Kultur
Faszinierende Hörerfahrung bei den Neumarkter Konzertfreunden

10.11.2022 | Stand 15.09.2023, 2:56 Uhr
Juan Martin Koch
Bei den Neumarkter Konzertfreunden: Das französische Streichquartett Quatuor Arod und die Cellistin Julia Hagen −Foto: Juan Martin Koch

Das französische Streichquartett Quatuor Arod und die Cellistin Julia Hagen gaben ein bemerkenswertes Konzert im Neumarkter Reitstadel.

Wenn es so etwas wie hörbares Augenreiben gibt, dann war es hier vernehmbar, hineingemischt in den frenetischen Pausenapplaus des Neumarkter Konzertpublikums. Was hatten wir da gerade gehört? Wie hatte das Quatuor Arod das gemacht? Wie konnten Jordan Victoria, Alexandre Vu, Tanguy Parisot und Jérémy Garbarg auf ihren vier Instrumenten fast eine halbe Stunde lang ein absolut identisches Timbre hervorbringen?

Béla Bartóks erstem Streichquartett von 1908 angemessen, war dies eine durchgehend herbe Tongebung, gerade so nah am Steg gespielt, dass die Rauheit nicht ins Geräuschhafte, ins Kratzen abkippte. Paradoxerweise führte dabei ein mehr an Vibrato nicht zu einer Glättung der Klangoberflächen, sondern zu vermehrter, komplex abgestufter Körnigkeit, als würde ein hochempfindlicher Schwarz-Weiß-Film zu singen beginnen.

Mit diesem fast schon beängstigend genau ausgeklügelten Klangkonzept, einer Schärfung des Hörsinns, ging die Fähigkeit einher, die über drei Sätze auskomponierte, in sich weiter verschachtelte Temposteigerung des Werkes hautnah erfahrbar zu machen. Andere, durchaus konventionelle Formelemente, an denen sich Bartók hier noch orientiert, traten völlig in den Hintergrund. Stattdessen ein organisches Ausfalten von ausdrucksgesättigten, eher abstrakten Melodiegesten, die sich zum Ende hin in rhythmisch mitreißende, von Bartóks Volksmusikstudien angeregte Gestalten konkretisierten.

Auf diese faszinierende Hörerfahrung hatte die Cellistin Julia Hagen das Publikum eingestimmt. George Crumb, der Anfang des Jahres verstorbene Grandseigneur der amerikanischen Avantgarde, komponierte 1955 eine nur in den Satzbezeichnungen und der formalen Anlage klassizistische Solosonate. Julia Hagen stürzte sich mit technisch überragend kontrollierter Emphase in das charakterstarke, große Kontraste auf engstem Raum zelebrierende Stück.

Für Franz Schuberts C-Dur-Quintett, dieses abgründige Gipfelwerk zeitloser Romantik, fügte sie sich nach der Pause nahtlos ein in einen wiederum sehr speziellen Klangraum. Der war in den ersten beiden Sätzen zu Recht deutlich wärmer als bei Bartók, litt aber darunter, dass Hagen und Arod-Cellist Jérémy Garbarg sich zugunsten eines durchsichtigen Gewebes auch dort stark zurückhielten, wo ihnen entscheidende harmonische oder melodische Bedeutung zugekommen wäre. Als hätten die Fünf sich entschieden, einen Quartettklang mit zwei halben Celli zu erzeugen, so klang das manchmal.

Vor allem auch bei Julia Hagens kaum Bassfülle entfaltenden Pizzicati war das ein unüberhörbares Manko einer ansonsten wiederum bewundernswert durchdachten Interpretation.

Überzeugender war in den Sätzen drei und vier die zeitweise Rückkehr zum porösen Bartók-Sound, der sich am Ende des Scherzo-Trios zu einem schaurig dehydrierten Rest ausdünnte. Die Tanzscherben im Allegretto wurden schließlich in schaurig-schöner Desolatheit zusammengekehrt, als Fragezeichen hinter diesem bemerkenswerten Konzertabend, einem gespenstischen Reigen unseliger Geister.