Konzert
Sido: Hände nach oben für den Maskenmann

Der Rapper performt in Regensburg zeitweise wie ein Popstar. Doch eines betont er häufig: Das hier ist eine Hip-Hop-Show.

13.11.2015 | Stand 16.09.2023, 6:53 Uhr
Bernhard Heckler
Berliner Bär auf der Kappe, angegrauter Vollbart, obligatorische Sonnenbrille: Rapper Sido bei seinem Konzert in der Regensburger Donau-Arena. −Foto: Jens Niering

Kurz vor Schluss kommt Sido nochmal zurück auf die Bühne der Regensburger Donau-Arena und spielt seinen größten Hit: „Und das ist nicht der Arschficksong!“ Keine Prahlerei mehr mit Liedern auf dem Index, neue Vorbildrolle, kein Bedarf mehr an Provokation mit der Brechstange. Der Rapper ist erwachsen geworden. Oder?

Ein Indiz: Sido, mittlerweile mit leicht angegrautem Vollbart schon phänotypisch gütig und väterlich wirkend, schlüpft heute Abend in die Rolle des Mentors. MitAdesseundEstikayperformt der Rapstar mit gleich zwei jungen, noch weitgehend unbekannten Nachwuchskünstlern vor den geschätzt 3000 Besuchern. Er stellt beide ausführlich und einzeln vor.

Außerdem noch mit dabei: Die Rapper B-Tight und MoTrip sowie Produzenten- und Turntable-Legende DJ Desue. Wenn alle zusammen auf der Bühne stehen, entsteht der Eindruck eines Hip-Hop-Klassentreffens. Sido ist gut gelaunt, er bewegt sich agil –trotz gerissenen Kreuzbands.Und er erinnert sein Publikum immer wieder: Das hier ist eine Hip-Hop-Show.

Also Hände nach oben für den Maskenmann. Auch wenn seine Songs mittlerweile auch im Nachmittagsprogramm von Bayern 3 laufen. Auf den Rängen ist es Sido zu leise, nicht genug Hände in der Luft: „Die auf den Rängen haben’s sich schön gemütlich gemacht“, ruft der Maskenmann, „aber so richtig Bock haben sie wohl nicht!“

Ein Besucher auf den Rängen hat einen neongelben Pulli an. „Mach’s dir ruhig schön gemütlich auf dem Rang in deinem neongelben Pulli!“ Scheinwerferlicht auf den neongelben Pulli. „Ja, dich meine ich!“ Die Menge johlt und sie ist gewarnt: Das hier ist eine Hip-Hop-Show. Hände in die Luft oder du kannst nach Hause gehen.

Ein Konzert wie eine Zeitreise

Musikalisch ist das Konzert eine Zeitreise: Von der Vergangenheit im Märkischen Viertel („Mein Block“) in die Gegenwart der Bayern-3-Charts („Astronaut“) und wieder zurück („Fuffies im Club“). Sido rappt energiegeladen, unterstützt von zwei DJs, Backup-Vocals, zeitweise Gitarre und Flügel.

Alteingesessene Fans, zu erkennen an Basecap und Hoodie, kommen bei alten Songs wie „Mein Testament“ und „Strassenjunge“ auf ihre Kosten. Neu dazugekommene Anhänger sind auch schnell zu erkennen: An der Textsicherheit bei Songs wie „Astronaut“ und „Liebe“ und am Alter: Geschätzt Mittelstufe, Oberlippenflaum, mit Mama beim Konzert. Siggismallz, wie Sido auf Twitter heißt, hat 1,27 Millionen Follower. Er ist ein deutscher Rap-Superstar, etabliert im Mainstream der Popkultur. Er tritt als Juror in Talentshows im Fernsehen auf und füllt Arenen.

Die so generierte Bandbreite an Fans, die heute in der Donau-Arena die Hände in die Luft reckt, bekommt eine hochprofessionelle Licht- und Videoshow geboten. Zeitweise ist es ein richtiges Popkonzert mit einfühlsam gesungenen Hooklines und einstudierter Performance. Zwischendrin wird sogar eine politische Parole eingeblendet: „Refugees welcome“. Der Familienvater Sido hat sich längst von Maske und Provokation emanzipiert.

Doch es ist und bleibt eine Hip-Hop-Show – der Rapper will es so. Sein selbst angekündigter „größter Hit“, „Bilder im Kopf“, klingt aus. Sido verschwindet von der Bühne. Und etwas Verblüffendes passiert. Ein Stimmenchor von Menschen, bestehend aus Basecapträgern, Mittelstuflern, Mamas und Papas erhebt sich und skandiert: „Zu-ga-be, Zu-ga-be!“ Und dann: „Arsch-Fick-Song, Arsch-Fick-Song!“

Es ertönt: „Dat-da-da-da-daaaaa-da“

Dann taucht die Lichtmaschine die Donau-Arena in tiefes Rot, und es ertönt die berühmte Melodie:„Dat-da-da-da-daaaaa-da“. Gelöste Basecap-Gesichter im Publikum scheinen zu sagen: Der Mann hat nicht vergessen, wo er herkommt. Trotzdem ist es ein nostalgisches, fast trotziges „Dat-da-da-da-daaaaa-da“. Um der guten alten Zeiten willen, und weil es immer noch eine Hip-Hop-Show ist.

Der Popstar Sido braucht den Arschficksong eigentlich nicht mehr. Aber der Junge aus demMärkischen Viertel in Berlinwill ihn noch nicht so recht loslassen. Denn wie heißt es doch in dem Song „Zu Strasse“: „Ich merk es immer wieder: Ich bin zu nett für das Ghetto und zu Ghetto für die Spießer“.

Danke Regensburg !!! Heute Stuttgart !!! #SidoLive2015

Ein von @shawnstein gepostetes Foto am