Porträt
Zum Paradies geht‘s hier lang

Der Schriftsteller, Maler und Illustrator Janosch wird 80. Er machte Faulpelze und Lügenbarone zu Helden der Kinderzimmer

08.03.2016 | Stand 16.09.2023, 6:55 Uhr
Claudia Bockholt

Der Frosch lässt sich die Sonne auf den grünen Bauch scheinen. So wie Janosch in seiner Hängematte auf Teneriffa. Foto: Beltz und Gelberg

In den Himmel gucken ist schön. Man guckt nur so und kneift die Augen zusammen. Dann sieht man fluffige Wattewölkchen, silbern blitzende Punkte und Kondensstreifen. Und wenn man sehr entspannt und heiter gestimmt ist, sagt man mit knurriger Stimme: „Und da kommt Großwildjäger Plümm Pelski in seiner Super-8-Trudelmaschine“. Und der Mensch neben einem grinst, obwohl er gar nicht mehr klein ist. Ein Satz aus der „Traumstunde für Siebenschläfer“ bringt für einen Hastdunichtgesehen-Moment das warme Gefühl vergangener Vorlesestunden zurück.

In ein paar Tagen wird ein bedeutender Mann mit großem Schnurrbart 80 Jahre alt. Der Mann, der die Tigerente ins Rollen gebracht und die Allgemeinmedizin um die Diagnose „Streifen verrutscht!“ bereichert hat. Wie man hört, liegt er gerade in seiner Hängematte auf Teneriffa und will seine Ruhe haben. Soll er nur. Er hat sein Paradies gefunden. Das heißt nicht Teneriffa und auch in Janoschs bekanntestem Buch nur zufällig Panama. Es könnte auch Honolulu heißen oder Eisenhüttenstadt. Denn das Paradies, sagt Janosch, muss man nicht irgendwo außen suchen. „Das Paradies ist ein Zustand.“

Der kleine polnische Wahnsinn

Das hat natürlich jeder kapiert, der „Oh, wie schön ist Panama“ gelesen hat –- oder die DVD geguckt, das PC-Spiel gespielt, das Theaterstück besucht, im Musical mitgesungen. Janosch, der grau verwuschelte Tagträumer und jeden ungesunden Menschenverstand verweigernde Revoluzzer, ist tief in unsere Gesellschaft eingedrungen – und weit tiefer noch in unsere Warenwelt: Schnuddel, Frosch, Kasper Mütze und den Hasen mit den schnellen Schuhen gibt es auf Tassen, Eierbechern, Federmäppchen, Fahrrädern, Biotees, als App, als Plusbrief der Post...

Stinkreich müsste Janosch sein und an jeder Zehe dicke Brillantringe tragen. Tut er aber nicht. Er habe vor langer Zeit ganz und gar sittenwidrige Verträge unterschrieben, sagt er. Nur sechs Prozent der ihm zustehenden Honorare kämen bei ihm an. Viele Jahre habe er gegen korrupte Verleger gekämpft und selten Erfolg gehabt. Arm ist er aber nicht, und er braucht auch nicht viel zum Leben. Ein Stück Brot kann schon Glück sein, sagt Janosch. Und ein Glas Wein oder zwei, genau so viel, dass man die Schmetterlinge tanzen sieht. Nicht mehr und nicht weniger.

„Man kann auf dieser Welt nur leben, wenn man sie zu seiner Geliebten macht. Sie mit ihren ungeheuerlichen Wundern und Grausamkeiten annimmt und zwischen beiden das Gleichgewicht findet“, sagt der alte Mann Karl in Janoschs Roman „Sandstrand“. Dort, wo Janosch herkommt, haben die Menschen besondere Strategien entwickelt. Man erträgt das alles mit sehr viel Wodka und „diesem kleinen polnischen Wahnsinn, diesem infernalischen Lachen gegen die Sinnlosigkeit“.

Da haben wir’s: Janosch ist kein Grinsekönig, kein Habt-Euch-doll-lieb-Geschichtenerzähler. Er ist sich gar nicht mal sicher, ob Kinder seine Geschichten überhaupt kapieren. Müssen sie auch nicht. Man muss nicht alles wissen, und alles glauben darf man sowieso nicht. Na, jedenfalls ist Janosch ein echter Künstler und kein Plüschtier-Pinsler für Merchandising-Strategen. Janosch hat schlaue Romane und Theaterstücke für Erwachsene geschrieben. Nur kennt die kaum einer und die Tigerente jeder.

Janoschs wahren Namen kennen auch nur Wenige. Das freundliche Kürzel Janosch hat ihm sein erster Verleger in den 50er Jahren verpasst. Und Horst Eckert, geboren 1931 im oberschlesischen Hindenburg, hatte nichts dagegen. Sein Vater, ein Säufer, Kinderverprügler und ganz kurz auch SA-Mann, hatte ihn schließlich nach dem Nazi Horst Wessel benannt. Eine Schweinerei, ganz klar.

Eine endlose Reise durch die Angst

Janosch arbeitete als Schmied, als Schlosser, dann als Musterzeichner in einer Textilfabrik. Sein Kunststudium in München brach er ab, weil man ihm dort mangelnde Begabung bescheinigte. Schluss. Aus. Sense? Keineswegs. Janosch schlug sich trotzdem als Freischaffender durch. Seine ersten Bücher wollte keiner lesen. Doch in den 70er Jahren wurde er bekannt, und in den 80er Jahren dann fast berühmt. Plötzlich wollten alle eine Nachziehente haben. Tiger und Bär wurden nach allen Regeln der Kunst vermarktet.

Kinderbücher will Janosch, jetzt wo er ein alter Mann ist, angeblich gar nicht mehr schreiben. „Damals drängte es mich auf die Flughäfen, hinaus in die Welt. Dazu brauchte ich Geld. Heute drängt es mich in die Hängematte. Richtung geändert.“ Statt der „scheiß Tigerente“, die er längst für Kitsch hält, male er lieber „Pornos“. Ein herbes und – na sicher – ironisches Wort für Janoschs Farbradierungen und Aquarelle, die allerhand (Geschlechts-)Akte zeigen. Rosige Frauenkörper mit blanken Busen, manchmal in den Händen von Bären, Bärtigen, Turnern und anderen starken Männern.

Kauzige Fantasien, denen der alte Janosch sich gerne hingibt, weil sie Horst Eckert streng verboten waren. Er war Mitglied in einer jesuitischen Jugendgruppe. Katholische Geistliche predigten ihm von Keuschheit, Sünde und Höllenfeuern. Der kleine Horst fürchtete nun nicht nur den besoffenen Vater, der ihn abwechselnd grün und blau schlug und dann wieder mit Schokolade vollstopfte, bis er kotzte. Und die Schläge der Mutter, die ihm die Liebe verwehrte, die das Leben auch ihr verweigert hatte. Nun fürchtete er auch noch den pferdefüßigen Teufel und glaubte, ihn im Winkel seiner dunklen Kammer schwefelig schnaufen zu hören.

Der Mensch ist eine Sau.Janosch

Die katholische Kirche hasst und verachtet Janosch noch heute mit Inbrunst. In einem jüngeren Fernsehinterview erzählte er von einem Priester, der mit den etwas älteren Freunden aus seiner Jugendgruppe „zum Nacktbaden“ ging – und den Missbrauchsopfern anschließend die Absolution erteilte. Die Kirche ist in Janoschs Bildern eine grausame Macht: Der Pfarrer treibt dem Täufling ein Kreuz durch die Brust und er nagelt die Hände des Brautpaares auf dem Altar zusammen. Und Küster und Kirchgänger weisen in der Weihnachtsgeschichte „Der alte Mann und der Bär“ hungernden und frierenden Tieren die Tür: „Bären und Vögel haben hier nichts zu suchen“.

Stoiber warnte vor dem „falschen Propheten“

Edmund Stoiber, damals noch Ministerpräsident, warnte im Juni 2007 vor Janosch. Er sei ein „falscher Prophet“ und habe in deutschen Kinderzimmern nichts verloren. Wie man weiß, nahm man den recht gläubigen Holperredner zu dieser Zeit nicht mehr recht ernst. Jedenfalls rückte kein Sondereinsatzkommando aus, um in der Republik ketzerische Kastenfrösche sicherzustellen.

Das Subversive in Janoschs Geschichten rührt von seinem lebenslangen Zorn auf Autoritäten. Man hat ihm einiges zugefügt, und für ihn steht fest: „Der Mensch ist eine Sau“.

Die Gattung Mensch ist völlig missraten, findet Janosch. Sie führt Kriege und zerstört den Planeten. Nur einzelne Menschen kann man lieben. Deshalb hat er Tiere zu seinen Helden gemacht. Und ein paar seltene, erleuchtete menschliche Wesen.

Die Welt von Tiger, Bär, Popov und Schnuffel und die der Menschen haben außer Plüschsofas und gerahmten Familienbildern an den Wänden wenig gemeinsam. Tradierte Familien- und Rollenmodelle sind aufgehoben. Da ist Janosch ganz 68er. Frei leben. Bloß nicht kuschen! Mut haben soll man, auch wenn man im Angesicht des Goliath zittert. Man darf auch faul sein und sich fragen, was man wirklich will. In die Schule gehen etwa? Schnuddel versucht es, und Siebenschläfer Piezke auch. Nur laufen ihnen auf dem Weg dorthin zu viele Freunde und Abenteuer über den Weg. Hat die Schule Pech gehabt.

Leben muss man, verdammt

Schulschwänzer, Lügenbarone, Faulpelze: In Janoschs Welten wimmelt es von sympathischen Versagern. Streber haben da keinen Platz. Mauser Einstein, der immer alles besser weiß als der kugelsichere Mäusesheriff, wandert deshalb nach Amerika aus. Da wird er dann noch wer, aber wen schert’s? Worum geht es denn? Leben muss man, verdammt. Abenteuer erleben, wie ein Mann zu seinen Freunden stehen. Und lieben, denn: Liebeskuss – Hochgenuss!

Und wenn etwas unseren ganzen Einsatz verlangt, dann doch nicht Knete, Zaster, Mäuse. Stark machen muss man sich für die Meere, die Flüsse, die gute Luft. „Rebellion“ schreit die Bande von Emil Grünbär. Diese Kassette mit Text und Liedern hat manches Kind der 80er und 90er Jahre zum überzeugten Öko gemacht, wie die Kommentare im Internet bezeugen. „Rebellion“ krakeelte auch der Nachwuchs fröhlich in seinem Kindersitz. Und wenn die Tachonadel zu weit nach rechts drehte, sang er: „Hallo Mister Affenzahn, was tun Sie auf der Autobahn? Rasen, rasen, rasen, und die Welt vergasen.“ Die Eltern nahmen folgsam und schuldbewusst den Fuß vom Gaspedal.

Das ist schon Jahre her, die Grünbär-Bande ist erwachsen. Manche fahren dicke Kisten, andere sparsame Kleinwagen. Das Stäubchen Magie, das Janoschs Geschichten anhaftet, ist verflogen. Suchen kann man es nicht. Finden schon. Nur der ist ein erleuchteter Mensch, der nicht mehr sucht und keine Fragen mehr hat, sagt der katholisch geborene, gern buddhistisch philosophierende Janosch. Manche treffe es wie ein Blitz, dieses frei machende, glückselige Wissen, diese Leere. Solche Menschen können fliegen. Selbst wenn sie in der Hängematte liegen und in den blauen Himmel über Teneriffa gucken.

Glück ist ein Stück Brot mit Wurst

Zum Geburtstag wünscht man Glück. Das definiert jeder anders. Als er 14 war und noch Horst Eckert hieß, war es für ihn ein Stück Brot; mit 16 war es ein Stück Brot mit Wurst und dazu eine Flasche Bier; mit 50 war Glück für ihn, eine Weile keine Rückenschmerzen zu haben. Und heute ist es: „Allein sein, keine Fragen beantworten zu sollen. Kein Druck von Leuten, die irgendetwas von mir wollen – also mich in Ruhe lassen.“

Mit seinen Geschichten hat Janosch ein paar von uns in manchen Momenten glücklich gemacht. Jetzt sind wir mal dran. Und sind deshalb auch nicht nach Teneriffa geflogen, um Janosch zu suchen und ihm dumme Fragen zu stellen. Glückwunsch! Gern geschehen.