MZ-Kulturkantine
Willy Astor – der mit dem Wort tanzt

Fast 15 Jahre nach seinem ersten Gastspiel als ernsthafter Liedermacher erscheint das neue Album des Sängers und Komödianten.

22.02.2017 | Stand 16.09.2023, 6:34 Uhr
Mario Kunzendorf
Als Liedermacher neigt er mehr zum augenzwinkernden Humor denn zum Kalauern: Willy Astor. −Foto: Kunzendorf

Liebeslieder sind gefährlich. Sachte angefangen versinken sie oft binnen weniger Takte in peinlichem Schmalz. Oder wie Willy Astor sagt: „Bei einem gefühlvollen Lied bist du ganz schnell bei Andrea Berg – und da wollte ich überhaupt nicht hin.“

Umso erstaunlicher, dass er sich bei all seinen Erfolgen als Komödiant dann doch nochmal auf dieses Wagnis einlässt, fast 15 Jahre nach seinem ersten Gastspiel im Genre der ernsthaften Liedermacher mit der CD „Leuchtende Tage“. Sein neues Album mit Liebesliedern und nachdenklichen Stücken betitelt Willy Astor „Chance Songs“ (gesprochen: Chansons).

Lieder über den Wohlstandsmüll

Zwei Lieder vor allem motivierten den 55-jährigen Münchener, ein Liedermacher-Programm zu erarbeiten, beide gesellschaftskritisch. „Rundumirum fliagt de Welt aussanand / und mir beschwern uns do im Schlaraffenland“, singt er in „Insel der Glückseligkeit“, während er in „Einfach sein“ daran erinnert, dass sich Wohlstandsmüll im Hauskeller wie im Hirn sammelt, so lange, bis der Blick fürs Wesentliche verstellt ist – „wir fliegen zum Mars so, als ob sich das lohnt / Und leben ein Leben hinterm Mond“. Als Weckruf sei das gedacht, sagt Astor im MZ-Gespräch: „Ich bin und will nicht der Prophet sein. Aber für jeden gilt:Wach auf und wirf dein Leben nicht weg.“

Nein, das „Schlager-Tattoo“, das er so fürchtet, bekommt Astor für solche Inhalte gewiss nicht gestochen, auch wenn seine in Reime gefassten Lebenserkenntnisse seit Ovid schon von vielen bedacht und besungen wurden. Musikalisch bewegt er sich mit seinen hervorragenden Begleitern Nick Flade (Piano), Titus Vollmer (Gitarre), Christian Diener (Bass) und Peter Kraus (Schlagzeug) ohnehin fern des Schunkelkitsches, eher in mittlerem Tempo in Richtung Kammermusik mit (wie immer bei Astor) sofort eingängigen Melodien in leichtfüßigen, luftigen Arrangements.

CD mit namhaften Gastmusikern

Auf dem Album „Chance Songs“ finden sich außerdem eine Reihe namhafter Gastmusiker wieder: Ein Solo singt Andreas Kümmert, im Duett mit Willy Astor hört man Claudia Koreck, vom „Ganes“-Trio spielt Maria Moling mit.

Indes, andere „Tattoos“ hat Willy Astor ja, zuvorderst das des Wortakrobaten, der einst den „Schatz im Silbensee“ barg und sich seitdem in seinem „Astorbehälter“ (Kopf) Raucher- oder Automärchen und Literatur- oder Länderspiele ausdenkt. Das muss man nicht für Hochkultur halten, lustig ist es gerne und das Kreieren mutmaßlich eine Schweinearbeit. Bildlich kann man sich hier noch den endlos feilenden Werkzeugmacher Willy vorstellen, der in den 70er Jahren bei BMW gelernt hat. Als Liedermacher jedoch neigt Astor mehr zum augenzwinkernden Humor denn zum Kalauern.

Tatsächlich war Willy Astor von Beginn an vielschichtiger. Gut, das Akkordeonspiel, das hat er bald aufgegeben. Aber dass seine Kumpels damals am Isarufer mit ihren Gitarren die Mädchen lockten, während ihn samt seiner Quetsche nur „Rentner aus dem Schrebergarten“ umringten, das konnte so nicht bleiben.

Also lernte Willy Astor an der Volkshochschule Gitarre spielen. Und wie: Inzwischen gibt es von seinen Instrumentalkompositionen „The Sound Of Islands“ fünf Alben plus „Ritterschlag“ durch das BR-Rundfunkorchester, das mit ihm konzertierte.

Ihn als banalen Blödler abzutun, wäre bei Astor als Komödiant ebenfalls zu kurz gegriffen: Ob mit „Donnersberger Brück’n“, „Bayern is überoi“ oder „Herr Pfarrer, Sie a Frage“ meldete sich Astor bereits zu Karrierebeginn deutlich, teils deftig zeit-, politik- und kirchenkritisch.

Einen Dieter Hildebrandt macht das nicht aus ihm. Er reibt sich allerdings auch nicht ständig an seiner Mitwelt, sondern sucht wie in seiner Musik die Harmonie. „Meinen Kindern sage ich: Seid nicht mitleidig, sondern mitfühlend.“

Jeden Tag bewusst leben

Mit seiner Frau und zwei kleinen Söhnen (eine Tochter ist bereits erwachsen) hat der Hasenbergler jüngst das teure München in Richtung südliches Umland verlassen. Und versucht dort, jeden Tag des Lebens bewusst wahrzunehmen, denn „bisher hat mir noch niemand beweisen können, dass es eine zweite Gelegenheit gibt“.

Dass einem Radikale aller Art bereits die erste Chance erschweren, weiß Astor. Aber „ich bin kein Schwarzseher. Ich hoffe, dass es noch so viele gescheite Geister gibt, dass wir das alles erhalten können“. Astor trägt derweil seinen musikalischen Teil für den Frieden in der Welt bei: Bald fährt er mit Gitarrist Titus Vollmer nach Andalusien, um das nächste „The Sound Of Islands“-Album zu komponieren, das noch 2017 erscheinen soll.

Warum er sich das alles überhaupt noch antut? Eine stete „Sehnsucht, sich zu entwickeln“ treibe ihn an, sagt Willy Astor, „für mich hört das Lernen nie auf“. Da gehören Rückschläge sicher auch dazu. Seine erste Freundin fand Astor zwar erst mit 20 Jahren, dafür war sie wenige Wochen später auch schon wieder weg zu einem anderen. Seit damals weiß er, dass neben Liebesliedern noch etwas gefährlich nah am Scheitern sein kann: reale Liebe. Immer und so oder so, denn: „Liebe ist unabhängig von der Gehaltsklasse.“

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