MZ-Serie
Hier staunte auch Günther Jauch

Das Domschatz-Museum in Regensburg steckt voller Geheimnisse und Überraschungen – die meisten sind unerhört kostbar.

19.10.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr
Thomas Dietz

Dr. Hermann Reidel, Leiter der Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, vor dem Reliquienkästchen aus Venedig (um 1430/35). Fotos: Tino Lex

Am Eingang des Domschatz-Museums trifft man auf den freundlichen Herrn Tomschik. Es lohnt sich, ihn anzusprechen, denn nach einen solch prachtvollen Bass sucht man lange. Walter Tomschik verkauft Eintrittskarten, Führer, Bücher usw., stempelt auf Wunsch Fahrtenbücher oder Museumspässe und weiß manche Antwort auf manche Frage. Sogar Günther Jauch mit Frau und Tochter hat er schon eingelassen.

Es sind überwiegend auswärtige Regensburggäste, die, nach einer Domführung kunsthistorisch enthusiasmiert, nun auch den Domschatz zu studieren wünschen. Das Domschatz-Museum wurde 1974 im Südflügel des Bischofshofes eingerichtet, dort, wo bis 1803 die Regensburger Bischöfe residierten. Man betritt es von innen durch den Eingang unter der neuen Orgel (bekanntlich die größte freihängende Orgel der Welt) oder von außen kommend durch die rückgebaute Nordtür am Domgarten.

Im Erdgeschoss liegt die frühere bischöfliche Hauskapelle, „man nennt sie die Zwölf-Boten-Kapelle“, sagt der Leiter der Bischöflichen Museen, Dr. Hermann Reidel, „die Fresken aus der Renaissance sind leider nicht mehr vollständig.“ Am Ende steht der Marienaltar der Äbtissin Wandula von Schaumberg (1534/40). Er stammt aus der Obermünsterkirche, die beim Luftangriff vom 13. März 1945 zerstört wurde. Die Reliefbilder zeigen die Sieben Freuden Mariens.

Jesus langt in die Goldstücke

Eines davon, das mittlere links, ist die Anbetung der Könige. Caspar und Balthasar bringen dem Jesuskinde Weihrauch und Myrrhe, während der kniende Melchior eine Schale mit Goldstücken darreicht, in die der kleine Christus mit großer Leidenschaft hineinlangt. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Die Entwürfe zu diesen Szenen könnten von Regensburgs großem Sohn Albrecht Altdorfer stammen.

Gleich nebenan sieht man die ersten goldfunkelnden Schatzkammerstücke des Mittelalters und der Neuzeit – sie werden in den Vitrinen punktgenau von Spots aus Glasfaserkabeln angestrahlt. „In der Anfangszeit hatten wir hier sogar noch Neonröhren“, berichtet Dr. Reidel, dessen Vorgänger übrigens der geläufige Denkmalpfleger Prof. Achim Hubel war. Demnächst soll auf energiesparendes LED-Licht umgestellt werden.

Wir sehen Kruzifixe, Monstranzen, Kelche, Garnituren, Prunkschalen und Bischofsstäbe. Nicht von ungefähr rühmte sich Regensburg bis ins 18. Jahrhundert, neben diversen Vorzügen auch ein Spitzenzentrum der Goldschmiedekunst zu besitzen.

Im Erdgeschoss steht ein Schmerzenskastl, ein kostbares Reliquienkästchen aus Venedig, hergestellt um 1430/35, in Form eines kleinen Hauses. Das einzigartige Objekt besteht aus vergoldetem Silber, die Fenster sind aus Bergkristall. Verblüffend ist der Emailüberzug, der auf dunkelblauem und amethystfarbenem Grunde weiße Fabeltiere zeigt: Adler, Hähne mit Koboldgesichtern, Hirsche, Löwen, Panther, Steinböcke, Tauben. Dazwischen wurden tausende von winzigen Goldsternen eingeschmolzen.

„Das ist eins unserer Sorgenkinder“, erklärt Dr. Reidel, „denn Email und Silber vertragen sich nicht, Email und Kupfer schon besser.“ Die Email wird brüchig und neigt zum Abspringen, im Inneren wächst aus nicht gänzlich geklärten Gründen Grünspan, womöglich von einer unsachgemäßen Behandlung vor 1915, als Lötwasser oder Reinigungsflüssigkeit in die feinen Fugen gedrungen sein könnte.

Im Inneren sollen folgende Reliquien aufbewahrt worden sein: Ein Stück Rippe vom Hl. Laurentius (Märtyrertod auf dem Grill), ein Dorn aus Christi Dornenkrone und ein Stück von den Gebeinen der 11000 Jungfrauen, die im 4. Jahrhundert im Gefolge der heiligen Ursula von Hunnenkönig Guan niedergemetzelt wurden.

Eine Treppe höher sind u.a. liturgische Gewänder, Bilder und Möbel ausgestellt. Ein Bild zeigt den Regensburger Dom in barocker Deko (später wieder entfernt) und ein mittelalterlicher Einturm-Entwurf (um 1400) für den Dom: „Das hätte bei diesem Untergrund niemals gehalten“, bemerkt Dr. Reidel, „statisch unmöglich.“ Das älteste Stück ist die „Wolfgangskasel“. Sie wurde um das Jahr 1000 gestickt.

Ein Stück mit ungemein bewegender Geschichte ist das Schmetterlingsreliquiar, ein weltweit unvergleichliches Kleinod der Emailkunst – hergestellt wahrscheinlich 1310/20 in Paris. Es war eine Sensation, als man es 1991 im Hinterkopf eines spätgotischen Kruzifixes in der Schottenkirche St. Jakob entdeckte. Das Kruzifix war 1916 dorthin gebracht worden, 75 Jahre lang hatte keiner was bemerkt. Wer verbarg es in Jesu Haupt? Niemand kennt irgendwelche Umstände.

„Der Tod ist nicht das Letzte“

Dargestellt ist ein Schmetterling (lebensgroß) aus Silber (vergoldet) mit Fühlerspitzen aus Perlen, bunten Flügeln aus Email und eingebettetem Kreuzigungsbild. Die rückseitigen Fächer enthielten Reliquien. Schon im alten Griechenland galt der Schmetterling als ein Symbol für die Unsterblichkeit. „Psyche“ steht im griechischen für „Seele“ – aber eben auch für „Schmetterling“. Er ist Sinnbild der Seelen-Transformation. In einigen Schmetterlingsarten meinte man, Seelen Verstorbener zu sehen. Seit dem frühen Christentum erkannte man in der Verwandlung des Schmetterlings die Parallele zu Christus – von der Grabesruhe zur Auferstehung. Ein Schmetterling ist das Symbol für den Sieg über den Tod: Die Analogien Raupe/Mensch, Verpuppung/Tod/Sarg, Schmetterling/Auferstehung liegen auf der Hand. Auf vielen Gräbern findet sich auch heute noch der Schmetterling als Symbol des Vergehens (Befreiung aus dem Körper) und des Weiterlebens (Unsterblichkeit der Seele).

Heinrich Böll (1917-1985) dichtete einst: „Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird / wenn sie erst Schmetterlinge sind,/ sie würden ganz anders leben: / froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller. / Der Tod ist nicht das Letzte. / Das Leben endet nicht, es wird verändert.“