Mordprozess
Staatsanwältin fordert lebenslänglich

Der Angeklagte Neumarkter habe seinen Schwiegervater und Schwager gezielt getötet – und seine angebliche Notwehrsituation nur inszeniert.

28.01.2014 | Stand 16.09.2023, 7:13 Uhr

Der Vizepräsident des Landgerichts Nürnberg, Gerhard Neuhof (Mitte), führt den Mordprozess gegen den 44-jährigen Neumarkter.

„Der besondere Tag – eine Tragödie, inszeniert von dem Angeklagten.“ So müsste der Titel nach Angaben der Staatsanwältin Elisabeth Böhmer lauten, wenn die Tat vom 29. Januar 2013 verfilmt würde. „Oder: Mein Sohn gehört mir“. Für sie hat es die Beweisaufnahme klar bewiesen: Der 44-jährige Angeklagte hatte es geplant, seinen Schwager und seinen Schwiegervater zu töten. Dass er sich in Notwehr verteidigt habe und somit freizusprechen wäre, komme für sie nicht infrage, sagte Böhmer am sechsten Verhandlungstag vor dem Landgericht Nürnberg.

Die Staatsanwältin bezeichnete den Angeklagten als „dreisten Lügner“ und warf ihm in ihrem ’Plädoyer vor, er habe aus verletztem Stolz und verletzter Eitelkeit getötet. Damit sieht sie auch eine besondere Schwere der Schuld als erwiesen an.

In ihren Ausführungen legte Böhmer dar, weshalb ihr die Schilderungen des Angeklagten zum Tathergang unglaubwürdig erscheinen, verwies auf Widersprüche zwischen seinen Angaben und den Aussagen des Rechtsmediziners und des Blutspurengutachters. Letztlich komme sie zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zuerst den 65-jährigen Schwiegervater überrumpelt und niedergestochen, dann den unbewaffneten Schwager getötet und sich anschließend selbst Verletzungen zugefügt habe, um seine Version einer Notwehr zu belegen. Sie seien sein „Passierschein in die Freiheit“ gewesen. Die Aufzeichnung seines Notrufs bei der Polizei belege jedoch, dass er mehrfach zwischen Küche und Treppenhaus hin- und hergegangen sei - und vermutlich die Spuren entsprechend seiner Version gelegt habe.

„Feige und ohne jeden Anlass“ habe er Vater und Sohn aus dem Leben gerissen und deren Familie zerstört, sagte die Staatsanwältin. Er habe sich zum „Herrn über Leben und Tod“ erhoben und wollte beweisen, dass allein er die Macht habe zu bestimmen, wo seine Frau und sein Sohn wohnten, sagte Elisabeth Böhmer. Und in seinem Brief, den er mit den Worten „Ein besonderer Tag“ überschrieben habe und der ihrer Ansicht nach am Tattag verfasst wurde, habe er es sogar noch angekündigt, die Familie seiner Frau auszulöschen.

Anwalt: Täter stellt sich als Opfer dar

Rechtsanwalt Steffen Ufer, der die Opferfamilie vertritt, schloss sich den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Auch er forderte lebenslang und sieht den Tatbestand einer besonderen Schwere der Schuld als gegeben. Stellvertretend für die Familie der Getöteten richte er das Wort an den Angeklagten, sagte Ufer. „Was Sie geboten haben hier in dieser Verhandlung sprengt alles Vorstellbare.“

Für die Hinterbliebenen sei es unerträglich, dass sich der Angeklagte als Opfer darstelle, das in Notwehr sein Leben verteidigen musste. Denn so weise er die Schuld und die Aggressivität den getöteten Vater und Sohn zu. Dies sei eine „schulderhöhende Dreistigkeit“, sagte Ufer. Er gehe davon aus, dass der 44-Jährige die Tat geplant und dann „eiskalt“ umgesetzt habe. Das Pfefferspray, mit dem ihn angeblich der Schwiegervater gleich beim Betreten der Wohnung attackiert habe, habe der Angeklagte selbst mitgebracht und nach der Tat versprüht.

Auch der Münchner Jurist ging auf die Verletzungen des Angeklagten ein: Es sei unglaubwürdig, dass er in einer solch heftigen tätlichen Auseinandersetzung mit dem Beil nur „gestreichelt“ worden sei. Wenn der 26-jährige Schwager, der als groß, kräftig und sehr sportlich geschildert worden war, tatsächlich mit dem Küchenbeil auf ihn eingeschlagen hätte, müsste der Angeklagte knöcherne Verletzungen am Kopf haben. Doch dies sei nicht der Fall.

Der Angeklagte habe stets versucht, seine Interessen durchzusetzen, habe seine inzwischen geschiedene Frau behandelt wie eine Sklavin, sie verprügelt und erniedrigt, wann immer es ihm beliebt habe. Dafür sei auch der gemeinsame Sohn Zeuge, sagte Rechtsanwalt Ufer. Der Sohn, den der Angeklagte als sein Ein und Alles bezeichnet hatte, habe sogar vor Gericht aussagen wollen, um seinem Vater zu sagen, was er ihm und der Familie angetan habe. Doch dies habe er dem Jungen ersparen wollen, sagte Ufer.

Im Kosovo Interesse an dem Prozess

Wie auch die Staatsanwältin beschrieb der Anwalt die Opferfamilie, die wie der Angeklagte aus dem Kosovo stammt, als brav und gesetzestreu, sehr gut in Deutschland integriert. Der Vater sei angesehen und als friedliebend bekannt gewesen. Und er habe immer wieder betont, dass er sich in die Eheprobleme seiner Tochter nicht einmischen wolle. Heute müssten die Hinterbliebenen mit dem Trauma fertig werden. Im Zeugenstand hatten die vier Töchter und die Witwe berichtet, dass sie seit dem Blutbad in psychologischer Behandlung seien, kaum schlafen könnten, eine Tochter habe erst vor kurzem im fünften Monat ihr Baby verloren, was sie auf den anhaltenden Stress zurückführt. Im Kosovo habe der Fall für Aufsehen gesorgt. Sogar ein Journalist sei zum Prozess entsendet worden, um darüber zu berichten, sagte Ufer. Im Kosovo wolle man sehen, wie der deutsche Rechtsstaat mit einem Menschen umgehe, der die „mittelalterliche“ Methode der Selbstjustiz einsetze.

Und die Familie lebe weiter in Angst, sagte Steffen Ufer: Sie fürchte, dass der Angeklagte noch aus dem Gefängnis heraus Rächer anstiften könnte, ihnen etwas anzutun. Und auch die Staatsanwältin sagte: „Die Sache ist für den Angeklagten noch nicht beendet. Erst dann, wenn die Familie ausgelöscht ist.“

Anwalt: Im Zweifel für den Angeklagten

Die Verteidigung sah indes die Situation völlig anders: Da ihrem Mandanten aufgrund der Beweislage der zweifache Mord nicht eindeutig nachzuweisen sei, müsse die Regel „in dubio pro reo“ – also im Zweifel für den Angeklagten gelten. Und deshalb müsse ihr Mandant freigesprochen werden. Außerdem seien seine Angaben, er habe sich in Notwehr verteidigt und sich gegen lebensbedrohende Angriffe von Vater und Sohn gewehrt, nachvollziehbar. Die Staatsanwältin und der Anwalt der Nebenkläger hätten in ihren Ausführungen wichtige Fakten außer Acht gelassen und setzten zu sehr auf Emotionen, sagten Jan Paulsen und Jürgen Schwarz. „In diesem Prozess geht es nicht darum, wer das bessere Leben geführt hat. Ich hätte auch lieber mit Ihnen in einer Fußballmannschaft gespielt als mit meinem Mandanten – aber darum geht es nicht“, sagte Paulsen in Richtung der Familie der Getöteten.

In seinem Plädoyer wiederholte Paulsen, was er bereits bei seinem Antrag zur Aufhebung des Haftbefehls formuliert hatte - und führte die Argumente weiter aus. So habe die Spurenauswertung habe ergeben, dass der 65-jährige Vater das Pfefferspray in Händen gehalten habe - deshalb gehe er davon aus, dass der 65-Jährige seinen Mandanten noch im Flur damit in die Augen gesprüht habe. Der 26-jährige Schwager habe seinen Mandanten indes mit einem Küchenbeil geschlagen, so dass sich der 44-jährige Angeklagte habe verteidigen müssen, um sein Leben zu schützen.

Hat sich der Vater geopfert?

Auch die Tatsache, dass sein Mandant ein Messer zu dem Gespräch mit seinem Schwiegervater bei sich hatte, sei nicht als Mordabsicht zu interpretieren, erläuterte der Pflichtverteidiger aus Würzburg. „In vermeintlich brenzligen Situationen“ habe er dies schon früher gemacht – und bis auf einmal sei es noch nie zu einer Messerstecherei gekommen. Der Angeklagte habe es „vorsorglich“ mitgenommen, „in der Hoffnung, es werde nichts passieren“. Dass seine Angaben gegenüber Polizei und Ermittlungsrichter nicht eins zu eins mit den Ergebnissen der Spurensicherung übereinstimmen, dürfe ebenfalls nicht gegen seinen Mandanten verwendet werden, argumentierte Paulsen. Denn niemand könne sich nach so einem Geschehen noch an Details erinnern. Vielleicht habe sich der Schwiegervater opfern wollen, um das Problem mit dem Schwiegersohn ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.

„Es sind zwei Tathergänge möglich“, fasste es der Neumarkter Verteidiger Jürgen Schwarz zusammen. Entweder hat der Angeklagte Schwiegervater und Schwager überrumpelt und gezielt getötet, um sich für die Trennung seiner Frau zu rächen. Oder Vater und Sohn hätten sich zusammengetan, um die Probleme mit dem unliebsamen Schwiegersohn zu beenden. Für beide Thesen gebe es Hinweise, aber keine endgültigen Beweise. Gleichzeitig gebe es Zweifel an den Schilderungen der Staatsanwältin, sagte Schwarz: Wenn der Angeklagte die beiden Männer hätte töten wollen, warum habe er dies nicht gleich im Flur gemacht, sondern sich erst mit ihnen in die Küche begeben? Zudem habe der Beschuldigte selbst gravierende Verletzungen erlitten, habe genäht werden müssen und auf der Intensivstation gelegen. Deshalb sei es unglaubwürdig, dass er sich diese Schnitte selbst zugefügt habe, nur um eine Notwehrsituation zu inszenieren.

Jetzt ist es an dem fünfköpfigen Richterteam unter Vorsitz von Gerhard Neuhof, die Argumente abzuwägen und ein Urteil zu fällen. Freispruch oder lebenslänglich? Das Urteil war für Donnerstag angekündigt. Jedoch könnten auch weitere Zeugen gehört werden, denn die Verteidigung hat sechs Hilfsbeweisanträge gestellt. Ob diese zugelassen werden, entscheidet ebenfalls das Gericht.