Historie
„Die ham einfach ned nachge’m!“

Georg Janker überstand den Kessel von Cholm. Als Held wollte er nie bezeichnet werden. Dafür konnte er oftmals nicht mehr.

02.02.2015 | Stand 16.09.2023, 7:03 Uhr
Dominik Weber
In Russland erlebte Georg Janker (Mitte) viele brenzlige Situationen mit. −Foto: Fotos: Janker, Weber (1)

Georg Janker spricht den Satz aus voller Überzeugung aus. „An Kriag“, sagt er, „brauch ma nimmer!“ Der 92-jährige Veteran aus Sitzenberg bei Sattelpeilnstein weiß nur zu gut, von was er spricht. Bis heute lassen ihn die Erinnerungen an die verheerende Zeit in der Wendephase des Zweiten Weltkriegs nicht los. Vom Nordosten Frankreichs führte den jungen Soldaten das Schicksal damals an die deutsch-sowjetische Front, wo er nur durch sehr glückliche Umstände seinem Tod entrinnen konnte.

19 Jahre war er alt, als der gelernte Landwirt Georg Janker im Herbst 1941 seine Einberufung erhielt. Erst dachte der Sitzenberger, seiner militärischen Verpflichtung lediglich im nahen Straubing nachkommen zu müssen. Dabei sollte es ganz anders kommen: Von Niederbayern aus wurde er mit weiteren Kameraden über Nacht ins französische Reims versetzt, um dort in nur wenigen Wochen beim Luftwaffenregiment seine Grundausbildung zu absolvieren. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt beim Luftwaffenstützpunkt in Köln wurde er im April 1942 an die Front ins russische Cholm verlegt.

Luftbrücke für 3500 Mann

Die als wichtiger Verkehrsknotenpunkt geltende Stadt war seit August 1941 von Verbänden der Wehrmacht besetzt. Doch zwischenzeitlich war Cholm samt der dort stationierten Soldaten von der Roten Armee eingekesselt worden. Zudem hatte sich in der Umgebung eine Brigade sowjetischer Partisanen gegründet, die in hohem Maß gegen die Deutschen vorging. Einzig durch eine Luftbrücke wurde versucht, die Stadt und die etwa 3500 Mann starke Besatzung mit dem Nötigsten zu versorgen. „Äußerst harte Gefechte haben wir uns mit den Sowjets geleistet“, erinnert sich der Zeitzeuge. Denn trotz waffentechnischer Unterlegenheit versuchte die Rote Armee durch ständigen Artilleriebeschuss bedingungslos, ihre besetzte Stadt zurückzugewinnen. „Die ham einfach ned nachge’m! Aber mia hoid a ned!“, sagt Georg Janker.

Öffentlichkeit erfuhr nichts

Trotz der verheerenden Umstände konnte die deutsche Besatzung durch einen Entsatzangriff der Luftwaffe im Mai 1942 befreit werden. In den Monaten zuvor wurde die deutsche Öffentlichkeit bewusst nicht über diese Auseinandersetzung informiert. Zu unsicher war man sich offensichtlich, dass die Kampfhandlungen gut ausgehen könnten. Außerdem sollte die Heimat ohnehin stets im Glauben von der Überlegenheit der Wehrmacht gelassen werden.

Dennoch wusste die NS-Propaganda in der Folge die als „Kessel von Cholm“ in die Geschichte eingehende Verteidigung der Stadt als Beispiel für den „Heldenkampf deutscher Soldaten“ zu instrumentalisieren. Als „Held“ will sich Georg Janker jedenfalls nicht bezeichnet wissen. „Es hat ja nix g’holfa!“ Etwas schmunzeln muss er aber, als er hinzufügt, dass russische Radiosprecher mit Durchsagen wie „100 000 schöne Mädchen warten auf euch!“ immer wieder versuchten, die deutschen Soldaten zum Überlaufen zu bewegen. „Einige haben das g’macht. Aber i hab’ ja ned g’wusst, was die Russen dann mit mir anstellen. Außerdem hätt’ i ja dann gegen meine deutschen Kameraden kämpfen müssen…“

Der Krieg jedenfalls war noch lange nicht vorbei für ihn. Im Anschluss an die „Operation Cholm“ wurde Janker nach Staraja Russa im Nordwesten Russlands verlegt. Die Kleinstadt war seit August 1941 ebenfalls von der Wehrmacht besetzt und bildete die Hauptkampflinie des berüchtigten „Kessels von Demjansk“.

Neben der unzureichenden Versorgung waren hier in den Wintermonaten eisige Temperaturen von über minus 30 Grad Celsius ein Missstand, mit dem der junge Soldat und seine Kameraden umzugehen lernen mussten. Dabei bedauert der 92-Jährige bis heute, dass damals wegen des gefrorenen Bodens nur wenige seiner gefallenen Kameraden überhaupt bestattet werden konnten. Auch die für die Deckung so wichtigen Schützengräben waren praktisch unmöglich zu errichten und ein strategischer Nachteil. Doch dank massiver Versorgung aus der Luft konnte auch dieser Kessel von den deutschen Truppen gehalten werden.

„Über die Toten gegangen“

Trotz des militärischen Erfolgs: Wenn er an diese Monate zurückdenkt, erinnert sich Janker vor allem an die schrecklichen Bilder. Bilder von Verwundeten, Erfrorenen und Gefallenen. „An den Artillerie-Ständen bist du über die Toten gegangen, als wenn’s nix wär’!“ schildert er die emotionale Abstumpfung. Und je länger der Krieg dauerte, desto hoffnungsloser wurde die Situation. „I hab’ mir denkt: Wenn i umkommen würd‘, dann hätt i’s wenigstens überstand’n. Und so hab i noch alles vor mir…“

Janker kann sich auch noch gut an den Tag erinnern, an dem er auf dem Feld vom Tod seines älteren Bruders erfuhr. Doch der Krieg kannte kein Innehalten. „Du weißt gar nicht mehr, was du da machst. Du kommst nicht mehr zum Nachdenken.“

1943 wurde sein Unterstand von einer Granate getroffen. Sechs seiner Kameraden starben. Mit einem Schlag. Nur weil er sich zu diesem Zeitpunkt als Einziger im Graben befand, überlebte er. „Da hab’ i einfach nur a gscheit’s Glück g’habt!“

Splitter in der Schulter

Trotzdem sollte auch Janker nicht unverwundet bleiben. 1943 bekam er einen Granatsplitter in der rechten Schulter ab. Außerdem wurde er während eines Gefechts am linken Arm verletzt. Am 6. Oktober 1944 entging er dem Tod, als eine Kugel in seine Lunge eindrang. „Die hams bis heut’ ned herausoperieren können. Aber irgendwie hab i’s überlebt“, schildert der Veteran sein unglaubliches Glück.

Nachdem ihn fünf Kameraden in Sicherheit gebracht hatten, wurde Janker in ein Lazarett im lettischen Riga verfrachtet, von wo aus er nach drei Wochen mit dem Schiff ins sächsische Zittau kam. Nach fünf Monaten, in denen er nur unter Schmerzen atmen konnte, durfte Georg Janker im März 1945 seinen Genesungsurlaub antreten. Wenige Wochen später war der Krieg vorbei.

„I denk’ immer wieder an diese schlimme Zeit zurück und träume auch noch oft davon“, berichtet der 92-Jährige bewegt. Wie bei so vielen Soldaten haben die schrecklichen Erlebnisse ihre Spuren hinterlassen. „Aber überstand’n ham ma’s!“, meint er. Seine positive Lebenseinstellung hat der Sitzenberger nie verloren...