Bildung
Modellversuch hat erste Hürde genommen

Zwei Gymnasien im Landkreis Schwandorf ebnen Schülern mit Mittlerer Reife den Weg zur Uni. Das Projekt ist noch ausbaufähig.

02.02.2016 | Stand 16.09.2023, 6:48 Uhr
Elisabeth Hirzinger
„Ehrgeiz braucht es schon“, sagt Theresa Scherl. −Foto: Fotos: Hirzinger

„Ich bereue die Entscheidung nicht“. Theresa Scherl und Michael Eibl wählen exakt die gleichen Worte. Die eine besucht das Ortenburg-Gymnasium in Oberviechtach, der andere das Johann-Michael-Fischer-Gymnasium in Burglengenfeld. Die beiden kennen sich nicht und erzählen doch die gleiche Geschichte. Eine persönliche Erfolgsgeschichte, die an einer Realschule beginnt und heuer mit dem Abitur am Gymnasium enden wird.

Theresa Scherl und Michael Eibl sind bildungspolitische Pioniere. Sie waren unter den ersten 16 Schülern im Landkreis, die nach der Mittleren Reife den Weg über eine Einführungsklasse ans Gymnasium gegangen sind. Ein Weg, den nach Überzeugung der Schulleiter Dr. Beate Panzer und Günter Jehl deutlich mehr Schüler einschlagen könnten.

Die Leiter der Gymnasien kämpfen um jeden begabten Schüler. Aus Überzeugung. Für sie ist das Gymnasium erste Wahl. Nur hier erhielten die Schüler die optimale Vorbereitung auf das universitäre Studium, sagt Dr. Beate Panzer im Gespräch mit der MZ. Auch ihr Kollege Günter Jehl wird nicht müde, die Vorzüge des Gymnasiums zu preisen. Mit mäßigem Erfolg.

Mit einem Schnitt von 1,3 an die Realschule

Immer mehr Eltern schicken selbst Kinder mit einem Notendurchschnitt deutlich unter 2,0 an die Realschule. Theresa Scherl war auch so eine „Kandidatin“. Sie ist mit einem Schnitt von 1,3 an die Neunburger Realschule gewechselt – und hat sich dort, wie sie betont, „wohlgefühlt“. Genauso wie Michael Eibl an der Burglengenfelder Realschule. Die beiden, die vor drei Jahren mit einem super Abschlusszeugnis die Realschule verlassen haben, möchten die Zeit dort nicht missen.

„Das waren fünf entspannte Jahre“, sagt Michael Eibl und lacht. Außerdem: „Früher haben sie ja auch 13 Jahre bis zum Abitur gebraucht“. Luftlinie 60 Kilometer entfernt sitzt Theresa Scherl im Zimmer des Direktors und schwärmt ebenfalls von ihrer Realschulzeit. Ja, sie würde es wieder so machen, zuerst die Realschule besuchen und dann am Gymnasium nach einem Eingewöhnungsjahr durchstarten.

Schulleiter Günter Jehl neben ihr lächelt. Eigentlich ist das, zumindest aus Sicht des Leiters eines Gymnasiums nicht der ideale Weg. Begabte Schüler, so das Credo vieler Schulleiter, gehören ans Gymnasium. Günter Jehl lehnt sich zurück und betrachtet das Ganze aus dem Blickwinkel des Pragmatikers: Die Einführungsklasse sei die „letzte Chance, wenigstens nach der Mittleren Reife noch Schüler für das Gymnasium zu begeistern, „wenn wir sie schon nach der vierten Klasse nicht kriegen“, so der Direktor.

„Freizeit kommt bei mir nicht zu kurz. Am Wochenende gehe ich weg und treffe mich mit Freunden.“Theresa Scherl, Schülerin Q12

Das war wohl auch der Hintergedanke bei der Einrichtung der Einführungsklassen vor vier Jahren an 100 Gymnasien im Freistaat. Es ging, wie Kultusminister Spaenle nicht müde wurde zu betonen, um die „Durchlässigkeit zwischen den Schularten, die bis dahin immer nur von den Gymnasien zurück an die Real- und Mittelschulen funktioniert hatte.

Heute ist man von einer Durchlässigkeit nach oben noch weit entfernt. Nur eine Handvoll Schüler mit Mittlerer Reife haben sich in den vergangenen zwei Jahren für die Einführungsklassen in Oberviechtach und Neunburg angemeldet. Das ist wenig, angesichts des Potenzials, das in einem Großteil der Absolventen mit mittlerem Schulabschluss steckt. Auch unter dem Aspekt, dass heute ein Wechsel ans Gymnasium für Quereinsteiger durch das zwischengeschaltete Einführungsjahr bei weitem kein Sprung ins kalte Wasser mehr ist. Danz im Gegenteil: Die Schüler werden in der zehnten Klasse, die sie sozusagen freiwillig wiederholen, behutsam auf die Qualifizierungsphase vor dem Abitur vorbereitet. Und die bisherigen Erfahrungen sprechen für das Einführungsmodell: Die „fachlichen Defizite“ holen diese Schüler, wie Dr. Beate Panzer berichtet, „unheimlich schnell auf“.

Alle Gymnasiasten werden be Bedarf individuell gefördert

Als Sonderbehandlung haben das Coaching weder die Teilnehmer der Einführungsklasse noch ihre Klassenkameraden empfunden. Schließlich werden, wie Günter Jehl betont, alle Gymnasiasten bei Bedarf individuell gefördert und bei den Real-, Mittel- und Wirtschaftsschülern sei es vor allem darum gegangen, sie auf das gleiche Niveau wie ihre Mitschüler zu bringen.

Freude am Lernen, Fleiß und Ehrgeiz, mehr braucht es nach Einschätzung der Schulleiter nicht, um so das Abitur zu schaffen. Das sagen auch Theresa Scherl und Michael Eibl, die sich beide nicht als Streber bezeichnen würden. Den Sprung von der Realschule könnten mehr Schüler schaffen, meinen sie, „vorausgesetzt sie sind motiviert und haben ein Ziel vor Augen“. Und lernen müsse man an jeder Schule.

„Früher haben sie ja auch 13 Jahre bis zum Abitur gebraucht.“Michael Eibl, Schüler Q12.

Theresa Scherl und Michael Eibl übertreiben es nicht mit dem Lernen. In ihrer Freizeit gehen sie „furt“, treffen sich mit Freunden. Das Ziel, das sie anpeilen, ist die Universität. Theresa will Psychologie oder Grundschullehramt studieren und Michael Molekulare Biotechnologie in Heidelberg. Dass sie und ihre Mitschüler, die erst nach der zehnten Klasse ans Gymnasium gekommen sind, das Abitur schaffen, das steht für Dr. Panzer und Günter Jehl außer Frage.

Natürlich war der Schulwechsel für die Real-, Mittel- und Wirtschaftsschüler eine Umstellung. Allein dass es am Gymnasium Nachmittagsunterricht gibt und dass dort „anders gelernt wird“, war gewöhnungsbedürftig. Aber sie hatten auch ein Jahr Zeit sich in dem neuen Schulsystem einzufinden. „Und es ist zu schaffen“, versichern Theresa Scherl und Michael Eibl, die sich in ihrer neuen Schule sichtlich wohlfühlen. Sie seien „super aufgenommen worden“, erzählt Michael, der gleich zum Jahrgangsstufensprecher gewählt wurde.

Die Fachoberschule war keine Alternative

Die Fachoberschule war für die mittlerweile 18-jährigen Schüler jedenfalls keine Alternative. Da hätte ich mich auf einen Zweig festlegen müssen, argumentiert Michael, der sich allein schon wegen der „größeren Wahlmöglichkeiten“ für das Gymnasium entschied. Und außerdem hätte er an der Fachoberschule wegen der deutlich geringeren Wochenstundenzahl die zweite Fremdsprache nicht so gut lernen können. Am Gymnasium spart er sich eine Abschlussprüfung und die Probezeit, die man an der FOS bestehen muss. Und Nachmittagsunterricht gibt es an beiden Schulen.

„Die Vorteile der Einführungsklasse sind noch nicht in den Köpfen drin.“Dr. Beate Panzer

Angesichts der vielen Argumente, die Theresa und Michael heute pro Gymnasium auflisten, drängt sich die Frage auf, warum diese Schule für beide damals, nach der vierten Klasse, nicht in Frage kam. Und es stellt sich heraus, dass die beiden auch hier eine Gemeinsamkeit haben: Sie wollten an die Schule, die auch ihre Geschwister besucht haben. Von seinen Drillingsbrüdern hätte sich Michael als Zehnjähriger nie getrennt, sagt er mit Nachdruck.

Gerne treten sie als Botschafter ihrer Schulen auf.Und vielleicht schaffen es Theresa und Michael mit ihren engagierten Plädoyers für das Gymnasium und ihren guten Erfahrungen mit der Einführungsklasse, wenigstens einem Teil der Eltern die Angst zu nehmen, dass ihre Kinder dort zu sehr unter Druck stehen.

Genau das wollen Dr. Beate Panzer und Günter Jehl auch mit den diversen Informationsveranstaltungen erreichen, die sie anbieten. Und Information tut Not, denn nach Überzeugung der beiden Schulleiter sind die Vorzüge des neuen Modells „noch nicht in den Köpfen drin“.

Das Erfolgsmodell krankt nämlich noch daran, dass die Nachfrage bisher mau ist. Nur einmal, im ersten Jahr, reichte die Zahl der angemeldeten Schüler in Oberviechtach, um eine Klasse zu bilden. Danach hat sich die Quote bei fünf bis sechs Schüler pro Jahrgang eingependelt. In Burglengenfeld waren es von Haus aus nicht mehr Schüler. Das sei noch ausbaufähig, finden die Schulleiter der beiden Gymnasien am südlichen und nördlichen Rand des Landkreises, die unabhängig von der Anzahl der Anmeldungen, auf jeden Fall das Angebot einer Einführungsklasse aufrecht halten.

Dr. Beate Panzer und Günter Jehl sehen in den Einführungsklassen auch eine Chance vor allem für Schüler im ländlichen Raum. Die Wohnortnähe nennt Günter Jehl als „großen Vorteil“. Zum Gymnasium, soviel steht fest, ist der Weg auf jeden Fall kürzer als zu den nächstgelegenen Fachoberschulen in Cham, Schwandorf und Weiden.