Interview
„Dunkle Seite des Menschen fasziniert“

Michael Haizmann ist der prominenteste Regensburger Strafverteidiger. Der 55-Jährige zieht spektakuläre Fälle an Land – und blickt in Abgründe.

14.10.2014 | Stand 16.09.2023, 7:09 Uhr

Michael Haizmann hat im April 2014 die Angeklagte im Babymord-Prozess am Landgericht Regensburg verteidigt. Archivfoto: xtl

In legerer Freizeitkleidung – Jeans und schwarzes Shirt – kommt Michael Haizmann zum MZ-Interview im Verlagshaus. Er wirkt angespannt und ernst. Kein Wunder: Der 55-Jährige hat einen zwölfstündigen Arbeitstag zwischen Gerichtsterminen und Aktenstudium hinter sich. Eineinhalb Stunden nimmt er sich Zeit für das Gespräch, denn um 19.30 Uhr will er beim wöchentlichen Stammtisch im Oma Plüsch eintreffen.

Herr Haizmann, Sie verteidigen Mörder, Millionen-Betrüger, Vergewaltiger, Autobrandstifter. Es vergeht kaum eine Woche, in der Sie nicht in den Medien erscheinen. Wie gelingt es Ihnen, die spektakulären Fälle an Land zu ziehen?

Ach, die Leute kommen auf Empfehlung zu mir. Anfangs musste ich mich um solche Fälle bemühen. Ich musste und muss in Gefängnissen präsent sein. Das ist ein hoher Aufwand, weil ich los muss, wenn jemand eingesperrt wird – um die Haft zu vermeiden. Ich musste mir in Kollegenkreisen einen gewissen Ruf erwerben, denn sie schicken die Fälle oft an Spezialisten weiter. Heute rufen oft auch Angehörige, die Justiz oder die Polizei an. Das kann zu jeder Tageszeit sein. Wichtig ist auch die Internet-Präsenz.

Nach 26 Jahren als Strafverteidiger sind Sie sehr routiniert und haben unendlich viel gesehen. Gibt es trotzdem Fälle, die Sie lange beschäftigen?

Die Morde von Unterwendling bei Kelheim im Jahr 1993 haben mich stark beschäftigt, weil dreijährige Zwillinge betroffen waren. Das Mädchen starb, der Junge überlebte trotz eines Kopfdurchschusses. Geschossen hatte der Liebhaber der Mutter. Hochinteressant war ein Verfahren zur Wiedervereinigungs-Kriminalität in den 90er Jahren in Berlin. Es ging um Millionenbeträge, die in die Schweiz verschoben wurden. Lange blieb mir auch der größte deutsche Prozess gegen acht gewalttätige Polizisten im Kopf. Sie hatten bei Berlin vietnamesische Händler misshandelt.

Sie verteidigen viele Beziehungstäter, tauchen in fremde Denkweisen und Seelen ein.

Die dunkle Seite des Menschen fasziniert mich. Das ist ein Aspekt von vielen, der den Beruf interessant macht. Man fragt sich, was eine Ehefrau dazu bringt, ihren Mann nach 30 Jahren umzubringen. Da laufen psychodynamische Vorgänge, die man nicht so leicht versteht. Ich muss mich reinknien und versuche, das zu verstehen. Und das, was vorgefallen ist, aus Sicht des Klienten vor Gericht zu vertreten. Bei Tötungsdelikten zwischen Intimpartnern geht es oft nicht darum, ob der Beschuldigte der Täter war, sondern ob es Mord, Totschlag oder gefährliche Körperverletzung war.

Handelt es sich bei Mandanten, die plötzlich zustechen oder schießen, um psychisch Kranke?

Das sind nicht nur kranke Seelen. Das sind auch ganz normale Leute, die aber in einer entscheidenden Situation ihres Lebens die Kontrolle verlieren. Es kommt zu einem Overkill, bei dem sich die Emotionen entladen. Da kommt ein Blutbad heraus. Wie bei dem bekannten Regensburger Unternehmer, der vor einigen Jahren seine Frau mit 30 Messerstichen hinrichtete. Das ist eine affektive Entladung. Sie müssen sich das so vorstellen: Der Wasserhahn tropft und irgendwann ist der Eimer voll – ein nichtiger Anlass führt zur Katastrophe.

Demnach könnte jeder austicken?

Ja, weil jeder Mensch in eine extreme Belastungssituation kommen kann, in der er nicht mehr rational handelt, sondern von Gefühlsausbrüchen beherrscht wird.

Sie befassen sich intensiv mit Ihren Mandanten, versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. Gelingt es Ihnen immer, die professionelle Distanz zu wahren?

Ja, das gelingt immer. Der Verteidiger darf nie den Fehler machen, sich die Sache seines Mandanten zu eigen zu machen. Wir müssen uns an die Spielregeln halten, wenn wir vor Gericht Gehör finden wollen.

Wissen Sie, ob ein Mandant schuldig ist?

Ich weiß es nicht immer. Manche sagen es nicht. Es gibt aber auch Fälle, da will ich gar nicht wissen, ob er es war.

Sie haben kürzlich einen 21-Jährigen verteidigt, der in Regensburg eine fast 90-jährige Frau sexuell misshandelt hat, und im Juli einen Pädophilen, der sich am Sohn seiner Freundin verging. Fallen Ihnen Mandate dieser Art schwer?

Auch wenn der 21-Jährige das gemacht hat, ist er ein Mensch, der Hilfe braucht in einer schwierigen Situation. Wer in solchen Fällen mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen, dass drei andere zurückzeigen. Zum Missbrauchsfall: Ich weiß, der Täter wurde selbst missbraucht und gibt es weiter. Aber gewisse Sachen mache ich nicht. Das rechte Spektrum ist mir zutiefst zuwider. Beate Zschäpe hätte ich nicht verteidigt. Wenn sie vor Gericht politisch argumentiert, stehen Sie als Anwalt in der rechten Ecke. Das könnte ich nicht ertragen.

Die überregionale Presse berichtet oft über Sie. Die Süddeutsche in Zusammenhang mit dem Schwertmord von Abensberg, der Spiegel schrieb über den „Strohballenmörder“. Im September hat Sie das Magazin Focus zum Top-Verteidiger gekürt. Was bedeutet Ihnen die Aufmerksamkeit?

Focus beauftragt ein Meinungsforschungsinstitut. Die fragen bei anderen Anwälten nach. Ich bin in die Liste gerutscht, weil die Kollegen mich empfohlen haben. Das freut mich, aber deswegen flippe ich nicht aus.

Wie kommen Sie psychisch mit den oft grausamen Verbrechen klar, von denen Sie hautnah erfahren?

Es gibt Fälle, die arbeiten nach. Aber ich kann damit umgehen und halte was aus. Ich habe schon so viel gesehen.

Sie arbeiten ab 7 Uhr früh, mindestens zwölf Stunden pro Tag, und am Wochenende erledigen Sie Büroarbeit. Wie halten sie sich fit?

Ich gleiche das mit Kraftsport aus. Dreimal in der Woche absolviere ich im Studio einen Übungskatalog, der verschiedene Muskelpartien abdeckt – ohne Geräte. Ich nehme höchstens mal eine Hantel in die Hand. Und ich leiste mir einen Trainer.

Bleibt ihnen Zeit für ein Hobby?

Ja, ich koche gerne, seit ich als Schüler im Restaurant meines Onkels in Montreal ausgeholfen habe. Wir haben eine regelmäßige Kochrunde. Ich bin vielseitig, mache Geflügel, einen Auflauf, einen schönen Eintopf oder Braten. Für mich alleine schmore ich Rindfleisch und esse Salat – und keine überflüssigen Kalorien.

Den Stammtisch im Oma Plüsch besuchen Sie seit 20 Jahren. Was finden Sie dort?

Ein buntes Gemisch aus Leuten aller Berufsgruppen im Alter von 30 bis 60. Dort kann ich lustig und ausgelassen sein und den Alltag hinter mir lassen.