Weissrussland
Hinrichtung durch Genickschuss

Alle Gnadenappelle an Lukaschenko waren vergebens: Auch das zweite Todesurteil im Prozess um das U-Bahn-Attentat wurde vollstreckt.

18.03.2012 | Stand 16.09.2023, 21:04 Uhr

Minsk.Ljubow Kowaljowa weint ununterbrochen. „Sie schluchzt in den Telefonhörer und erinnert sich an das letzte Treffen am 11. März, als sich ihr Sohn so sonderbar verhielt, als ob er schon wusste, dass das Todesurteil bald vollstreckt werden würde.“ So beschreibt es ein Reporter der unabhängigen weißrussischen Nachrichtenagentur Belapan nach einem Gespräch mit Kowaljowa. Kurz zuvor hatte sie am Samstagmorgen ein amtliches Schreiben im Briefkasten vorgefunden. In dürren Sätzen teilten ihr die Behörden darin mit, was für eine Mutter wohl immer unbegreiflich sein wird: Die weißrussischen Strafverfolger haben ihren Sohn Wladislaw Kowaljow per Genickschuss hingerichtet. Er wurde 26 Jahre alt.

Mutter flehte: Erschießt mich

Seit gestern ist bekannt, dass auch das Todesurteil gegen Kowaljows gleichaltrigen Freund Dmitri Konowalow vollstreckt worden ist. Die beiden jungen Männer sollen im April 2011 in der Minsker U-Bahn eine Bombe gezündet haben. 15 Menschen starben, 300 weitere wurden verletzt. Schon am Tag darauf präsentierte der Geheimdienst KGB Konowalow und Kowaljow als Täter. Im vergangenen November sprach das Oberste Gericht die Todesurteile. Ljubow Kowaljowa bat Präsident Alexander Lukaschenko um Gnade. „Erschießt mich, wenn ihr ein Opfer braucht!“, flehte sie. Doch der seit fast 18 Jahren mit diktatorischer Härte regierende Staatschef lehnte das Ersuchen vergangene Woche ab.

„Henker“-Rufe im Gerichtssaal

Der Prozess gegen die nun hingerichteten jungen Männer war im In- und Ausland auf heftige Kritik gestoßen. Selbst Angehörige der Opfer des U-Bahn-Terrors sprachen noch im Gerichtssaal von einem ungerechten Urteil. „Ihr Henker!“, riefen Zuschauer nach dem Schuldspruch. EU-Politiker, Menschenrechtler und internationale Organisationen wie der Europarat und die OSZE versuchten, auf Lukaschenko einzuwirken – vergeblich.

Minsk.Die Anklage gegen Konowalow und Kowaljow hatte sich auf später widerrufene Geständnisse gestützt. Beobachter gehen davon aus, dass die Aussagen unter Folter erpresst wurden. Die jungen Männer waren angeblich am Tatort gesehen worden. Doch Beweismittel wie die Videoaufnahmen aus der U-Bahn-Station wurden der Verteidigung vorenthalten. „Niemand in diesem Land glaubt, dass die beiden schuldig sind“, sagt der weißrussische Philosoph Wladimir Mazkewitsch.

Viel spricht dafür, dass die Ermittler nach der Bombenexplosion schnell Fahndungsergebnisse präsentieren wollten, um eine weitere Destabilisierung in der krisengeschüttelten Ex-Sowjetrepublik zu verhindern. Spekuliert wird sogar über eine Beteiligung des KGB an der Tat. Nach dieser Theorie wollte das Lukaschenko-Regime von der Wirtschaftskrise im Land ablenken. Aber auch ein Racheakt innerhalb des Apparates ist denkbar. Der Tatort befand sich nur 200 Meter vom Präsidentenpalast entfernt.

Westliche Politiker verurteilten die beiden Hinrichtungen scharf. Das Bundeskanzleramt warnte, der Willkürakt werde die Beziehungen zwischen Weißrussland und der EU weiter belasten. Dennoch wollen die Botschafter der EU-Staaten, die Minsk im Streit um die Brüsseler Sanktionspolitik Ende Februar verlassen haben, möglicherweise bald nach Weißrussland zurückkehren. Das berichtet die Nachrichtenagentur Belapan und zitiert eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton mit den Worten: „Die Botschafter erfüllen in Minsk eine Schlüsselrolle.“ Am Freitag wollen die EU-Außenminister über das weitere Vorgehen beraten.