Interview
Mit OP-Ausrüstung und Gitarre in Gaza

Michael Nosseir war für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz. Dank des Neumarkter Arztes konnten knapp 40 Menschen operiert werden.

03.05.2016 | Stand 16.09.2023, 6:50 Uhr
Claudia Pollok
Vom Neumarkter Krankenhaus ins OP-Zelt in Chan Yunis (Gaza) – Michael Nosseir bereitet die Narkose vor. −Foto: Nosseir/Paul Maakad

Für Ärzte ohne Grenzen wechselte Michael Nosseir für vier Wochen den OP-Saal gegen ein Zelt im Gaza-Streifen. Für den gebürtigen Düsseldorfer, der seit 2010 im Neumarkter Klinikum als Anästhesist und Notfallmediziner tätig ist, war es bereits der zweite Einsatz für die Hilfsorganisation. Warum sich der 39-Jährige im Gaza-Steifen sicherer als in europäischen Metropolen fühlte und wieso er an jedem Einsatzort eine Gitarre hinterlässt, erzählte er unserer Zeitung im Interview.

Was war Ihre Motivation, sich bei Ärzte ohne Grenzen zu bewerben?

Ich bin auch Arzt geworden, um Menschen zu helfen. Die Idee, für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten, hatte ich schon lange. Dann traf ich am Neumarkter Klinikum Oberarzt Dr. Götz Gerresheim, der schon einige Male für die Hilfsorganisation unterwegs war. Nach vielen Gesprächen meinte er, ich könnte genau der Richtige für Ärzte ohne Grenzen sein.

Wie lief das Bewerbungsverfahren ab?

Nach der schriftlichen Bewerbung gibt ein zwei- bis dreistündiges Bewerbungsgespräch. Dabei stehen nicht die fachlichen Qualitäten, sondern die psychische Eignung im Vordergrund. In den Einsatzorten gibt es manchmal viel Elend zu sehen. Vorab wird daher sehr genau geprüft, wie man mit Stress umgeht.

Wie sah Ihr Einsatz in Gaza aus?

Das Team von Ärzte ohne Grenzen hat in Chan Yunis, das im Süden des Gaza-Streifens liegt, ein Operationszelt aufgebaut. Während meines vierwöchigen Einsatzes habe ich dort als Narkosearzt mit einer britischen Chirurgin und einheimischen Helfern gearbeitet. Wir haben insgesamt knapp 40 Menschen mit Fehlbildungen und Brandverletzungen, von denen einige von Bombenangriffen stammten, operiert.

Gibt es ein Erlebnis während ihres Einsatzes in Gaza, das Sie besonders bewegt hat?

Ein junger Mann wurde zu uns gebracht, der sich wohl aus Protest mit Benzin übergossen hatte. 85 Prozent seiner Körperoberfläche waren verbrannt und vernarbt. Da denkt man natürlich: Was hat er erlebt, um so etwas zu tun? Wegen seiner schweren Verletzungen mussten wir ihn in ein Krankenhaus nach Amman verlegen.

Ihr Aufenthalt in Gaza war bereits Ihr zweiter Einsatz für Ärzte ohne Grenzen. 2013 waren Sie in Pakistan. Wie haben Sie das Leben in den Krisengebieten erlebt?

Im Gaza-Streifen waren die Spuren des Konfliktes nicht immer so offensichtlich wie in Pakistan. In Gaza-City gibt es Einkaufsstraßen und Märkte wie in Kairo. Doch auf dem Land sind viele zerstörte Häuser, fehlende Hauswände und Einschusslöcher zu sehen. In Pakistan war die Sicherheitslage angespannter. Wir durften das Areal von Ärzte ohne Grenzen nicht verlassen. Am Ende meines Projektes war die fehlende Abwechslung mein größtes Problem. Daher ließ ich mir von einem anderen Arzt der Hilfsorganisation aus Islamabad seine Gitarre schicken. Dort kam mir dann die Idee, in jedem Einsatz eine Gitarre mitzubringen und sie für die nachfolgenden Helfer dazulassen.

Hatten Sie in den Krisengebieten auch manchmal Angst um Ihr Leben?

Ich bin ein realistischer Mensch und habe mich im Vorfeld über die Situation in Gaza und Pakistan informiert. In Gaza ist es derzeit eher ruhig, aber angespannt. Die Menschen rechnen vielmehr mit dem nächsten Konflikt. Angesichts der aktuellen Terroranschläge glaube ich aber nicht, dass es für mich in Gaza gefährlicher war, als wenn ich in einer europäischen Großstadt Urlaub gemacht hätte.

Wie haben Sie sich mit den Eindrücken, die Sie dort gesammelt haben, wieder in Deutschland eingelebt?

Die Einsätze haben mich schon ein wenig verändert. Ich rege mich zum Beispiel nicht mehr so schnell über Kleinigkeiten auf. Der Einsatz in Pakistan war allerdings für mich auf Grund der Lebensbedingungen und Verletzungsmuster – und wahrscheinlich weil es mein erster Einsatz war, deutlich prägender.

Werden Sie wieder für Ärzte ohne Grenzen arbeiten?

Ja. Ich möchte auf jeden Fall weitermachen, aber nicht unbedingt für vier Wochen. Es ist manchmal schwierig so einen langen Zeitraum mit Urlaub und Überstunden zu überbrücken. Mir wäre es lieber, ich könnte zum Beispiel jedes Jahr für zwei Wochen an einem Einsatz für Ärzte ohne Grenzen teilnehmen.

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