Engagement
Jetzt Mutterglück statt Archivarbeit

Dr. Heike Wolter will sich in der Elternzeit vorrangig Töchterchen Malea widmen. Deshalb hat sie 2014 ein Ehrenamt abgegeben.

07.07.2015 | Stand 16.09.2023, 7:07 Uhr
Kerstin Hafner
Heike Wolter zusammen mit Malea, der jüngsten Tochter −Foto: Fotos: Hafner

Das ehrenamtliche Engagement der Historikerin Dr. Heike Wolter als Obertraublinger Archivpflegerin war für beide Seiten ein echter Glücksgriff: Seit 2008 investierte die leidenschaftliche Geschichtsdetektivin unzählige Stunden ihrer knapp bemessenen Freizeit als Universitätsdozentin und Mutter von (damals noch) drei Kindern für die aufwendigen Recherchearbeiten zur – wie sie selbst urteilt – „spannenden Ortsgeschichte Obertraublings“. Die Gemeinde, namentlich Bürgermeister Alfons Lang, ließ ihr dabei völlig freie Hand, wohlwissend, dass es für diesen Job keine geeignetere Person gab.

Man stellte ihr ein kleines Budget zur Verfügung und, wenn nötig, auch einen Vortrags- oder Ausstellungsraum. Sechs Jahre lang brachte die Multitaskerin Beruf, Familie und Ehrenamt gut unter einen Hut; mit der Geburt ihres sechsten Kindes Ende 2014 war jedoch der Zeitpunkt erreicht, dem Job der Archivarin vorerst Lebewohl zu sagen. Eine Rückkehr schließt Heike Wolter nicht aus, nun aber möchte sie sich in ihrer Elternzeit erst einmal vorrangig Töchterchen Malea (inzwischen sechs Monate alt), aber natürlich auch Raban (5), Samuel (7), Norea (12) und Niklas (15) widmen. Ein Kind fehlt in dieser Aufzählung: 2005 verstarb Tochter Lilly kurz nach der Geburt. Eine Tragödie, die Heike Wolter lange zu schaffen machte und die sie heute in Ratgebern für verwaiste Eltern verarbeitet (Begleitbücher „Mein Sternenkind“ und „Meine Folgeschwangerschaft“ etc.).

Konzeptionelles Brainstorming

Trotz vieler Verpflichtungen nutzt die mittlerweile 38-Jährige ihre Elternzeit-Abende auch zur Vorbereitung neuer beruflicher Projekte. Konzeptionelles Brainstorming ist angesagt. Einem Menschen, der von Natur aus neugierig ist und auch viel liest, fliegen Ideen nur so zu. Da gilt es abzuwägen, was man am besten in Angriff nimmt, wenn man wieder Vollzeit in den Uni-Alltag einsteigt.

Zusammen mit Ehemann Thomas geht Heike laufen, aber auch gern mal in die Oper. Sie engagiert sich in der Evangelisch-lutherischen Gemeinde Neutraubling und wird auch künftig historische Vorträge in Obertraubling halten. „Natürlich stehe ich den Bürgern weiterhin für geschichtliche Fragen zur Verfügung“, betont sie. Meist handle es sich dabei um Anfragen zur Vergangenheit der eigenen Familie.

Eine gebürtige Berlinerin

Die gebürtige Berlinerin zog übrigens erst 2004 nach Obertraubling. Damals begann Ehemann Thomas seine Anstellung bei der Krones AG, Heike arbeitete zunächst als Lehrerin, später wechselte sie an die Uni Regensburg. Themen, mit denen sie sich dort beruflich beschäftigte, waren vor allem die deutsch-jüdische Vergangenheit, Tourismusgeschichte und – naheliegend – die Geschichte der DDR.

Sie erinnert sich: „Als Zugezogene war das Ehrenamt der Archivpflegerin ein guter Weg, meine Mitmenschen in Obertraubling besser kennenzulernen. Historische Arbeit besteht nicht nur aus Bücherwälzen, man muss schon auch mit den Leuten vor Ort, mit den Zeitzeugen sprechen.“ Zu Beginn gab es im Rathaus-Archiv meterweise Unterlagen zu durchforsten. „Ich habe Bürgermeister Lang aber von Anfang an gesagt, dass ich das zwar gerne mache, aber auch Geschichtspädagogik betreiben und den Menschen ihre eigene Geschichte näherbringen will ... z.B. durch (Schul-)Vorträge, Workshops oder Ausstellungen.“

„Ran ans Volk“ war die Devise, die auch meist gut funktionierte: „Mein erstes Projekt zum Wirtschaftswunder im Raum Neutraubling/Obertraubling hat mir viele Türen geöffnet“, schwärmt Heike Wolter. Beim Thema KZ-Außenlager Obertraubling waren nicht mehr ganz so viele Zeitzeugen mitteilsam.

Kriegsgreuel totgeschwiegen

In Bayern wurde das Thema Kriegsgreuel einfach zu lange vermieden. Erst kürzlich veranstalteten viele Gemeinden zum 70. Jahrestag des Kriegsendes Gedenkmärsche zur Erinnerung an die KZ-Häftlingskolonnen, die von SS-Leuten kurz vor der Kapitulation durch Ostbayern in Richtung Alpen getrieben wurden.

An der Uni fungiert Heike Wolter als Akademische Rätin und bildet Geschichtslehrer aus. Was sie an Obertraubling fasziniert hat, waren zum einen die „ganz alten Siedlungsspuren. Es ist ein Ort, an dem schon sehr lange Menschen leben.“ Außerdem sei der Wandel vom kleinen Dorf mit vielen Handwerksbetrieben hin zur boomenden Stadtrandgemeinde ab Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts durch die Eisenbahnanbindung ziemlich rasant vonstattengegangen. „Und natürlich war für mich auch interessant, wie die Bewohner der Gemeinde damit umgehen, dass hier mal ein KZ-Außenlager war, wo heute Neutraubling liegt.“ Als letztes großes Thema hat die Archivarin 2014 eine Ausstellung zum Thema Migration gemacht. „Ich wollte zeigen, dass in der Obertraublinger Gesellschaft schon immer Bewegung war. Auch wenn man das vielleicht nicht so wahrnimmt.“

Kirchliche Hochzeit

Generell ist es der Historikerin wichtig, über den Tellerrand hinauszublicken und sich geistig voranzubewegen. Familiär wird demnächst auch noch ein Schritt getan: In zwei Wochen – zu ihrem zehnten standesamtlichen Hochzeitstag – werden Heike und Thomas Wolter kirchlich heiraten.