Klassenfahrt ins Mordschloss

24.04.2009 | Stand 24.04.2009, 17:30 Uhr

Kann man glauben, dass hinter diesen romantischen Mauern NS-Gräuel stattfanden? Hartheim gilt als schönstes Renaissanceschloss Österreichs. Die Zeiger stehen auf 9.15 Uhr, als die Klasse aus Regensburg kommt. Zwei Mädchen tragen Vasen mit Gerbera über den Kies. Die Sonne lacht an diesem Mittwochmorgen, 22. April 2009. Klassenfahrt nach Hartheim, ins ehemalige Mordschloss der Nazis.

Wenn damals vor 68 Jahren die grauen Mercedes-Busse der „Gekrat“ kamen, hielten sie mit schwarz verhängten Fenstern unterm Glockenturm. Drei Stunden später waren die Businsassen tot – vergast mit Kohlenmonoxid. In Hartheim lernten KZ-Kommandanten ihr „Handwerk“. Nazi-Jäger Simon Wiesenthal bezeichnete das um 1600 erbaute Schloss bei Linz als Schule der Mörder.

Zum Unterrichtsprogramm gehörte auch die Kunst des Tarnens und Täuschens, die zynische Umwertung aller Werte. Im Schloss Hartheim waren 46 Büro- und Verwaltungskräfte in einem eigenen „Sonder-Standesamt“ damit beschäftigt, falsche Sterbeurkunden auszustellen und zynische Trostbriefe zu schreiben. Selbst „Gekrat“ war eine Lüge. Die Abkürzung stand für „gemeinnützige Krankentransport GmbH“. Sie war gemein und nützlich für alles, was dieser Perversion des menschlichen Nützlichkeitswahns diente: Hier wurde in Statistiken erfasst, was dem deutschen Volk durch die Vernichtung von Ballast-Existenzen bis 1951 erspart wird: 895 Millionen Reichsmark!

Für die grauen Busse der Organisation hatte man einen Schuppen gebaut, damit die Leute im Dorf nicht sahen, wer da kam. Der schwarze Rauch wurde der Dorfbevölkerung so erklärt: „Im Schloss wird Öl raffiniert.“ Es bestand Erklärungsbedarf. Der Verbrennungsofen lief unter Volllast. Brenner Vinzenz Nohel bekam täglich eine halbe Flasche „Schnaps“ als Sonderration. Einer ließ sich lieber an die Front versetzen, als hier zu arbeiten: Pfleger Franz Sitter. Sein ethisches Verhalten hat Vorbildcharakter für die heutige Pfleger-Generation.

18 000 Insassen der Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches ließen in dem Schloss ihr Leben, bis die mutige Predigt des Bischofs von Münster vom 2. August 1941 die Mord-Aktion stoppte. 640 Opfer kamen aus Regensburg. Vom 4. November 1940 bis 5. August 1941 wurden mehr als ein Drittel der in Karthaus behandelten Menschen in fünf Transporten deportiert und hier im Nord- und Ostflügel ermordet. Träger wertvollen Zahngolds bekamen zur Kennzeichnung ein Pflaster auf den Rücken.

Die Regensburgerin Maria K. ging auch diesen Leidensweg. Sie war Mutter von drei Kindern. Erst über 60 Jahre später, 2004, erfuhr die Familie vom wahren Schicksal der Großmutter, das von den Nazis verschleiert worden war. Dr. Clemens Cording, stellv. Chefarzt des Bezirkskrankenhauses, hatte mit seiner im Jahr 2000 veröffentlichten Studie über „Die Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll im Dritten Reich“ die Grundlage für die Aufklärung dieses Schicksals gelegt.

.Seit 2003 besuchen die Klassen der Berufsfachschule für Krankenpflege des Bezirks Oberpfalz im Rahmen des Projektes „Pflege im Nationalsozialismus“ regelmäßig die Gedenkstätte. Schloss Hartheim war eine der sechs NS-Euthanasieanstalten im national-sozialistischen Deutschland. 1997 beschloss die Landesregierung Oberösterreich, den „Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim“ zu schaffen, der 2003 mit der Sonderausstellung „Wert des Lebens“ eröffnet wurde. Für die Krankenpflegeschule des Bezirks Oberpfalz ist die Erinnerung an 640 ermordete Patienten in Karthaus-Prüll Grund genug, im Rahmen der Pflegeausbildung die ethische Dimension und die menschlich-berufliche Haltung der Pflege in den Blick zu nehmen.

Die Fahrt im Jahr 2009 war für die Berufsfachschüler eine besondere Reise. Im Gedenken an die Opfer der „T4“-Aktion der Nationalsozialisten (nach dem Sitz der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 in Berlin) wurde auf Initiative ehemaliger Schülerinnen und Schüler die Gedenktafel angefertigt, die in Schloss Hartheim feierlich enthüllt wurde.

Die Exkursion bestand u.a. aus dem Geschäftsführer der Medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz, Kurt Häupl, der Schulleitung und den Schülerinnen und Schülern der diesjährigen Examensklasse. Die jungen Leute im Alter von 18 bis 26 Jahren gingen den letzten Weg der einstigen Patienten von Karthaus-Prüll bewusst mit. Immer wieder hörte man den Satz. „Krass. Man glaubt es nicht.“

„Wir möchten aus der Vergangenheit lernen. Das ist bei den bestehenden ökonomischen Zwängen im Gesundheitswesen wichtiger denn je“, sagt Michael Bossle, Pflegewissenschaftler und Lehrer an der Krankenpflegeschule. Bildung, gerade die des Herzens, der persönlichen Kompetenz, nimmt die Schule wichtig. Insgesamt vier Tage verbringen die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema, es stehen Recherchen, Quellenarbeit und Diskussionsrunden und Expertensprechstunden auf dem Programm. Zum Abschluss des Projektes wurden die Ergebnisse gestern in einer Präsentation an der Krankenpflegeschule am Bezirksklinikum gezeigt.

Das Erinnern trägt Früchte. Sophie Anders, Julia Bindig, Eva Eder verfassten im Namen der Schülerinnen und Schüler der Klasse 58a ein Gedicht. Es wurde verlesen, während die Gerberas an der brennenden Kerze niedergelegt wurden, die die Schülerinnen gefertigt hatten. „Blickt man sich um, scheint dieser Ort vergessen zu haben, wie viel Leid und Kummer diese Mauern einst beherbergten. Um dem Vergessen Einhalt zu gebieten, stehen wir heute hier. Es geht nicht darum, unsere Schuld zu bekennen, oder etwas wieder gut zu machen. Denn wie nach langem Regen wieder Licht folgt, wollen wir der Zukunft entgegenblicken. Eine Zukunft, die wir täglich gestalten und mitbestimmen. Einer Zukunft in der wir der Vergangenheit nicht starr den Rücken zukehren, da wir unser Leben darauf aufbauen. Ein Leben in dem wir jene Minderheiten unterstützen, die einst zu Opfern wurden. Denn die vergangenen Taten können wir nicht mehr rückgängig machen. Nun haben wir die Möglichkeit, Teil einer Gesellschaft zu sein, die aus ihrer Geschichte gelernt hat. Eine Gesellschaft in der jedes Leben lebenswert ist.“

Im Seminarraum des Lern- und Gedenkortes rief Michael Bossle seine Schüler zu einer Reflexionsrunde zusammen. Dabei wurde die Vergangenheit mit dem Heute verknüpft. Den Kampf gegen die Feinde des Lebens bestehe man nicht mit T-Shirts und Tattoos, meinte eine Schülerin. Es reiche nicht, immer nur dagegen zu sein und dies auch optisch zu zeigen. Man müsse für das Leben etwas tun. „Dadurch, dass wir uns entschieden haben, etwas für Behinderte und Kranke zu tun, leisten wir einen positiven Beitrag für eine menschliche Gesellschaft.“ Die angehende Krankenpflegerin sprach ein Lob aus an alle, die einen sozialen Beruf ergreifen und ergriffen haben.