Prozesse
Neumarkter Richter sind schnell

Die Pandemie lässt die Zahl der Bußgeldverfahren am Amtsgericht explodieren. Doch die Juristen arbeiten die Fälle rasch ab.

23.07.2021 | Stand 16.09.2023, 1:41 Uhr
Der Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Thomas Dickert, der Direktor des Amtsgerichts Neumarkt, Hans-Christoph von Taysen und der Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Roland Glass informierten über die Entwicklung des Standorts. −Foto: Markus Rath

Die Pandemie hat die Arbeit am Neumarkter Amtsgericht stark verändert. Die Zahl der Bußgeldverfahren sind nahezu explodiert. Gerade bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz ziehen Angeklagte oft alle Register.

Der Lockdown hat nicht nur das öffentliche Leben beeinflusst, sondern damit indirekt auch die Kriminalität und die Gesetzesverstöße. Weil sein Amtsantritt vor 18 Monaten ebenfalls wegen des Coronavirus’ eher still und leise vonstatten gegangen ist, hat Amtsgerichtsdirektor Hans-Christoph von Taysen am Freitag eine erste offizielle Bilanz der Pandemie gezogen. Zusammen mit dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, Dr. Thomas Dickert, sowie dem Präsidenten des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Roland Glass, gingen sie auf juristische Besonderheiten dieser Zeit ein.

Vor allem die Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten hat sich deutlich verändert: Normalerweise werden dort überwiegend Verstöße im Straßenverkehr geahndet. Doch während des Lockdowns haben die Verkehrsdichte und damit auch die Zahl der Verkehrsvergehen signifikant abgenommen – nämlich um 40 Prozent, wie von Taysen sagte.

Im Gegensatz dazu ist die Zahl der Bußgeldverfahren von nur fünf im Jahr 2019 auf hochgerechnet 120 im Jahr 2021 gestiegen. Mehr als 80 Prozent davon machen Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz aus. Personen, die trotz Maskenpflicht, keine getragen haben, andere, die sich zu Feiern getroffen haben, oder sich nicht an die Beschränkung der Haushalte gehalten haben. Einige der Angeklagten lehnen die gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich ab.

Und das habe für das Gericht einschneidende Folgen, wie der Amtsgerichtsdirektor ausführte: „Bei diesen Verhandlungen werden oft alle Register gezogen bis hin zu Befangenheitsanträgen gegen meine Richterkollegen“. Dadurch entstünden weitaus komplexere und zeitlich längere Verfahren, als dies in der Geschäftsverteilung vorgesehen sei.

Weniger Jugendstrafverfahren

Ein wohl ebenfalls temporäres Corona-Phänomen sei der Rückgang der Jugendstrafverfahren. Waren es 2020 noch 225 Verfahren, liegt die Zahl im ersten Halbjahr 2021 bei nur 60. „Hier handelt es sich sehr häufig um Ladendiebstähle oder Gewaltdelikte in Verbindung mit Alkohol“, erklärte von Thaysen. Da wegen der Pandemie Gastronomie und auch viele Geschäfte geschlossen hatten, sei der Rückgang nachvollziehbar. Jetzt rechnet er aber bereits wieder mit einem baldigen Anstieg.

Extrem positiv ist die Entwicklung bei den erledigten Verfahren, berichtete Glass, der bei dem Pressegespräch auf die Geschäftsbelastung des Amtsgerichts einging. So wurden 2020 in allen Aufgabenbereichen mehr Verfahren erledigt, als neu eingegangen sind. Zudem liege die Verfahrensdauer deutlich unter dem bayernweiten Durchschnitt.

Besonders schnell waren von Taysen und seine Richterkollegen bei den Strafverfahren: 549 Fälle wurden 2020 verhandelt, neu auf den Tisch bekommen haben sie Eingang 530. Die durchschnittliche Dauer bis es zu einem Abschluss oder Urteil kam, betrug dabei nur 1,5 Monate. Bayernweit liegt der Durchschnitt bei 3,3 Monaten. Damit waren die Neumarkter Richter doppelt so schnell, wie die bayerischen Gerichte im Durchschnitt.

Neben der Geschäftsbelastung ging Glass auch auf die Personalsituation in Neumarkt ein, die gerade 2020 durch eine hohe Fluktuation und das Corona bedingte Berufsverbot für schwangere Mitarbeiterinnen geprägt gewesen sei. So habe beispielsweise eine Richterin von heute auf morgen ihre Verhandlungen abgeben müssen. Eigentlich gebe es für Neumarkt einen errechneten Bedarf von 8,17 Richterstellen, bedingt durch Vakanzen (ohne das Berufsverbot) ergab sich ein Personalstand von 7,61.

„Damit hat uns eine halbe Richterstelle gefehlt“, rechnete Glass vor. Das führte dazu, dass jeder Richter mit etwa sieben Prozent mehr belastet wurde, als in der Geschäftsverteilung vorgesehen ist. Damit liege Neumarkt für 2020, was die Personalausstattung angeht, im Landesdurchschnitt. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2021 ist die Belastung inzwischen wieder gesunken, seitdem muss jeder Richter nur noch zwei Prozent mehr arbeiten.

Sanierung: Schlossherr:Corona:
Das rund 850 Jahre alte Amtsgerichtsgebäude wird seit fünf Jahren saniert. Dabei werden rund 3,2 Millionen Euro investiert. Die Arbeiten sollen bis zum Jahresende abgeschlossen sein.Hans-Christoph von Taysen ist der erste adlige Direktor des Amtsgerichts Neumarkt.Inzwischen sind rund 90 Prozent der Gerichtsmitarbeiter geimpft. Es gab während der gesamten Pandemiezeit keinen einzigen Coronafall. Laut von Taysen sei dies der Disziplin der Mitarbeiter zu verdanken.

Taysen bedauerte auch, dass das soziale Leben des Gerichts in den vergangen 18 Monaten zum erliegen gekommen ist. Weihnachtsfeier, Betriebsausflug und Kaffeerunden seien nicht möglich gewesen und fehlten den Mitarbeitern.

Dr. Dickert, der den Werdegang und die Kompetenzen des neuen Amtsgerichtsdirektors würdigte, ergänzte, dass dieser als erster adliger Schlossherr noch gar nicht erleben durfte, dass das Neumarkter Amtsgericht sich nicht nur räumlich in der Mitte Neumarkts befindet, sondern auch als Veranstaltungsort für Kleinkunst und Schlossfestspiele im Mittelpunkt des öffentlichen Lebens steht.