quinte vorführt.

Zur Feier ihres 200. Geburtstags ist die komplette „Neunte“ nun im Audimax der Universität Regensburg zu erleben.