Szenische Lesung in Regensburg
Der Wutbürger und der Weltbürger: Der Briefwechsel von Flaubert und Turgenev

24.04.2024 | Stand 26.04.2024, 11:56 Uhr

Beim „Brandner Kasper in der Hölle“, aufgeführt im Regensburger Stadtpark, lernten sich Anton Zimmermann (links) und Joerg Eckarth (rechts) kennen. Jetzt gestalten sie eine Lesung aus dem Briefwechsel von Gustav Flaubert und Ivan Turgenev. Foto: altrofoto.de

Die beiden Großschriftsteller redeten über Geld und Gesellschaft, Sex, Kaviar und das Altern. „Es menschelt“, sagt Anton Zimmermann. Am Samstag wird der Briefwechsel in Regensburg ausgebreitet.

Es gibt Bücher, die lassen einen nicht los. Anton Zimmermann geht es so mit dem Briefwechsel von Gustave Flaubert (1821-1880) und Ivan Turgenev (1818-1883). „Ich erlebte in den 1990ern im Theater am Bismarckplatz eine Lesung, und weil sie mich so packte, dachte ich: Vielleicht findet dieser Stoff sein Publikum?“ Auch wenn es nicht, wie damals, Otto Sander und Bruno Ganz sind, die lesen.

Zimmermann, diplomierter Psychologe, gehört zu Regensburgs bekannten Gesichtern. Er war lange der persönliche Referent von Marietheres List (1946-2018), die das Theater Regensburg als Intendantin auf ein nicht gekanntes Level hob, und ist in der Szene bestens vernetzt. Als er beim „Brandner Kasper in der Hölle“ im Stadtpark mitspielte, lernte er Schauspieler Joerg Eckarth kennen. Und er freundete sich an mit Joseph Berlinger, der Bücher, Essays, Radiofeatures und Stücke schreibt und Ostbayerns reizvollste Fleckerl für seine sonderwunderbaren Inszenierungen entdeckt. In dieser Konstellation wird der alte Wunsch, der außergewöhnlichen Liebe zwischen Flaubert und Turgenev auf der Bühne nachzuspüren, jetzt doch real.

Der eine diplomatisch, der andere aufbrausend



Tatsächlich Liebe? Anton Zimmermann hat da keinen Zweifel, und zwar ganz unabhängig von Andeutungen zarter homoerotischer Bande, die in der Literatur zirkulieren. 17 Jahre lang teilten die beiden Großschriftsteller, die mit ihren Romanen „Madame Bovary“ und „Väter und Söhne“ Weltliteratur schrieben, ihre geheimsten Gefühle – meistens schriftlich, selten mündlich. „Dauernd sprechen sie darüber, wann sie sich sehen“, sagt Zimmermann. Aber Turgenev war ständig auf Achse, in Paris, Baden, England; und Flaubert hielt sich viel in der Normandie auf und galt eh’ als ein Weitgereister, der am liebsten daheim geblieben wäre. „Sie versprechen monatelang Ihren Besuch. Sie brechen Ihr Wort, immer“, beschwerte sich Flaubert und seufzte: „Es ist idiotisch, sich so zu lieben und sich so selten zu sehen.“

Lesen Sie mehr: Am Theater Regensburg: Der Kaiser widmet sich lieber Hühnern als Krisen

Die raren Begegnungen der Freunde sind für die Nachwelt ein Glück. Sie kann nachlesen, was die Zwei im Innersten umtrieb, in Briefen, die gar nicht so lang sind, aber immer geistreich. „Es menschelt“, sagt Zimmermann, und: „Da ist alles drin“, Literatur und Leidenschaft, Liebe und Sex, Lachs und Kaviar, Geld und Gesellschaft, Politik und Ignoranz – und die Zipperlein des Alters.

„Gebrechen, langsamer und kalter Widerwille, qualvolle Zuckungen, nutzlose Erinnerungen – das sind die Aussichten, die sich dem Mann bieten, der die 50 überschritten hat“, lautet die illusionslose Diagnose von Turgenev. Noch trübsinniger klingt Flaubert: „Seit drei Jahren sterben alle meine Freunde, einer nach dem andren, ohne Unterbrechung.“ Kriegsbegeisterung, heillose Barbarei und Dummheit überall bringen ihn zur Verzweiflung. „Gleichviel!“, schreibt er. „Ich mache weiter & ich möchte nicht krepieren, ohne meinen Mitmenschen noch ein paar Kübel Scheiße auf den Kopf geschüttet zu haben.“

Lesen Sie mehr: Zauberhafte Geschichte aus dem Herzogspark

Da funkeln sie, die zwei unterschiedlichen Charaktere. Als „Wutbürger aus Frankreich“ und „Weltbürger aus Russland“ umreißt sie Zimmermann: Flaubert scharfzüngig, mürrisch und aufbrausend, Turgenev diplomatisch, charmant und mitfühlend und beide kunstbesessen und gefühlsbetont. Ein gewisser Einfluss der Romantik ist im Briefwechsel ablesbar, aber im Lauf der Jahre, als die Männer aus den Vierzigern in ihre Fünfziger kommen, werden die Erkenntnisse schonungsloser, schärfer formuliert. Das kann man nun in Regensburg selbst hören: Anton Zimmermann liest Turgenev, Joerg Eckarth Flaubert, Rainer Johannes Hofmann spielt Akkordeon, Josefine Zimmermann moderiert und den Abend szenisch eingerichtet hat Joseph Berlinger.


„Der Wutbürger und der Weltbürger“ wird am 27. April (19 Uhr) in der Regensburger Backmanufaktur Klein (Killermannstraße 31) aufgeführt, Karten: (0941) 32 801.