Porträt
Johannes Adler und sein Stück Heimat

Sein Hesperidengarten ist für viele das Paradies. In dem Kleinod nahe Regensburg gibt es aber nicht nur Pflanzen und Tiere.

05.05.2018 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Johannes Adler ist der Inhaber des Hesperidengarten Schnaitterhof bei Wenzenbach. Foto: altrofoto.de

Der Regensburger Johannes Adler, Jahrgang 1956, wuchs in der Hans-Sachs-Straße auf: „Das ist heute Innerer Westen. Damals war das Stadtrand. Und die Clermont-Ferrand-Allee war wirklich noch eine Allee. Voller Bäume“, sagt er. Seine Kindheit nennt er im Rückblick „wunderschön“. Und er präzisiert: „Wild und gefährlich“. Die langen, ewigen Kindertage verbrachte er „in der Gärtnerei meiner Eltern, auf der Schillerwiese und auf den Winzerer Höhen.“ Die Schule blieb da ein wenig auf der Strecke: „Ich war faul und grottenschlecht.“ Aber das schadet bekanntlich nicht unbedingt fürs spätere Leben.

Johannes Adler ist zweifelsohne ein Romantiker – und ein Zerrissener. Wie bei den historischen Romantikern der Jahre um 1800 spielt auch bei ihm die Sehnsucht eine große Rolle. Diese Sehnsucht aber ist ein wenig unbestimmt. Sie geht ins „Weite, Offene“, wie es bei Hölderlin heißt. Sie besteht aber auch in einem Verlangen nach Zugehörigkeit. „Heimat“ war schon bei Novalis das Stichwort. Und sie ist derzeit wieder sehr en vogue. Heimat, schrieb der große Sehnsuchts-Experte Ernst Bloch einst in seinem „Prinzip Hoffnung“, ist ein Ort, wo wir noch nie waren, den wir erst schaffen müssen. Und doch fühlen wir uns, paradoxerweise, alle ein wenig als Heimatvertriebene, weil wir das Gefühl nicht loswerden, wir seien schon einmal im Paradies gewesen, damals, in der Kindheit.

Adler, in dem ja viele den Besitzer eines Paradieses namens Hesperidengarten sehen, sagt so entschieden, als wolle er keinen Widerspruch zulassen: „Das Paradies gibt es auf Erden nicht.“ Dafür aber Suchbewegungen, Identitätsvermutungen. Die Kindheit hatte ihn sehr geprägt. Einstweilen. Ab 1972 macht er „zweieinhalb Jahre Floristenlehre in Nürnberg.“ Er weiß damals zwar noch nicht so genau, was er will. Vater und Mutter wissen es dagegen schon. „Meine Eltern wollten, dass ich den Betrieb übernehme.“

„Das Paradies gibt es auf Erden nicht.“Johannes Adler

Aber wenn der Bub erst einmal weg ist, beginnt das Risiko. In der Fremde findet man unter Umständen Dinge, die man gar nicht gesucht hat. „Ich hatte einen Freund, der mich überall- hin mitschleppte“, erzählt Adler. Und wie in allen romantischen Erzählungen gehören zur Selbstwerdung die weit aufgerissenen Augen, das große Staunen. Johannes Adler: „Vieles habe ich damals nicht wirklich verstanden.“ Und: „Heute bin ich sehr dankbar.“ Für all das Unverstandene. Denn nur das bringt einen weiter. Dass alles noch nicht so ist, wie es sein soll merkt man daran, dass es hin und hergeht. Für Adler hieß das: „Zurück in den elterlichen Betrieb.“ Drei lange Jahre. Während in Nürnberg eben noch alles Party war, war Regensburg, zumindest jetzt, in der Rückschau, Regression pur: „Ich wurde total bieder.“ Zum Glück aber, meint er, habe er noch rechtzeitig „den Absprung geschafft.“

Der Ort der Rettung vor all den Gartenzwergen, auch den Gartenzwergen in der Seele, die man nicht sofort sieht, war Ingolstadt. „Eine extrem wilde Zeit“, sagt Adler. „Damals dachte ich, es muss doch noch was kommen.“ Was kam, war: der legendäre Jazz-Club Mendorf, das waren Drogen, Alkohol, Exzesse. Willy Michl, der jaulende Isar-Indianer, „saß bis nachts um vier bei uns in der WG-Küche“. Okay, es gibt kein Paradies auf Erden. Aber das kam dem Glück schon recht nahe.

Auf seinen Reisen durch halb Europa sah er sich alte Gärten an

Johannes Adler ging für „sechs Monate nach Indien“, dem Selbstbegegnungs-Sehnsuchtsort der jungen Europäer. In der Goethe-Zeit war Italien das Land, das man mit der Seele suchte, jetzt, wo die Distanzen geschrumpft sind, ist es der asiatische Subkontinent. Johannes Adler beteuert: „Ich wollte sogar hoch auf den Himalaja.“ Der nimmermüde Luis Trenker in uns allen. Zurück in der Heimat, die noch keine war oder nicht mehr, das totale Kontrastprogramm: Meisterschule in Weihenstephan.

„Ich wollte sogar hoch auf den Himalaja.“Johannes Adler über seine Glücksgefühle

Das war 1982. Und 1984 dann: „Übernahme der Blumenläden meiner Mutter.“ Die Hoffnungen der Eltern hatten sich erfüllt. Die des Sohns noch nicht. Oder jedenfalls: noch nicht ganz. Trotzdem: Das Gärtner-Gen wurde er niemals wieder los. Wer noch nicht ganz bei sich ist, muss reisen. Vielleicht findet sich anderswo ja was anderes. Mit Pauline zog er 1989 durch halb Europa, Südengland, Holland, Italien: „Wir haben uns alte Gärten angeschaut. Wir entdeckten Pflanzen, die es bei uns nicht gab.“

Nach und nach nahm die Hesperidengarten-Idee, die er schon lange mit sich herumtrug, konkrete Gestalt an. Damals stand auch Familiengründung an. Sie wissen schon: Haus, Kind, Baum. Bei Johannes Adler eher: viele Pflanzen, mit denen man die Hobbygärtner aus Regensburg und Umgebung verblüffen und verzaubern kann. Der erste Garten lag noch am Pfaffensteiner Hang, Elfriede Stadler, die „Bräuin“, hatte ihnen das Gelände verpachtet. Aber dann, als eben alles schön angewachsen war und gedieh, der Schock. Elfriede Stadler starb und ihre Erben hatten lukrativere Verwertungen der stadtnahen Latifundien im Sinn. Umziehen müssen ist immer schlimm. Für einen Gärtner aber besonders. Denn man gärtnert ja nicht in den Tag hinein, sondern für ein halbes oder ganzes Leben. Die größte Freude: alles wachsen sehen, Jahr für Jahr. Johannes und Pauline Adler, mittlerweile verheiratet, wollten weitermachen. Aber die Suche nach einem großen, geeigneten Gelände war nicht leicht. Schließlich kam ihnen Leopold Graf Walderdorf entgegen: Sein Besitz war riesig und seine Konditionen so, dass sie einen nicht in Furcht und Schrecken versetzen.

„Der frühe Morgen, wenn noch keiner da ist und der Nebel über der Landschaft liegt. Der späte Abend, wenn alle weg sind.“Johannes Adler

Ein Paradies gibt es zwar nicht auf Erden, aber für viele begeisterte Regensburger kommt der Hesperidengarten, einsam gelegen, mit eigenem See, Wiesen, Wald in der Nähe, der Idee vom Paradies schon sehr nahe. Da gerät sogar Johannes Adler ins Schwärmen, benennt „Glücksgefühle“: „Der frühe Morgen, wenn noch keiner da ist und der Nebel über der Landschaft liegt. Der späte Abend, wenn alle weg sind.“ Das klingt nach Eremiten- oder Mönchstum. Adler braucht beides: das Einsam- und das Gemeinsam-mit-anderen sein. Er ist ja ein kleines Kommunikationsgenie. Das merkt man dem Hesperidengarten-Konzept an. Die Gärtnerei sollte immer auch ein Kulturzentrum sein. Zu den besonderen „Highlights“ zählt er „die Theaterstücke im Garten mit Joseph“. Gemeint ist Joseph Berlinger und sein von vielen geliebtes Open-Air-Theater an langen Sommerabenden: „Mit keinem anderen war die Zusammenarbeit so perfekt und harmonisch“.

Der Weltenbummler und Abenteurer ist sesshaft geworden

Dafür blickt er liebevoll auf seine Großfamilie, vier Kinder von drei Frauen, das älteste Kind 30, die jüngste gerade sechs, die beiden Buben, 22 und 18 alt, sie alle helfen im Betrieb mit. Und zur Familie gehören auch die Tiere: „Früher vier Kühe und ein Stier, jetzt halte ich noch drei, vier Schafe.“ Johannes Adler genießt den Blick in die Natur jeden Tag aufs Neue. Auch wenn er ihn früher vielleicht ein wenig mehr genossen hat. Denn die Rebhühner, von denen es einst so viele gab, sind komplett weg, die Fasane selten geworden, den letzten Eisvogel hat Johannes Adler vor einer halben Ewigkeit gesehen...

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