Nächstenliebe
Arzt aus Neumarkt versorgt Minenopfer

Dr. med. Götz Gerresheim war vor kurzem für „Ärzte ohne Grenzen“ in Syrien. Wegen eines Alarms musste er Verletzte verlassen.

23.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:06 Uhr
Lothar Röhrl

So sieht Erstversorgung aus: Dr. Gerresheim (links) behandelt hier einen Mann, der auf eine Mine getreten war und den Unterschenkel seines rechten Beins verloren hat..Foto: Dr. Gerresheim

Dr. med. Götz Gerresheim war zuletzt für „Ärzte ohne Grenzen“ einen Monat in Syrien. Eigentlich sollte er noch etwas länger bleiben. Doch dann musste er das Land plötzlich wieder verlassen, weil die allgemeine Sicherheitslage unklar war und zu diesem Zeitpunkt nicht feststand, ob die Grenze zum Irak womöglich für länger geschlossen werden würde. Mitten in eine Phase, in der sich Dr. Gerresheim und sein Team von „Ärzte ohne Grenzen“ (Médicins Sans Frontières; MSF) auf die Versorgung von durch explodierte Minen schwer verletzte Menschen eingestellt hatten, kam die Order, das Land zu verlassen.

Jetzt beobachtet Dr. Gerresheim die Entwicklung von Neumarkt aus. Seit 2000 ist er Mitglied der deutschen MSF-Sektion. In Neumarkt arbeitet er als Oberarzt hauptsächlich auf der Intensivstation. In der von Chefarzt Prof. Dr. Ulrich Schwemmer geleiteten Klinik ist er Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin.

Folgen der Schlacht um Rakka

Dr. med. Götz Gerresheim war in einem Gebiet tätig, das zum Teil bis vor einem Jahr unter der Kontrolle des sogenannten „Islamischen Staats“ war. Dabei sind die katastrophalen Folgen des Kampfes um Rakka noch immer an jeder Ecke der völlig zerstörten Stadt zu sehen. Und vor allem: Immer noch detonieren Minen, improvisierte Sprengfallen und nicht explodierte Munition. Diese entstammen den Luftangriffen auf die Stadt oder sind Hinterlassenschaften des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS). Immer wieder werden sie Erwachsenen und Kindern, die sich zurück in die vom IS zurückeroberte Stadt trauen, zum Verhängnis. Stolperdrähte bringen Sprengsätze zur Explosion oder sie werden in Haushaltsgegenständen und Spielsachen versteckt, wie das deutsche Auswärtige Amt mitteilte. Die endgültige Versorgung der Verletzten in der Stadt selber war aus Gründen der Sicherheit zunächst nicht möglich, dem Team der Hilfsorganisation war es aber gelungen, in Rakka wenigstens eine Station zur Erstversorgung einzurichten.

Durch eine explodierende Landmine wird dem Verletzten oft der Unterschenkel weggerissen. „Durch die Wucht der Explosion bricht meistens das andere Bein an mehreren Stellen“, fügte Dr. Gerresheim hinzu. Zur Erstversorgung gehören das Stillen der stark blutenden Wunden und die Stabilisierung des Kreislaufes durch Infusionen. Bluttransfusionen stehen nur sehr begrenzt zur Verfügung. So erst einmal stabilisiert können die Verletzten transportiert werden: Von Rakka über eine nur mangelhaft ausgebaute Straße ins 100 Kilometer entfernte Tal Abjad. „Es ist beeindruckend, dass wir auf diesem Weg kaum Menschen verlieren. Wahrscheinlich gibt ihnen das Gefühl, versorgt werden, neue Kraft und Mut“. Im ebenso schwer gezeichneten Tal Abjad nördlich von Rakka betreibt „MSF“ ein Krankenhaus.

Syrien stelle sich alssein mittlerweile fünftes Einsatzgebietfür „Ärzte ohne Grenzen“ nicht anders dar als die vier Stationen davor – machte Dr. Gerresheim im Gespräch mit der Mittelbayerischen klar. Ob 2000 in Angola, 2003/2004 in Liberia, danach im Süden Nigerias sowie 2014 im Norden dieses von Bürgerkriegen erschütterten bevölkerungsreichsten Landes Afrikas: Die Einsatzorte sind austauschbar, die Folgen von Kriegen blieben immer gleich. „Es trifft immer Menschen, die nichts dafür können.“ Das Wissen darum, dass er als Arzt in solchen Gegenden gebraucht werde, Nächstenliebe, aber auch Neugierde und etwas Abenteuerlust hätten ihn zu „Ärzte ohne Grenzen“ gebracht. Bei dieser weltweit tätigen Organisation mit Hauptsitz in Paris, würden nicht nur Ärzte gebraucht. Ihr Anteil betrage lediglich 20 Prozent. 30 Prozent stellten Pflegekräfte und andere medizinische Berufe dar. Die restlichen 50 Prozent seien unter anderem Logistik-Experten, Projektleiter, Personal- und Finanzfachleute.

Familie, Chef und Kollegen helfen

Gerresheim betont, dass auch viele in Neumarkt hinter ihm stehen – und damit genauso Anteil an der Hilfe hätten. Als Erste nannte er seine Frau und seine „drei tollen Kinder“. Dann wies er den Chefarzt Schwemmer und alle anderen Ärzte seiner Abteilung als Unterstützer aus. „Denn sie ermöglichen es durch die Übernahme von Diensten, dass ich überhaupt ins Ausland zu einem Einsatz kann.“ Gerade das Neumarkter Klinikum leiste einen großen Beitrag für „Ärzte ohne Grenzen“, betonte Dr. Gerresheim. Außer ihm ist aus dem Ärztekollegium der gleichen Abteilung auch Michael Nosseir für die Organisation tätig. 2016 war Nosseir etwa im Gaza-Streifen.

Den Wert jedes Auslandseinsatzes bemisst Dr. Gerresheim auch in einem ideellen Gewinn für sich selbst: „Ich habe nicht nur mit Verletzten, sondern auch mit Zeitzeugen zu tun. Und ich kann deren Sprachrohr hier in Deutschland sein. Ich kann den Menschen etwa in Neumarkt erzählen, wie es beispielsweise in Syrien aktuell aussieht und wie es den Menschen genau geht.“ Das tut der Oberarzt am 1. März im Landratsamt. Dann wird es auch um die gehen, die er zurücklassen musste. „In Rakka konnten wir die Menschen nicht mehr weiterversorgen. Die Situation in der Region scheint sich zu verschlimmern.“

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