Lebensstil
„Wilde Nackerte sind affig“

So schön kann der Sommer sein. Toni Koch (69) genießt ihn am liebsten so, wie Gott ihn geschaffen hat – sauber und im Schutz von Strohmatten.

17.08.2012 | Stand 16.09.2023, 7:27 Uhr
Helmut Wanner

Toni Koch vorm 16 Meter langen Naturisten-Schwimmbecken im Lehmhöfler-Holz. Der Sonnlandbund-Chef macht hier 90 Bahnen nackt. In seiner Dienstzeit war er keinen Tag krank. Foto: Wanner

Gut, dass Koch den grünen Offroader hat. Zu Regensburgs nacktem Platz muss man erst die Baustelle der Ostumgehung von Regensburg passieren und fährt dann über einen geschotterten Feldweg. Zwischen hohen Maisfeldern schaukelt der Mercedes-Geländewagen zur Linie der hohen Föhren, die den Platz wie Polizisten bewachen.

Aber was ist das? Vom Rückspiegel baumelt ein weißer Rosenkranz. Die Christophorus-Medaille und ein Messingkreuz kleben an der Konsole. Regensburgs oberster Nudist ist verheiratet, Vater von drei Kindern und Mitglied des Pfarrgemeinderats Harting. Die Nackerten im Englischen Garten findet er „affig“. Koch mag kein Durcheinander. Nacktsein ist für ihn auf den geschützten Bereich beschränkt unter Gleichgesinnten.

Die Welt hat sich ausgeschämt

„Wir haben es nicht verbreitet, dass wir dabei sind“, sagt Koch über seine Anfangszeit beim Sonnlandbund, heute vor 35 Jahren. In der Familiensauna bei Burger sei er angesprochen worden. „Die Leute waren alle ausgesprochen nett.“ Es war nicht leicht für einen, der in Obertraubling noch lateinisch ministriert hat. Der Beichtspiegel unterschied zwischen „unschamhaft“ und „unkeusch“ und fragte auch nach dem „wie oft“. Anton Koch hat sogar seinen Pfarrer interviewt, ob es Sünde sei. Der gab Grünes Licht: „Solange dabei keine sexuellen Gelüste entstehen, kann das nicht falsch sein.“

Die Welt hat sich ausgeschämt. 2012 finden die Nackten keine Gegner mehr. Nicht einmal der Frauenbund muckt auf, wenn Sonntags in Haslbach an einem Ständer die FKK-Fahne weht. In Deutschland gibt’s sieben Millionen bekennende Nacktbader, aber nur noch 45 000 tun dies in den Vereinen der Freikörperkultur. Wo alle Welt vor laufenden Kameras nackert demonstriert, über Fußballplätze flitzt und sich in den Schritt greift, kann Anton Koch nur lachen über die empörten „WOCHE“-Schlagzeilen in den 80ern und die selbst ernannte Sittenpolizei, die vor 32 Jahren Sturm lief gegen „die Nackerten der Konradsiedlung“. Man wollte sogar einen Waldfriedhof aus dem Lehmhöfler-Holz machen, um das Projekt zu verhindern. Jetzt ist auch so Friede: Den langen Sichtschutz aus Strohmatten könnten sich die Sonnenanbeter heute eigentlich sparen. Kein Schwein kommt mehr gucken. „Früher sind die Jugendlichen nachts über den Zaun gehüpft, um zu sehen, was hier gespielt wird“, erinnert sich Koch. Einer dieser Jugendlichen ist heute Mitglied im Sonnlandbund.

Finanzbeamter, Gewerkschafter, Katholik und Nudist: Der Vorsitzende des Sonnlandbundes vereinigt in sich vieles, was sich früher eigentlich gegenseitig ausgeschlossen hätte. Vor allem ist er Sportler. Welchen Sport er eigentlich nicht treibe? Da muss er nachdenken. „Beim Lagenschwimmen lass ich jetzt den Schmetterling aus. Der ist mir zu anstrengend.“ Den Morgen beginnt er mit 20 Minuten Rückengymnastik, dann kommen die fünf Tibeter. Er fährt seit 1997 mit beim Arberradmarathon. Dieses Jahr hat er sein 40. Sportabzeichen in Gold erhalten. Der Rücksitz ist belegt mit dem Golfer-Bag. Durch die Frontscheibe sieht man auf dem Beifahrersitz das Spitzerl des Surfbrettes. Koch war einer der ersten Surfer am Guggi. Das erste Brett kaufte der Beachboy 1976. Am Sonntag fährt er damit zu seinem angestammten Naturistenstrand „Solaris“ bei Porec.

Die Umkleide heißt hier Auskleide

Seit 35 Jahren Kroatien. Vorher schaut er noch auf dem Regensburger FKK-Gelände vorbei, das heute 125 Vereinsmitglieder aus Regensburg und der Oberpfalz nutzen. Als er 1996 den Vorsitz übernahm, waren es 145. Es gibt noch fünf junge Familien im Verein. Das älteste Mitglied ist 87, das jüngste ein Jahr alt. Das Areal ist ideal für kleine Kinder. Sie können frei herumlaufen. Seit Tschernobyl ist sogar der Sandkasten überdacht.

Hier in Haslbach schwimmt Koch im Sommer täglich seine 90 Bahnen, 1500 Meter nackte Lagen. Zwar ist es richtig, dass man bei den Naturisten nicht wegen seiner Figur angeschaut wird. Nackt bemüht man sich automatisch. Man wird körperbewusster.

Eine „Umkleide“ sucht man auf dem Naturistengelände des Sonnlandbundes am Lehmhöfler-Holz vergebens. Es gibt eine „Auskleide“ hier und die ist beim Vereinsheim links rum. Ohne Kleider sind alle gleich: Der Lehrer, der Rechtsanwalt, der Kfz-Meister bewegen sich bei Petanque, Boccia, Volleyball so wie sie auf die Welt gekommen sind – also nackt. Und einem Nackten kennt man es bekanntlich nicht an, was er ist und tut und treibt.

Der erste Vorsitzende des Sonnlandbunds war der Omnibusfahrer Oskar Badenberger. Dann führte die Vereinigung der Naturisten der Philosoph im gymnasialen Schuldienst, Friedrich Haas, Pädagoge am Goethe-Gymnasium. Seit 1996 hält Toni Koch die blaue Sonnlandbundfahne hoch – eine unbekleidete Frau in einem Dreieck, umstrahlt von der Sonne.

Die hält sich an diesem Freitagmorgen noch schamhaft zurück auf dem FKK-Gelände. Toni Koch versucht als Vorsitzender der Naturisten das Wort FKK zu vermeiden, seit sich die Porno-Industrie des Begriffs bemächtigt hat. Das, was das Vorurteil früher an Unkeuschheiten vermutete, ist bei Anhängern der Freikörperkultur selbst beim schlechtesten Willen nicht zu entdecken. Es ist eher anders herum. Koch erinnert sich an ein Aha-Erlebnis beim Urlaub auf Sylt. „Im Textilbereich in den Dünen war Sodom und Gomorrha. Im abgegrenzten FKK-Bereich gab es sowas nicht.“ Die Badehose finden die Naturisten im übrigen nur deswegen für unanständig, weil sie gleichsam wie mit einem Zeigefinger auf die Geschlechtlichkeit zeigt.

„Ich kenne keine Erkältung“

Freikörperkultur hat etwas mit körperlicher und seelischer Gesundheit zu tun. Sie entstand im 19. Jahrhundert als Lebensreformbewegung. „Lichtbäder“ und Nacktheit galten als Gegenmittel gegen die Degeneration der Menschen infolge der Zivilisation. Koch hat die Segnungen der Nacktheit in der Natur am eigenen Leibe erfahren. „Ich kenne keine Erkältung.“ In seinem gesamten Arbeitsleben war er keinen halben Tag krankgeschrieben, für den einen Unfall konnte er nichts.