Wirtschaft
So funktionieren die Jura-Werkstätten

Die Jura-Werkstätten sind mehr Unternehmen, als viele Menschen denken. Anderseits geben sie ihre besten Mitarbeiter gerne ab.

22.04.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr

Stolz präsentieren die Mitarbeiter der Schreinerei der Jurawerkstätten die übergroßen Monopoly-Häuser, die in den kommenden Monaten immer mal wieder an verschiedenen Orten für die Neumarkter Monopoly-Version werben sollen. Foto: Endlein

„Wir nageln nicht nur Dinge zusammen. Wir können mehr“, sagt Gerhard Hierl und schaut in die große Schreinerwerkstatt. Elf Mitarbeiter sind an Kreissägen und anderem Gerät damit beschäftigt, Holz in vielerlei Gestalt zu verarbeiten. Von der Palette bis hin zu hochwertigen Gartenmöbeln reiche das Angebot, erklärt Hierl, der Abteilungsleiter Fertigung in den Jura-Werkstätten der Lebenshilfe ist. Die elf Mitarbeiter, die von zwei Schreinern angeleitet werden, sind Menschen mit Behinderung und/oder psychischen Erkrankungen.

Wie weitere rund 270 Menschen, die an vier Standorten in Neumarkt in acht verschiedenen Bereichen diverse Leistungen anbieten. Die Reinigungstruppe legt beispielsweise im Finanzamt ihre säubernden Hände an, in der Druckerei werden Aufträge wie etwa das Bedrucken von Maßstäben erledigt, die Küche bietet ihren Cateringservice an und in der Oberflächentechnik erhalten Maschinenteile eine Pulverbeschichtung.

„Wir haben keinen Bonus“

In der Schreinerei stapeln sich derweil die jüngsten Produkte. Es sind grüne und rote Häuschen, die an Monopoly erinnern. Das sollen sie auch, denn sie werden bald an diversen Orten in Neumarkt zu sehen sein. Meist unkommentiert, wie Christian Eisner von Aktives Neumarkt erklärt. Dadurch sollen die Menschen neugierig auf die Neumarkter Monopoly-Version gemacht werden, die vor kurzem vorgestellt wurde (wir berichteten).

Wie Sie bei der Monopoly-Aktion der MZ mitmachen und gewinnen können, lesen Sie hier:

Auch für kleinere Aufträge und Ideen sind die Jura-Werkstätten also zu haben und flexibel genug, sie umzusetzen. Was zur Eingangsäußerung von Hierl zurückführt und mitunter vorhandenen Vorurteilen über das, was in den Werkstätten vor sich geht. „Das hat hier nichts mit Basteln zu tun. Wir müssen Qualität liefern wie andere Zulieferer auch“, sagt Hierl und Sebastian Schauer, Leiter der Werkstätten, betont: „Wir haben keinen Bonus“.

Das ist auf den Wettbewerb um Aufträge gemünzt, in dem auch die Jura-Werkstätten stehen. Die großen einträglichen Aufträge kommen meist von regionalen Unternehmen, zu denen sich übrigens auch die Jura-Werkstätten zählen. Als Produktions- und Dienstleistungsunternehmen bezeichnet man sich selbst.

Und wie es sich bei Unternehmen gehört, will man Geld verdienen. „Die Jura-Werkstätten haben neben einem pädagogischen auch einen wirtschaftlichen Auftrag“, sagt Schauer. Das operative Geschäft müsse sich aus den Einnahmen tragen. Die betreuenden Mitarbeiter zahlt aber der Bezirk wie auch anderes in der sehr komplexen Welt des Sozialsystems.

Das Ziel: Mitarbeiter vermitteln

Ein normales Unternehmen sind die Jura-Werkstätten daher nicht. Welches Unternehmen würde schon daran arbeiten, seine besten Mitarbeiter herzugeben? Doch genau das ist auch ein Ziel der Werkstätten. Sie wollen ihre Mitarbeiter in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln (siehe Interview).

Ein erster Schritt können dabei sogenannte Außenarbeitsplätze sein. Unter anderem arbeitet derzeit eine ganze Gruppe bei Bionorica in der Verpackungsabteilung. „Zwar wäre eine Arbeit im Umfeld der freien Wirtschaft nicht für jeden unserer Mitarbeiter sinnvoll, dennoch hoffen wir auf weitere derartige Arbeitsplätze in der Region Neumarkt“, sagt dazu Dr. Wilhelm Baur, Vorsitzender der Lebenshilfe.

Die Zahl derer, die den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt komplett schaffen, und eine „normale“ Arbeitsstelle bekommen, schätzt Schauer auf ein bis zwei im Jahr. Auf dem Weg dorthin bieten die Jura-Werkstätten an, Menschen mit Behinderung und auch Unternehmen bei der Integration zu begleiten und zu beraten.

Ein Interview mit Sybille Sinzger von der Arbeitsagentur Regensburg über die Integration von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt lesen Sie hier:

Wie sind die Chancen, Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen?

Sinkende Geburtenraten und hoher Bedarf an Fachkräften stellen Arbeitgeber vor neue Herausforderungen bei der Bewerberauswahl. Deshalb gewinnen Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung an Bedeutung. Die Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen ist zuletzt kontinuierlich angestiegen. Arbeitgeber, die bereits Menschen mit Behinderung beschäftigen, schätzen deren hohe Motivation und Leistungsbereitschaft. Hinzu kommt, dass viele Behinderungen keine Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der betroffenen Personen haben.

Und wie sieht es im Speziellen bei Menschen aus Einrichtungen wie den Jura-Werkstätten aus?

Eine Werkstatt für behinderte Menschen ist – auch wenn das manchmal die Befürchtung von Betroffenen ist – keine Sackgasse. Klar ist aber auch, dass es nie alle Werkstattmitarbeiter auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen werden. Es hängt von der Art oder Schwere der Behinderung ab. Jeder Einzelfall wird individuell betrachtet und entsprechend gehandelt. Dabei gibt es viele Möglichkeiten der staatlichen Förderung, die Menschen mit Behinderung und Arbeitgeber bei der Integration unterstützen.

Wie steht es generell um die Bereitschaft von Firmen, Menschen aus Werkstätten anzustellen?

Unternehmen sehen eine soziale Verantwortung, behinderte Menschen zu beschäftigen. Es gibt aber auch Bedenken. Vermeintliche Hindernisse lassen sich aber meist ausräumen.

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