Dialektserie
„Pack deine sieben Zwetschgen!“

Zum Monatsende gibt es Wissenswertes rund um den Dialekt. Dieses Mal geht es um Hochzeiten, Furunkel und Steinobst jeder Art.

28.10.2016 | Stand 28.10.2016, 6:00 Uhr
Die Bezeichnungen für diverse Arten von Steinobst werfen Probleme auf. Sind dies Pflaumen oder Zwetschgen? −Foto: Fotos: dpa

Elterliche Ermahnung: „Bi ned so bàlous!“

Wohl längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist „u-brocht (ungebracht)“ für: ungestaltet, derb, grob, ebenso „u-bascht“ oder „o-bascht“ für: ungebärdig, unartig. Die beiden letzten Wörter galten im Chiemgau; sie sind aufzulösen als „un-, â-bard“ (mit der dort üblichen Lautentwicklung von -rt über -rscht und -scht zu: gebaren, gebärden). Eine Entsprechung liefert das bayerwäldlerische Adjektiv „u-bàd“ (ungebärdet, wild). Im Gegensatz zu den genannten Ausdrücken ist das Eigenschaftswort „bàlous“ weiträumig verbreitet. Es enthält ebenfalls diesen Stamm: „gebär-, bär-los“. Wenn sich eines der Kinder beim Essen vordrängte, um nur ja nicht zu kurz zu kommen, erfolgte die elterliche Rüge: „Bi do ned so bààlous!“

Das bairische Wort umfasst folgende Bedeutungen: ungestüm, nicht warten könnend, schwer zufrieden zu stellen, rücksichtslos, eigensinnig, verwöhnt, wählerisch, neidisch, gierig, unverschämt, ohne Benehmen, ohne Manieren. So erklärt sich auch die Wortbildung. Die heutige Form ist die lautgesetzliche Fortentwicklung von ge-bär-los. Mit demselben Wortstamm gebildet sind hochsprachlich „Gebaren, Gebärde, sich gebärden“. Veraltet ist das bairische Substantiv „die Gebær, Bàr, Bà“. Nach dem Verlust des unbetonten „e“ verschwindet die Vorsilbe „ge-“ völlig, das heißt sie geht im folgenden Konsonanten „b“ auf: ge-bàr, g-bàr, „bàr“. Versehen mit der Endung „-los“ in der mundartlichen Lautung „-lous“ resultiert das Eigenschaftswort „bàlous“.

Zweschbm, Gräichala und anderes Steinobst

Will man jemanden auffordern, seine Habseligkeiten zu nehmen und zu verschwinden, sagt man: „Pack deine sieben Zwetschgen!“ Wie man ausgerechnet auf Zwetschgen gekommen sein mag? Die Bezeichnungen für diverse Arten von Steinobst werfen einige Probleme auf. Mit Österreichern lässt sich ausgiebig darüber diskutieren, ob ihre Marillen nicht doch dasselbe sind wie unsere Aprikosen oder Ringlo (Ringlotten, Reineclauden). Als Oberbegriff für sämtliches Steinobst kann wohl „Pflaume“ gelten. Bei uns aber werden die größeren und runden Pflaumen streng unterschieden von den kleineren und länglichen Zwetschgen, erst recht von den noch kleineren undrunden Kriechen, die in der Oberpfalz „Gräichala“ heißen, südlich der Donau „Griacherln“. Niemand hat dafür wohl je die Bezeichnung Haferpflaume gehört.

Diese Obst-Namen stammen alle aus den alten Sprachen. Griechisch „proumnon“ gelangte über das Lateinische ins Althochdeutsche als „phrûma“, später „phlûma“, was zu neuhochdeutsch „Pflaume“ führte. Im Bairischen wurde daraus Pflàmm (wie Bàmm, Dràmm für: Baum, Traum). Fast abenteuerlich mutet es an zu erfahren, dass Zwetschge ursprünglich bedeutet hat: Frucht aus Damaskus: griechisch „damaskena“, spätlateinisch „davascena“. Nachvollziehbaren Lautgesetzen (dv-, tw-, zw- usw.) folgend, wandelte sich das Wort im Deutschen zu: Zwetsche, Zwetschge (österreichisch: Zwetschke, mitteldeutsch: Quetsche). Bei uns hört man die vereinfachte Aussprache „Zweschpm“. Das „Kriecherl“ kam zu uns als „(prumum) graecum“, als griechische Pflaume. Der Pfirsich schließlich gelangte von China über Persien nach Europa und erhielt den Namen „pfersich“, die persische Frucht.

Zwei Fragen von Ingeborg Trommer aus Berching

D’Houzad feiern s‘ z’Lanzad.

In Landshut also feiern sie ihre Hochzeit. Sowohl dieses Wort als auch der Name der Stadt weisen als zweiten Wortbestandteil die Silbe „-ad“ auf, die im Bairischen sehr häufig vorkommt. Es gibt Eigenschaftswörter wie etwa „deppad, gstinkad, gspinnad, gschlampad, nackad, hupfad, ziagad, dalkad (tollpatschig, ungeschickt)“, die diese Endung tragen, wo sie oft als „-ert“ geschrieben wird, obwohl eigentlich kein „r“ drin steckt. Teilweise handelt es sich nämlich um Präsenspartizipien wie „stinkend, ziehend (sich hinziehend, langsam, langweilig), hupfend (gehbehindert, hinkend)“. Andere sind mit der alten Endung „-icht“ gebildet wie beispielsweise „doarad, dourad“ (taub; vergleiche schriftsprachlich „töricht“). Ebenfalls „-icht“ liegt Sammelbegriffen wie „Dickad, Girlad, Gfickad“ (Dickicht; Erlengebüsch; Geflügel, Kleinvieh) zugrunde. Sonderfälle liegen vor mit „Heimat (Hoamad)“ und bairisch „Hemad (Hemd)“. Besonders bemerkenswert ist, dass auch ursprünglich selbstständige Wörter auf „-ad“ zusammengeschrumpft sind: Hochzeit wird im Dialekt ausgesprochen als „Houzad“, und die Ortsnamen Landshut, Langquaid als „Lanzad,Langad“. Das Suffix „-heit“ erscheint als „-ad“ in den Mundartlautungen „Grangad, Woarad, Gwonad/Gwenad“ (Krankheit, Wahrheit, Gewohnheit). Ist es berechtigt, den Baiern hier Mundfaulheit vorzuwerfen? Keinesfalls! Das Bairische befindet sich in guter Gesellschaft, wenn man bedenkt, dass die englischen Städtenamen Gloucester, Worcester als „Glosta, Wusta“ ausgesprochen werden, und Baile Átha Cliath (so heißt die irische Hauptstadt auf Irisch) so ungefähr als „Blaa-klia“.

Eine Anregung von Hannes Nigl

Er hod ’s ganze Gnack volla Oassn.

Den (oder das) Furunkel nennt man auf bairisch „Oass“. Die schriftdeutsche Form ist „(der) Eiß, (die) Eiße“ und steht sogar im Duden mit der Angabe: süddeutsch und schweizerisch mundartlich für Blutgeschwür, Eiterbeule. Die Österreicher kennen dafür die Lautform „Àss, Àssl“. Die Wörter lassen sich herleiten von der indogermanischen Wurzel oid- mit der Bedeutung Geschwulst, Geschwür; von dieser kommt auch „Eiter“. Die alte mundartliche Bezeichnung dafür war „Madére“, das ist „Materie“ (vergleiche französisch „matière“, englisch „matter“ für Eiter).

Die Frage wurde eingesandt von Hans Reichhart.

Das Beckenbrot von der Beckin

Wieso schreiben manche Backbetriebe auf ihr Firmenschild die Kurzform „…-Bäck“ oder „…-Beck“? Das ist leicht erklärt. Die alte Berufsbezeichnung ist nämlich „Beck“, im mittelalterlichen Deutsch „becke“, älter „peccho“. Aus dem 12. Jahrhundert liegt der Beleg „brôtbecko“ vor. Erst in jüngerer Zeit wurde im nördlichen Deutschland zum Verb „backen“ das Wort „Bäcker“ gebildet, analog zu „Maler, Binder“ usw. (zu: malen, (Fässer) binden). Im Süden blieb für den Erzeuger von Brot neben „Beck“ noch lange das Wort „Pfister“ in Gebrauch, ein Lehnwort aus dem Lateinischen (pistor). Die Familiennamen Beck, Boeck, Pöck, Bekh, Boeckh usw. (insbesondere die Schreibungen mit ö, oe) weisen auf geschlossenen e-Laut hin (Primärumlaut) und zeigen, dass früher kein „ä“ vorlag. Die Form „Bäck“ stellt eine Annäherung an „Bäcker“ dar, ist aber eigentlich falsch. Die Bäckersfrau ist die„Beckin“. Viele Leute wissen das „Beckenbrot“ höher zu schätzen als das aus einer Fabrik kommende.

Die Frage stellte Friedl Leitner.

Für einen norddeutschen Urlauber in Bayern kann es oft schwierig sein, mit den Einheimischen zu kommunizieren. Aber woran liegt es, dass Bairisch so schwer zu verstehen ist? Einige Antworten, Fakten und Kuriositäten liefert unsere Bilderstrecke mit Informationen zum Bairischen Dialekt.

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Alle Artikel von Dialektforscher Ludwig Zehetner finden Sie hier.